"Krankenhäuser schließen – Leben retten?": ARD-Autorin erklärt ihren Film
Die ARD-Doku "Krankenhäuser schließen – Leben retten?" (Montag, 15.07., 20.15 Uhr) dürfte für Unruhe im deutschen Gesundheitssystem sorgen. Eine neue Studie will belegen: Zwei Drittel der Krankenhäuser müssten schließen – und die Patientenversorgung würde sich verbessern. Die ARD-Autorin Meike Hemschemeier kann das auch erklären ...
Ihr Film, der von einer aktuellen Studie unterfüttert wird, behauptet, dass zwei Drittel der deutschen Kliniken zumachen müssten, damit sich die Patientenversorgung in Deutschland verbessert. Wie kann das sein?
prisma: Wie sind Sie darauf gekommen, die Anzahl der Kliniken in Deutschland unter die Lupe zu nehmen?
Meike Hemschemeier: Ich beschäftigte mich seit Jahren mit dem Gesundheitswesen und den Krankenhäusern in Deutschland. Daraus sind verschiedene Filme und ein Buch entstanden. Mich hat irgendwann stutzig gemacht, dass – wenn man mit Wissenschaftlern über Probleme in der Krankenhausversorgung spricht – es immer wieder heißt: "Ja, das liegt daran, weil wir so viele Krankenhäuser haben." Als Patient denkt man ja eigentlich: Viele Krankenhäuser sind gut. Deshalb wollte ich dem nachgehen.
prisma: Aus Patientensicht würde man meinen, zahlreiche und schnell erreichbare Krankenhäuser sind eine gute Sache. Wo ist der Haken?
Meike Hemschemeier: Zu viele Krankenhäuser bedeutet zunächst einmal, dass wir die Patienten auf viel zu viele Kliniken verteilen. Am Ende haben viele der Krankenhäuser zu wenig Erfahrung mit den Behandlungen, die sie anbieten. Dazu kommt ein weiteres massives Problem: Die Krankenhäuser konkurrieren um gute Ärzte und um Pflegepersonal.
prisma: Sie veröffentlichen in Ihrem Film die aktuelle Untersuchung eines renommierten Instituts, das zu einigermaßen drastischen Ergebnissen kommt ...
Meike Hemschemeier: Ja. Nach den Berechnungen der Wissenschaftler könnten wir zwei Drittel der Kliniken in Deutschland schließen – und die Gesundheitsversorgung der Patienten würde sich dadurch verbessern.
prisma: Wie kann das gehen?
Meike Hemschemeier: Indem man Fachkräfte und Ressourcen in weniger Kliniken bündelt, sodass alle Kliniken immer über genügend Erfahrung und Personal und auch über eine gute Ausstattung verfügen. Solche Bündelungen sind in den Städten laut der Wissenschaftler kein Problem. Da gibt es viele Angebote doppelt, dreifach, fünffach.
prisma: Und auf dem Land ...?
Meike Hemschemeier: Da muss man schauen. Das ist auch eine Frage an die Bürger, die dort wohnen: Wollen Sie lieber in einem Krankenhaus behandelt werden, das um die Ecke ist – aber dort kann man nicht so gut oder nur mit Verzögerung behandelt werden oder wollen Sie 30 Minuten fahren, und dann ist sofort ein Facharzt da, Sie können sofort mit Expertise behandelt werden. Es ging in dieser Studie ja nicht darum, eine Krankenhauslandschaft zu schaffen, in der Sie wie in anderen Ländern stundenlang zum nächsten Krankenhaus unterwegs sind. Wir reden von einer Struktur, in der immer noch die meisten Bürger in 30 Minuten ein Krankenhaus erreichen.
prisma: Haben wir in Deutschland denn wirklich mehr Krankenhäuser als in vergleichbaren Industriestaaten?
