"Der Pass"-Hauptdarsteller Nicholas Ofczarek

"In den Bergen fühle ich mich klein und erdrückt"

von Eric Leimann

In seiner Heimat Österreich gilt Nicholas Ofczarek seit vielen Jahren als Schauspiel-Gigant. Neben 25 Jahren am Wiener Burgtheater sind auch im Ausland gefeierte Qualitätsserien wie "Braunschlag" oder "Altes Geld" dafür verantwortlich. Mit seinem wuchtig-expressiven Spiel versetzt der 47-Jährige sein Publikum regelmäßig in Verzücken. In der österreichisch-deutschen Sky-Thrillerserie "Der Pass" (ab Freitag, 25. Januar, 20.15 Uhr, Sky 1) setzt der gebürtige Wiener nun noch einen drauf.

Als Gegenpart zur anfangs sehr aufgeräumt wirkenden Julia Jentsch, die eine deutsche Kommissarin spielt, gibt Ofczarek einen verlotterten, desillusionierten Ösi-Bullen, der sich zu Beginn des sehr spannenden Achtteilers am liebsten ganz aus der Tätersuche heraushalten würde. Man hat ja sonst schon genug Probleme im Leben – auch ohne Leichen. Nicholas Ofczarek über sein monatelanges Verlottern in einer Rolle, über das tiefe Misstrauen den Bergen gegenüber und seine Suche nach Ruhe.

prisma: "Der Pass" orientiert sich an der Serienidee von "Die Brücke". Zwei Ermittler aus unterschiedlichen Ländern müssen zusammenarbeiten, weil die Leiche genau auf der Grenze liegt. Aber die Serie ist kein Remake?

Nicholas Ofczarek: Nein, wir haben nur die Grundidee benützt, ansonsten ist alles anders. Völlig neu ist zum Beispiel, dass man dramaturgisch auch dem Killer folgt – als dritter Hauptfigur. Der Zuschauer sieht die Kommissare teilweise durch die Augen des Killers. Das ist ein sehr reizvoller Twist dieser Serie, finde ich.

prisma: Julia Jentsch und Sie spielen sehr unterschiedliche Figuren. Ofczarek als haltloser, fatalistischer Österreicher. Jentsch ist die saubere, vernünftige Deutsche. Lauerte da die Gefahr des Klischees?

Ofczarek: Anfangs scheint es so. Doch beide Figuren machen im Laufe der acht Folgen eine krasse Entwicklung durch. Ich sehe "Der Pass" auch weniger als klassische Kriminalserie, sondern als epischen Thriller mit vielen Drama-Elementen. Wir wollten auch auf keinen Fall irgendwelche Klischees und auch keine Animositäten zwischen Deutschen und Österreichern befeuern. Unsere Ermittler haben einen unterschiedlichen Background, unterschiedliche Herkunfts-Milieus. Das ist doch viel entscheidender, als ob man Deutscher oder Österreicher ist.

prisma: Die unterschiedlichen Ländermilieus spielen also keine Rolle?

Ofczarek: Nein, nur über die Sprache, die wir schon authentisch einzusetzen versuchen. Zumindest bei Figuren, deren Hintergrund das mitbringt. Ich bin schon ewig genervt von jenem Klischee, dass Österreicher die Deutschen blöd finden und Deutsche uns Österreicher belächeln. Mein Gott, das Leben ist doch wirklich komplexer, als dass man es noch auf dieser Stufe betrachten mag.

prisma: Warum sind Ihre Ermittler so interessant, dass man ihnen über acht Episoden folgen mag?

Ofczarek: Weil sie im Laufe dieser Strecke unterschiedliche Entwicklungen nehmen. Julia spielt eine Kommissarin, die noch am Anfang ihrer Karriere steht. Sie geht sehr engagiert und positiv auf ihren Beruf zu. Im Laufe der Handlung erfährt diese Haltung Erschütterungen. Meine Figur hingegen ist ein paar Jahre älter. Sie hat viel Deprimierendes gesehen und weiß, dass man als Kommissar eigentlich immer zu spät kommt. Dann nämlich, wenn der Mensch bereits tot ist. Nun haben wir es hier mit einem Serientäter zu tun – was meinen Ermittler auf seltsame Art ins Leben zurückholt. Weil sich hier die Möglichkeit bietet, endlich mal etwas zu verhindern.

prisma: Ihr Kommissar raucht und trinkt exzessiv, er poltert und explodiert – eine in wahrsten Sinne des Wortes "große" Rolle. Hatten Sie Angst, dass Ihre Figur an die Grenze der Karikatur gerät?

Ofczarek: Wir haben uns bewusst dazu entschieden, ihn so groß anzulegen. Weil er im Drehbuch ja auch so beschrieben ist. Es ist aber auch eine Chance, so expressiv zu spielen. Weil man dann in normaleren Szenen wortkarg und mit Zurückhaltung schöne Kontrapunkte setzen kann. Das erschafft für den Zuschauer einen interessanten Spannungsbogen.

prisma: Man hat Sie schon in anderen Serienrollen wie "Braunschlag" oder "Altes Geld" gesehen. Aber nie waren Sie so lang und intensiv in einer Rolle wie hier ...

Ofczarek: Ja, das hier war meine bisher längste Rolle mit der größten Screen Time. Wir haben fünf Monate lang gedreht. Das war eine tolle Chance, eine Figur auch über die Zeit zu formen. Selbst dann, wenn man natürlich wie meistens nicht chronologisch drehte.

prisma: Nimmt man eine exzessive, verlotterte Figur eigentlich mehr mit nach Hause als einen eher bürgerlich vernünftigen Menschen?

