09.06.2022 Vitamine als Pille

Welche Nahrungsergänzungsmittel sind sinnvoll?

Von Annette Bulut
Immer mehr Menschen greifen zu Nahrungsergänzungsmitteln.
Immer mehr Menschen greifen zu Nahrungsergänzungsmitteln. Fotoquelle: picture alliance / Zoonar | JIRI HERA

Ein Viertel der deutschen Erwachsenen nimmt regelmäßig Nahrungsergänzungsmittel zu sich. Das lassen sich die Deutschen richtig was kosten: Jährlich geben sie deutlich über zwei Milliarden Euro* dafür aus. Ein gutes Geschäft für die Anbieter. Und die Nachfrage ist seit Beginn der Pandemie noch einmal deutlich gestiegen. Viele Menschen nehmen beispielsweise Vitamin C zur Stärkung des Immunsystems. Aber sind die Präparate eigentlich immer notwendig? Für wen ist es sinnvoll, die Ernährung mit bestimmten Mineralstoffen und Vitaminen zu ergänzen? Kann eine ungesunde Lebensweise mit Nahrungsergänzungsmitteln ausgeglichen werden?

Für wen ist es sinnvoll, die Ernährung zu ergänzen?

Grundsätzlich ist laut Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) die allgemeine Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen in Deutschland im Durchschnitt gut. Nach dem Gießkannen-Prinzip die Ernährung zu ergänzen, ist deshalb nicht sinnvoll. Wo kein Mangel vorliegt, sind Nahrungsergänzungsmittel bei gesunder Ernährung für die Gesundheit vollkommen unnötig. Eine abwechslungsreiche Ernährung durch frische, pflanzenbasierte und ausgewogene Lebensmittel bietet ausreichend Vitamine und Mineralstoffe für das Immunsystem. Wer bei sich allerdings einen Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen vermutet, sollte das erst einmal ärztlich abklären lassen. Das geht über die Untersuchung des Blutspiegels.

Dennoch gibt es für einzelne Nährstoffe bei der Mehrheit der Deutschen eine Unterversorgung. Vitamine, Mineralstoffe, Ballaststoffe oder Pflanzenstoffe können die Ernährung deshalb als Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll ergänzen. Es gibt sie in konzentrierter und dosierter Form als Kapseln, Tabletten oder im Pulverbeutel. Manche Vitamine fehlen den Bundesbürgern besonders. So sind rund 60 Prozent der deutschen Erwachsenen nicht ausreichend mit Vitamin D versorgt. Zu wenig Vitamin C nehmen laut einer Studie (Nationale Verzehrstudie) immerhin zirka 30 Prozent der Deutschen zu sich. Außerdem kann es bei Mikronährstoffen wie Folat, Calcium und Jod zu einer Unterversorgung kommen.

Nahrungsergänzungsmittel sind vor allem bei bestimmten Personengruppen eine sinnvolle Ergänzung. Dazu gehören alte und pflegebedürftige Menschen, Frauen in den Wechseljahren und Schwangere. Jungen Frauen fehlt es oft an Eisen. Aber auch Vegetarier und Veganer können eine Unterversorgung haben. Das hängt jeweils vom individuellen Bedarf und den Lebensumständen ab. Vor allem bei älteren Menschen und pflegebedürftigen Personen können Nahrungsergänzungsmittel die Versorgung mit wichtigen Nährstoffen auch im Alter sicherstellen. So sollen über 75 Prozent der Senioren in Pflegeheimen unter einem Mangel an Vitamin A, Vitamin C, Vitamin D, Vitamin E und Folat leiden. Ob tatsächlich im Einzelfall ein Mangel vorliegt, das muss ein Arzt feststellen.

Was ist bei Überdosierung oder Wechselwirkungen?

Krankheiten werden durch Nahrungsergänzungsmittel nicht vorgebeugt oder geheilt. Sie sind keine Arzneimittel. Eine Überdosierung an vermeintlich gesunden und natürlichen Stoffen kann dem Körper sogar schaden. Eine gesunde erwachsen Person, die sich ausgewogen ernährt und bewegt, benötigt in der Regel keine Nahrungsergänzung. Nimmt diese Person Präparate in hochdosierter Form ein, besteht sogar die Gefahr der Überdosierung. Das kann der Gesundheit schaden. Die Gefahr ist besonders bei fettlöslichen Substanzen groß. Denn anders als bei wasserlöslichen scheidet der Körper diese nicht wieder aus, sondern speichert sie.

Vorsicht gilt vor allem für Tumorpatienten und Personen, die regelmäßig ein Medikament einnehmen. Vor allem Krebspatienten dürfen Nahrungsergänzungsmittel wie künstliche Vitamine nicht ohne Weiteres einnehmen, da sie die Labortests verfälschen oder ein Arzneimittel in seiner Wirkung verändern können. Einzelne Vitamine wie B6, B12 und Folsäure stehen sogar im Verdacht, das Tumor-Wachstum zu beschleunigen.

Kann man eine ungesunde Lebensweise mit Vitamintabletten ausgleichen?

Nikotin und Alkohol rauben dem Körper Vitamine und Mineralstoffe. Deshalb ist eine ausgewogene und nährstoffreiche Ernährung für Raucher besonders empfehlenswert. Nikotin- und Alkoholgenuss, zu wenig Schlaf, kaum Bewegung – ein insgesamt ungesunder Lifestyle kann auch durch Nahrungsergänzungsmittel nicht ausgeglichen werden. Wie wichtig der Schlaf für das Immunsystem ist, wird auch häufig unterschätzt. Ausreichend Schlaf stärkt die körpereigenen Abwehrkräfte. „Wer gesund ist und sich ausgewogen ernährt, viel an der frischen Luft Sport treibt und wenig Alkohol konsumiert, muss sich keine Sorgen um seinen Mineralien-, Spurenelemente-, und Vitaminhaushalt machen. Durch unkontrollierte Zufuhr der oft überdosierten Kapseln, Säfte und Brausetabletten kann auch ein gesundheitlicher Schaden entstehen,“ warnt Dr. Heinz-Wilhelm Esser, Oberarzt und Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Kardiologie am Sana-Klinikum Remscheid. Der Mediziner ist vielen bekannt als „Doc Esser“ in TV-, Hörfunk-, Printmedien und als Buchautor.

