Thomas Isenberg, Geschäftsführer der Deutschen Schmerzgesellschaft, über chronische Schmerzen.
Herr Isenberg, Zähne, Kopf, Gelenke oder Rücken tun weh. Dem einen mehr, dem anderen weniger. Gibt es ein individuelles Schmerzempfinden?
Unsere Schmerzexperten wissen: Wie sehr jemand leidet, hängt auch damit zusammen, wie er lernt, mit dem Schmerz umzugehen, ihn sozusagen zu bewältigen.
Bei einer Schnittverletzung weiß ich, dass der Schmerz irgendwann nachlässt. Damit kann jeder gut umgehen. Wie ist es aber, wenn der Schmerz anhält – über Wochen oder sogar Monate?
Es ist leider so, dass nicht immer eine Ursache für den Schmerz gefunden werden kann. Dann sollten die auslösenden Bedingungen verändert werden. Also wann und in welcher Situation entsteht der Schmerz oder wann wird er schlimmer? Hier kann das Führen eines "Schmerztagebuchs" helfen. Es gibt auch Schmerzfragebögen und Skalen, die den Verlauf dokumentieren und bei der individuellen Therapieplanung wichtig sind. Betroffene sollten dies gemeinsam mit spezialisierten Therapeuten besprechen.
Und wann sind Schmerzen chronisch?
Wenn sie immer wiederkehren oder anhalten und dies über einen Zeitraum von mindestens drei bis sechs Monaten.
Wie viele Menschen sind in Deutschland hiervon betroffen?
Über 22 Millionen und davon sind rund zwei bis drei Millionen durch ihre Schmerzen stark beeinträchtigt. Denn man muss wissen, dass chronische Schmerzen zu einer deutlichen Beeinträchtigung in allen Lebensbereichen führen. Dies wiederum kann seelische und soziale Folgen haben.
Wie das?
In unserer Gesellschaft gilt leider oft der Spruch "Ein Indianer kennt keinen Schmerz" und Betroffene werden mit ihrem Leid nicht ernstgenommen. Doch das ist falsch. Wer chronische Schmerzen hat, hat ein massives Problem und das Recht, damit ernstgenommen zu werden. Bei Angehörigen, Freunden und Arbeitgebern erfordert das Geduld und Verständnis und bei Ärzten das Wissen um fachübergreifende Therapiemöglichkeiten.
Ab welchem Zeitpunkt sollten Betroffene einen Spezialisten aufsuchen?
Zunächst einmal gilt: Nehmen Sie Schmerzen nicht auf die leichte Schulter. Oftmals ist Schmerz ein "Warnsignal", das man zügig bei seinem Hausarzt abklären lassen sollte. Spätestens nach drei bis sechs Monaten andauernder Schmerzen empfiehlt es sich, einen auf Schmerzen spezialisierten Therapeuten aufzusuchen, damit eine Chronifizierung verhindert wird. Derzeit wird etwa die Hälfte aller Betroffenen leider unzureichend behandelt und leidet unnötig. Oft dauert es Jahre, bis Patienten endlich einen geeigneten Spezialisten gefunden haben und die nötige Therapie erhalten.
Warum werden so viele unzureichend behandelt? Was muss sich verbessern?
Beispielsweise ist es nötig, dass Krankenhäuser Schmerzen gut behandeln und auch genügend Schmerzambulanzen oder Schmerzpraxen vorhanden sind. Nicht immer ist es das Beste, gleich zu operieren oder nur ein Medikament zu geben. Zudem brauchen wir mehr niedergelassene Schmerzspezialisten. Schmerzpatienten brauchen Zeit und fachübergreifende Therapien. Krankenkassen, Gesundheitspolitik und Ärzteschaft können hier noch mehr tun, dafür setzt sich auch die Deutsche Schmerzgesellschaft ein.