Meike Hemschemeier: Wir haben zwei Drittel mehr Krankenhausbetten aufgestellt als der Schnitt der EU-Länder. In vergleichbaren Ländern hat die Überzeugung, dass man in der heutigen Medizin das Know-how an weniger Kliniken bündeln sollte, schon lange eingesetzt. In den Niederlanden beispielsweise, etwa vergleichbar mit der Einwohnerzahl und Fläche von Nordrhein-Westfalen, hat dieses Umstrukturieren schon vor längerer Zeit stattgefunden. Da ist der Vergleich zu Deutschland noch drastischer. Wir organisieren die Versorgung der Patienten in mehr als dreimal so vielen Krankenhäusern. NRW hat etwa 400 Krankenhäuser, die Niederlande etwa 130.
prisma: Woher kommt es, dass es in Deutschland so viele Kliniken gibt?
Meike Hemschemeier: Das ist historisch bedingt. Früher war die Medizin weniger komplex. Da galt es nur, möglichst ein Krankenhaus in der Nähe zu haben – mit dem einen Chirurgen, der alles konnte. Diese Zeiten sind lange vorbei. Heute unterscheiden sich die Kliniken massiv in Sachen Ausstattung und Erfahrung. Jeder Chirurg hat ja auch eine Lernkurve. Wenn man einen Eingriff tausendmal gemacht hat, ist das etwas anderes, als wenn man ihn zehnmal durchgeführt hat.
prisma: Geht Deutschland denn bewusst einen anderen Weg in der Patientenversorgung als vergleichbare Länder?
Meike Hemschemeier: Warum das so ist, müsste man vielleicht einen Historiker fragen. Tatsächlich verlieren wir aktuell aber auch weniger Betten als andere Länder, die ihre Gesundheitssysteme in den letzten Jahren reformiert haben. Der Abstand von uns zu anderen EU-Ländern wird also zurzeit immer größer.
prisma: Woher kommt der Reformstau?
Meike Hemschemeier: Das Gemeine für den Patienten ist, dass es in Deutschland exzellente Medizin auf Weltniveau gibt. Nur erfährt man nicht immer davon, beziehungsweise geht aus Gewohnheit oder wegen einer Überweisung woanders hin. Gründe dafür, dass es so viele Kliniken gibt und die Versorgung nicht sinnvoller gebündelt wird, gibt es sehr viele. Zunächst mal: Krankenhausplanung ist in Deutschland Ländersache.
prisma: Aber auch da gäbe es doch Möglichkeiten, etwas zu tun ...
Meike Hemschemeier: In den letzten Jahren gab es mehrere Gesetze, die es den Bundesländern eigentlich ermöglichen würden, die Krankenhausplanung stärker nach der Qualität auszurichten: Also Kliniken oder Abteilungen zu schließen, die nicht gut genug sind oder Kliniken die Erlaubnis zu entziehen, bestimmte hochkomplexe Eingriffe zu machen – wenn sie einfach zu wenig davon machen. Die Länder nutzen diese Spielräume aber kaum. Andere Länder wie zum Beispiel Dänemark haben es da leichter mit solchen großen Reformen. Da wird das Gesundheitswesen anders als bei uns durch Steuern finanziert. Da kann die Politik ganz anders "von oben" durchgreifen, wenn es um Reformen geht.
prisma: Führen viele Krankenhäuser Operationen und Behandlungen durch, von denen sie wissen, dass man es andernorts besser könnte?
Meike Hemschemeier: Kliniken müssen Geld verdienen, und das tun sie vor allem, wenn sie operieren. So ist unser Gesundheitswesen organisiert. Richtig Geld gibt es fürs Operieren, die Verlockung ist also groß. Es gibt Operationen, zum Beispiel Knie- oder Hüftprothesen einbauen, die sind lukrativ für die Kliniken, da bleibt was über. Diese Operationen wollen also die meisten gern machen.
prisma: Erkennen die Kliniken denn, wenn Operationen für sie zu schwierig sind?
