SAT.1-Film

"Keine zweite Chance": Zweiteiler mit Serienpotenzial

von Wilfried Geldner

Ein Tag beginnt wie jeder andere im Leben der Familie Schwarz. Doch dann fallen Schüsse. Als Nora (Petra Schmidt-Schaller) aus dem Koma erwacht, ist ihr Kind verschwunden.

SAT.1
Keine zweite Chance
Thriller • 05.12.2017 • 20:15 Uhr

Man wähnt sich in einer Folge der Krankenhaus-Serie "Emergency Room", wenn zu Beginn im OP die Kommandos rollen. Kammerflimmern! Defi! Nora, bleib bei uns! – Nora, Dr. Nora Schwarz, die angeschossen auf dem OP-Tisch liegt, ist selbst Ärztin an der Klinik, in die sie eingeliefert wurde. Doch im weiteren Verlauf entspinnt sich alles andere als ein Arztroman. Nora (Petra Schmidt-Schaller) wurde Opfer eines Überfalls im eigenen Haus, sie hat ihn überlebt, doch der Ehemann ist tot, ihr Kind verschwunden. Der SAT.1-Zweiteiler "Keine zweite Chance" nach dem Bestseller von Harlan Coben (Drehbuch: Hannah Hollinger, Regie: Alexander Dierbach) ist eine gelungene Mixtur aus Thriller und Melodram. Teil zwei folgt am 12. Dezember 2017, 20.15 Uhr.

Nora geht der Sache mit dem Mut der Verzweiflung auf den Grund. Der Mutter eines einjährigen Babys, das – wie sich bald herausstellt – entführt worden ist, kommt entgegen, dass Robert (Murathan Muslu), ein früherer Freund, bei den gefährlichen Nachforschungen hilft. Robert war beim BKA, das zahlt sich aus. Zudem hat er seine eigene Frau, gleichfalls beim BKA, im Dienst verloren. Für Empathie ist also bis hin zur zärtlichen Berührung des gekrümmten Nora-Ohrläppchens gesorgt. Trotzdem steht Robert bald unter Verdacht – ebenso wie all die anderen auftretenden Figuren: Freunde und Verwandte, bei denen man sich nicht gewiss sein kann, auf welcher Seite sie wirklich stehen.

Was ist mit Leo Korwatsch (Sebastian Bezzel), dem befreundeten Rechtsanwalt, der sich immer so hilfsbereit und verständnisvoll gibt, andererseits aber immer so spontan in Noras Wohnung herumgeistert? Erst recht mit Noras Schwiegervater, dem alten schwerreichen Patriarchen, der das Lösegeld für die Kindsentführer, immerhin zwei Millionen, so mir nichts, dir nichts, locker macht? Der aber auch immer wieder so selbstgewiss behauptet: Wir werden Jella wiederfinden? Hanns Zischler spielt den Patriarchen exakt so dubios, dass man ihm den Drahtzieher im Hintergrund genauso zutraut wie den hilfsbereiten Schwiegervater.

Täter sind schnell bekannt

Dass aber ein offiziell für den Fall abgestelltes Polizistenpärchen (Inez Björg David, André Szymanski) gar glauben mag, Nora habe sich von ihrem Mann (Golo Euler) trennen wollen und deshalb den Mord und die Entführung angezettelt, ist dann doch ein eher starkes Stück. Zumal man ja Nora zuvor per Rückblende im glücklichsten Familienleben gesehen hat. Zudem wird die Recherche ja durch einen GPS-Sender, den Freund Robert am Handy der Entführer anbringen konnte, recht geradlinig in einer Richtung vorangetrieben. Man kennt die handelnden Täter sehr schnell – besonders Josefine Preuß tut sich als mitreißend gestrenge Räuberbraut hervor.

So führt die Spur in ein einsames Gehöft, in dem rumänische Einwanderer hausen. Man stößt auf Kinderhandel und Zwangsprostitution. An Schießereien ist kein Mangel, wobei sich der schwer angeschossene Robert ("Ein Durchschuss!") erstaunlich behende durchs Fenster retten kann. Doch es ist nicht die Action allein, die sich sehen lassen kann. Immer, wenn Nora auf andere leiderfahrene Frauen trifft – und sei es die eigene drogenabhängige Schwester – rückt der psychodramatische Aspekt glaubhaft nach vorn. Dass Mickey, der Ehemann, schwere Depressionen hatte, wird Nora eindrücklich von einer Leidensgenossin ihres Mannes erzählt.

Sonst ist Petra Schmidt-Schaller, die ehemalige "Tatort"-Kommissarin beim NDR, noch einmal eine taffe Ermittlerin, im ersten Teil kommt die Sorge um das entführte Kind sicher etwas zu kurz. Sie setzt allerdings wiederholt in einigen heftigen Weinkrämpfen ein.

Ansonsten leidet die Spannung des Zweiteilers, wie in solchen Fällen üblich, am massenhaften Andrang des Personals. Weil aber auch die kleinste Rolle unter der Regie von Alexander Dierbach penibel durchgeformt wurde und die Kamera (Ian Blumers) sogkräftige Berlin-Bilder erzeugt, bleibt man gerne bis zur Lösung des verzwickten Falles dran. Berliner Straßen- und U-Bahn-Szenen, oft düster gehalten, tragen zum Film-noir-Look des Zweiteilers bei, mit dem SAT.1 zweifellos Renommierpunkte gesammelt hat. Das Ganze hätte auch Serienpotenzial gehabt!

Die eigene Mutterschaft (seit 2011) half Petra Schmidt-Schaller bei der Gestaltung der Rolle: "Mit der Geburt meiner Tochter ist genau diese Angst hinzu gekommen, die ich vorher nicht kannte. Die Angst davor, dass meinem Kind etwas passieren könnte oder es verschwindet. Dieses Ausmaß hätte ich mir vorher nicht vorstellen können."


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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