Für wen ist eine Vitamin D Ergänzung ratsam?

Von einem Vitamin-D-Mangel können alle betroffen sein, die weniger als 20 Minuten täglich an der frischen Luft und damit im Einwirkungsbereich der Sonne sind. Das Robert Koch-Institut empfiehlt deshalb eine Nahrungsergänzung mit Vitamin D für bestimmte Personengruppen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt dies, wenn eine Verbesserung des Vitamin-D-Status weder durch die Eigensynthese noch über die Ernährung erzielt werden kann. Davon betroffen sind oft Menschen über 60 Jahre. Bei nahezu allen über 80-Jährigen stellen Mediziner einen Vitamin-D-Mangel fest. Krankheit oder Immobilität können diesen Mangel verstärken.

Auch bei Frauen in den Wechseljahren kann der Vitamin-D-Spiegel durch die Hormonschwankungen leiden. Sie gehören zur Vitamin-D-Mangel-Risikogruppe. Ein Arzt kann das durch eine Untersuchung des Vitamin-D-Spiegels im Blut feststellen. Optimal sind 20 bis 30 Nanogramm pro Milliliter Blut. Für den Aufbau des Vitamin-D-Speichers heißt es ab nach draußen. Ohne Sonne kann der Körper kein Sonnenvitamin bilden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Sonne scheint oder es bewölkt ist. Jedoch hindert Sonnencreme die Bildung von Vitamin D zu 95 Prozent. Deshalb ist es im Sommer wie im Winter wichtig, sich an der frischen Luft für kurze Zeit auch mal ohne Sonnenschutz zu bewegen. Übrigens: Auch jüngere Menschen können eine Unterversorgung des Sonnenvitamins haben. Zum Teil kommt der Mangel durch Sonnenschutzcremes zustande, die einen Teil der wichtigen UV-B Strahlung absorbieren. Zum anderen sind sie zu oft in geschlossenen Räumen und können ihren Vitamin-D-Speicher nicht aufladen. Tipp: Bei unspezifischen Symptomen empfiehlt es sich, den Hausarzt aufzusuchen.

Welche Vitamine fehlen wem häufig?

Die Versorgung mit wichtigen Nährstoffen, die Vitamin C, Vitamin B1, Vitamin E oder Omega-3 enthalten, ist in der älteren Bevölkerung in Deutschland teils nicht ausreichend. Besonders bei über 65-Jährigen, die in Pflegeheimen oder zu Hause gepflegt werden. Sie erreichen die empfohlene Menge für viele wichtige Nährstoffe in ihren Lebensmitteln oftmals nicht. „Wissenschaftliche Erhebungen wie die Nationale Verzehrstudie II und spezielle Studien zur Versorgungslage belegen, dass über Dreiviertel der Älteren in Pflegeheimen die Zufuhrempfehlungen bei Vitamin C, Vitamin D, Vitamin E und Folat nicht erreichen. Auch bei Vitamin B12 und weiteren B-Vitaminen ist die Versorgung in weiten Teilen unbefriedigend“, so der Lebensmittelverband Deutschland. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt darüber hinaus eine Ernährung mit hohem Gehalt an Omega-3 Fettsäuren und ausreichend Omega-6-Fettsäuren. Der Verzehr von zu wenigen Lebensmitteln mit Omega-3-Fettsäuren gilt als Risikofaktor für die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Vegetarier und Veganer, die auf tierische Lebensmittel verzichten, nehmen oft zu wenig Vitamin B12 auf. Vegane Ernährung der Mutter hat auch Einfluss auf einen voll gestillten Säugling. Dieser hat ein hohes Risiko für einen Vitamin-B12-Mangel. Deshalb sollte bei vegetarischer und veganer Ernährung der Vitamin-B12-Spiegel regelmäßig kontrolliert werden. Der Grund: Pflanzliche Lebensmittel enthalten den Inhaltsstoff nur in Spuren. Außerdem auch nur dann, wenn Bakterien eine Rolle spielen, wie etwa in Sauerkraut. Natürlicherweise kommt das Vitamin in besonders hoher Konzentration in Leber vor ebenso wie in Muskelfleisch, Eier, Fisch, Milch und Käse.

Etwa ein Drittel der jungen Frauen nehmen mit der Nahrung häufiger zu wenig Vitamin B12 auf. Und ältere Menschen haben einen erhöhten Bedarf, da bei ihnen die Aufnahme von Vitamin B12 in den Körper häufig gestört ist. Noch ein Tipp zum Schluss: Wer häufig unter Nasenbluten leidet, könnte an einem Mangel an Vitamin K leiden. Das kommt vor allem in grünem Gemüse wie Spinat, Salat oder Kohl vor.

Über die Autorin: Annette Bulut ist Diplom-Journalistin und hat eine Rundfunkausbildung in Köln absolviert. Nach beruflichen Stationen in Düsseldorf und München als Kommunikationsberaterin ist sie seit vielen Jahren freie Journalistin mit Schwerpunkt Medizin, Gesundheit und Ernährung. Sie schreibt regelmäßig Beiträge für Online- und Printmedien. Ihr Ziel: Gesundheitsthemen verständlich und lebensnah mit vielen nützlichen Informationen zu vermitteln.

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