Krimi im Ersten

Tatort: Die Marvel-Heroine vom flachen Land

20.11.2015, 16.00 Uhr
von Detlef Hartlap
Die Stimmung zwischen Kommissarin Lindholm (Maria Furtwängler) und Oberst Friedrichts (Richard van Weyden) ist angespannt.
BILDERGALERIE
Die Stimmung zwischen Kommissarin Lindholm (Maria Furtwängler) und Oberst Friedrichts (Richard van Weyden) ist angespannt.  Fotoquelle: NDR/Frederic Batier

In "Spielverderber" darf sich Maria Furtwängler in einen Luftwaffen-Oberst verlieben und ist ansonsten so beispielhaft und zivilcouragiert wie schon in 22 Tatort-Folgen zuvor.

Die beiden ersten Szenenfolgen verraten alles über diesen Tatort. Ein Pärchen strebt im Auto einem einsamen Haus in der niedersächsischen Walachei zu und einer Liebesnacht entgegen. Man ist rechtschaffen scharf aufeinander, da ist die Pinkelpause schon des Wartens zu viel. Wenn nur ein kurzer Kameraschwenk nicht andeutete, dass noch eine dritte Person hinterm Busch lauerte ...

Angekommen im Haus muss sie (brillant gespielt von Nora Huetz) noch ein Skype-Telefonat mit ihrem Ex erledigen: "Ich hab's ihm versprochen!"

Ihm (Thure Lindhardt) dauert das natürlich zu lange, und dann ist es auch noch der andere Kerl, der Ex, mit dem sie spricht. So wird das Telefonat schnell zum Desaster, und als die Kamera wegblendet, ahnen wir, da ist etwas passiert.

Ein Auftakt wie gemalt. Ein starker Westwind fegt durch die grünen Baumkronen. In Niedersachsen kommt der Wind fast immer aus West.

Nicht ganz fair, Frau Lindholm

Szenenwechsel. Auf einer Feldgabelung geraten LKA-Ermittlerin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Oberst Andreas Friedrichs (Richard van Weyden) aneinander. Sein Saab landet im Graben. Er klagt sie vom hohen Ross des Machtmenschen an, sie geht in Trotzpositur und bringt ihn endlich mit der Polizeimarke zum Schweigen. Nicht ganz fair, Frau Lindholm, denn sie war es, die beim Anfahren nicht aufgepasst hatte. Der Wind weht, der Streit verweht.

Die Szene ist nicht schlecht, aber auch kein Lubitsch. Dialoge auf dem schmalen Grat, auf dem Ernst ins Lächerliche schlägt, wollen gekonnt geschrieben sein und gekonnt gespielt werden. Beides gelingt nicht. Die Kamera agiert, als ob sie in Maria Furtwänglers Gesicht verknallt sei. Langgezogene Porträts, Stills im Grunde, denn einen dramaturgischen Zweck erfüllen sie nicht. Sie dienen der Überhöhung, der Heroisierung von Frau Furtwängler.

Der Tatort pendelt zwischen schönen Szenen und schönen Bildern (Kamera Andreas Doub), wobei ihm das flache Land besser gelingt als die Flugaufnahmen in einer Transall-Maschine, und manch unfreiwillig kuriosen Momenten, an denen Maria Furtwängler und Richard van Weyden meist nicht unbeteiligt sind.

Worum geht es: Die junge Frau im einsamen Haus wird ermordet aufgefunden, ihr Liebhaber rennt panisch durch den Wald. Der Ehemann vom anderen Ende der Skype-Verbindung flippt aus. Gerdy Zint spielt ihn. Er läuft ein bisschen Gefahr, zum Ausgeflippten vom Dienst im Fernsehen zu werden, schon im Leipzig-Tatort "Türkischer Honig" gab er einen ähnlichen Typen.

Das Milieu, das in diesem Film die eigentliche Hauptrolle spielt, ist die Bundeswehr, ein Luftwaffenstützpunkt. Oberst Friedrichs ist sein anmaßender Boss, Charlotte Lindholm die hartnäckige Ermittlerin, die sich von soldatischem Gehabe nicht schrecken oder ablenken lässt. Eine Marvel-Heroine des Tatorts, wie geschaffen für "Brigitte"- und "Bunte"-Leserinnen.  Klar, dass die beiden sich verlieben und im Flugsimulator abheben, und wieder denkt man: Das haben wir aber schon sehr viel besser gesehen, von der Verlegenheit her, vom Rhythmus und der Glaubwürdigkeit her.

Ruhige und doch sehenswerte Ermittlung

Was wir hingegen nicht alle Tage im Tatort sehen, ist eine beinahe logische, ruhige und doch sehenswerte Ermittlung, die so ganz und gar das Gegenteil von dem darstellt, was der auf diesem Sendeplatz ursprünglich vorgesehene und nun verschobene Schweiger-Tatort geboten hätte. Hier, im steten Niedersachsen-Wind, wird zumindest angedeutet, wie zerrissen das Leben im Hinterhof eines Luftwaffenstützpunktes sein kann, dort, wo die Frauen warten, sich ängstigen - und betrogen werden.

Catherine Flemming im Rollstuhl und Hildegard Schroedter liefern bezaubernde Miniaturen aus dem Leben der Soldatenfrau. Die Soldatin in diesem Film (Jasmin Gerat) bildet den Gegenpol zum Hausfrau- und Mutterdasein, auf das sie sich – sie gibt an, schwanger zu sein – gleichwohl freudig vorbereitet.

So ist es auf der einen wie auf der anderen Frauenseite, zu Hause wie im Flieger: Es muss vieles, eigentlich fast alles passen, damit das Leben in der Balance bleibt. Wenn nicht, kann es zum Mord kommen.

Einer der besseren Tatorte der letzten Monate, sehenswert, auch wenn an der Dialogschärfe (Drehbuch und Regie: Hartmut Schoen) noch mächtig hätte gefeilt werden müssen.

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