Ofczarek: Das ist eine interessante Frage. Zumal wir oft bis in den späten Abend oder auch nachts gedreht haben. Ich habe nicht viel geschlafen während jener fünf Monate. Wenn man von intensiven Drehs zurückkommt, kann man auch nicht sofort ins Bett fallen. Da braucht es Zeit, um runterzukommen. Ich hatte vielleicht vier Stunden Schlaf pro Nacht. Das leicht Verkommene meiner Figur hat sich also von selbst eingestellt. Ich wusste, ich muss nicht gut aussehen am nächsten Tag. Und die Maskenbildnerin musste nicht mehr so viel an mir machen (lacht).

prisma: Hat dieser exzessive Kommissar auch etwas mit Ihnen zu tun?

Ofczarek: Eigentlich nicht. Insofern hat es mich gewundert, dass ich diese Zeit mit so wenig Ruhe durchgestanden habe – und mich sogar gut dabei fühlte. Normalerweise mache ich meinen Job und gehe heim. Aber die Zeit hat natürlich auch aufs Private abgefärbt. Ich wurde damals tatsächlich auch als Mensch ein wenig fahrlässiger.

prisma: Die Natur, vor allem die Bergwelt, ist ein weiterer Hauptdarsteller der Serie. Was haben die beeindruckenden Aufnahmen von dunklen, verschneiten Wäldern und Bergen mit der Geschichte zu tun?

Ofczarek: Die Natur ist auch ein Zeuge der Verbrechen. Ich habe Berge im Film noch nie so düster inszeniert erlebt. Man könnte auch sagen, wir beschreiben sie realistisch. Berge sehen schön aus, wenn man im Sonnenschein von der Ferne auf sie blickt. Tatsächlich sind Berge und Wälder aber gerade in den Höhenlagen, bei Schnee, Wind und Kälte ziemlich lebensfeindlich. Es ist ein bedrohliches Szenario, in das man sich als Mensch hineinbegibt. Es existieren ohnehin viele Gefahren in unserer ach so sauber empfundenen, zivilisierten Welt. Sich der Wucht der Natur auszusetzen ist eine von ihnen. Genau das wollten wir auf eine subtil verstörende Art und Weise mit diesen Bildern zeigen.

prisma: Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur ist auch für die Handlung von Bedeutung. Der Täter ist ein Naturfreak. Es gibt zahlreiche Figuren im Drehbuch, die über die Natur philosophieren. Sagen Ihnen solche Gedanken etwas?

Ofczarek: Als Österreicher ist man den Bergen emotional automatisch nah, denken viele Deutsche. Als gebürtiger Wiener waren die Berge für mich erst mal nicht so relevant. Vielleicht sind wir Wiener, die Hauptstädter, deshalb auch im eigenen Land relativ unbeliebt (lacht). Allerdings bin ich auch halber Ire, weil meine Mutter aus Irland kommt. Dazu wuchs ich in der Schweiz auf. In den Bergen, im Appenzeller Land. Das ist jedoch eine fast weiblich anmutende, lieblich hügelige Landschaft. Ein Hochland. Nicht so schroff wie unsere Alpen im Salzburger Land. Ich habe aber schon einen Bezug zu den Bergen, weil ich in der Natur aufgewachsen bin.

prisma: Wie leben Sie diesen Bezug zu Natur heute?

Ofczarek: Ich habe ein Haus an der tschechisch-österreichischen Grenze, wohin ich mich gerne zurückziehe. Es steht dort, wo früher der Eiserne Vorhang war. Das ist ein Gebiet, es heißt auch Waldviertel, das mit sehr dichten, fast schon Urwäldern bewachsen ist. Ich bin ein großer Wald-Fan, weil ich die Stille sehr genieße. Die Berge sind hingegen nicht so meins. Da fühle ich mich klein und erdrückt. Ich wollte nie in den Bergen leben.

prisma: Üben Berge trotzdem eine Faszination auf Sie aus? Wenn man Ihre Serie mit dem mächtigen Soundtrack und den dunklen Bergbildern dazu sieht, kann man ja fast nicht anders als fasziniert sein ...

Ofczarek: Ja, aber sehen sie – das ist wieder die Faszination eines Menschen, der das Ganze aus beschützter Perspektive betrachtet. Noch mehr Sicherheit, als sie die Schutzwand des Fernsehers bietet, gibt es ja fast nicht. Wenn man sich aber in den Bergen selbst befindet, dazu mit wenig Schutz, ist es etwas anderes. Wir haben in Österreich übrigens die höchsten Selbstmordraten in Städten und Gemeinden, die von hohen Bergen umgeben sind. Täler machen offenbar depressiv. Natürlich auch deshalb, weil die Sonne dort selten hinkommt.

prisma: Wo viele Berge sind, gibt es weniger Sonne – das ist klar. Aber gibt es auch den Menschenschlag des Talbewohners? Kann man ihn beschreiben?

Ofczarek: Ja, ich glaube ihn zu kennen. Die Leute dort sind einsilbig, auf eine komische Art still. Andererseits hat man das Gefühl, es brodelt etwas in ihnen. Aber ich will hier auch nicht alle Land- und Talbewohner depressiv reden. Eigentlich bin ich ein großer Natur-Fan. Wir kommen ja alle aus der Natur. Wir brauchen sie, ich brauche sie – weil sie uns erdet. Dass der Mensch ein Stadtwesen wäre, ist doch eine relativ moderne Erfindung von uns Menschen selbst.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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