Meike Hemschemeier: Bei den hochkomplexen Operationen, glaube ich mittlerweile, geht es aber vor allem ums Renommee. Nach dem Motto: Wir machen das auch! Oft holen Kliniken Ärzte, die etwas Besonderes können, um ihr Portfolio aufzubessern. Leider fehlen jedoch oft die Strukturen, um diese Leistung wirklich auf höchstem Niveau anbieten zu können. Der gute Chirurg ist ja nicht 24 Stunden im Dienst. Er braucht ein starkes Team und eine entsprechende Ausstattung, um den Patienten und eventuelle Komplikationen behandeln zu können.
prisma: Es geht also um Eitelkeiten?
Meike Hemschemeier: Auch das. Andererseits ist vielen Krankenhäusern gar nicht bewusst, dass sie mit dieser Strategie in eine Falle tappen. Sie handeln sich mit komplizierten Operationen, die schiefgehen, oft eine Menge Ärger ein – auch finanziell. Mittlerweile kenne ich viele Klinikleiter, die Chefärzte suchen, die Patienten mit besonders komplexen Eingriffen lieber in Spezialzentren schicken, als sie selbst zu behandeln.
prisma: Sollte die Zahl der Kliniken tatsächlich verringert werden – wie stellt man sicher, dass ein Patient auf dem Land, der sehr schnell Hilfe benötigt, versorgt wird?
Meike Hemschemeier: Es kommt immer darauf an, was der Patient hat. Die meisten Patienten würden nach der Studie, die wir begleitet haben, trotz vieler Schließungen immer noch innerhalb von 30 Minuten ein Krankenhaus erreichen. Der Aspekt "schnelle Hilfe" würde sich gegenüber der jetzigen Klinikzahl in den meisten Regionen nicht signifikant verändern. Wir spielen im Film unterschiedliche Fälle durch. Man müsste natürlich die Struktur der Rettungsdienste anpassen, aber die Zahl der Kliniken ist nicht allein entscheidend, wenn es beispielsweise um einen Herzinfarkt geht.
prisma: Wie meinen Sie das?
Meike Hemschemeier: Die meisten Klinken in Deutschland sind gar nicht dafür ausgerüstet. Es gibt Berechnungen, die zeigen: Fast zwei Drittel unserer Krankenhäuser, die Herzinfarktpatienten behandeln, sind gar nicht rund um die Uhr dazu adäquat in der Lage. Das Szenario sieht so aus, dass man erst mal irgendwo hinkommt, wo Krankenhaus überm Eingang steht. Es ist aber gerade kein Facharzt da oder auch kein Herzkatheterlabor, wo man einen Stent setzen könnte. Also wird man wieder verlegt – oder man wartet auf den Kardiologen. In dieser Zeit wäre man locker in der nächsten größeren Klinik, wo man sofort von einem kompetenten Team empfangen würde.
prisma: Also müsste die Notfallversorgung nicht unter den Klinikschließungen leiden?
Meike Hemschemeier: Nein. Das sieht man ja auch an anderen Ländern wie in den Niederlanden oder noch drastischer in Dänemark, dass das funktioniert. Die Dänen zum Beispiel schneiden viel besser ab bei der Behandlung von Herzinfarktpatienten als wir – obwohl sie die komplette Herzinfarktbehandlung ihrer sechs Millionen Einwohner in nur vier Krankenhäusern zentralisiert haben. Das ist sehr beeindruckend, wie die das – zum Teil auch mit Helikoptern – organisieren.
prisma: Was müsste passieren, um unser System zu reformieren?
Meike Hemschemeier: Mit Lösungen des Problems über die Politik habe ich mich nicht so intensiv beschäftigt. Das ist ungeheuer kompliziert. Eine Möglichkeit zu handeln, haben aber heute schon die Länder. Hier könnte die Politik eine Qualitätsoffensive starten. In der Landeskrankenhaus-Planung müsste ankommen: Wir schaffen Zentren für diverse komplexe Eingriffe. Für Krebs-Chirurgie oder Herzinfarkt-Behandlung oder unterschiedliche endoprothetische Eingriffe beispielsweise. Das wäre zumindest ein guter Anfang.
Quelle: teleschau – der Mediendienst