Miriam Stein im Interview

"Auf dem Dorf lernt man mehr über das Leben"

von Eric Leimann

Im ZDF-Dreiteiler "Unterleuten" spielt Miriam Stein eine Jungunternehmerin, die auf dem Land Selbstoptimierungs-Hörbüchern lauscht. Gegensätzlich zu ihrer Rolle in der Bestseller-Verfilmung hat die Schauspielerin im Brandenburgischen ein sehr bewusstes Glück gefunden.

Miriam Stein ("Steirerkind") gehört zum wohl prominentesten Cast, der sich im Jahr 2020 für einen deutschen Fernsehfilm versammelt hat. In der dreiteiligen TV-Adaption von Juli Zehs hochgelobter Gesellschaftssatire "Unterleuten – Das zerrissene Dorf" (ab Montag, 9. März, 20.15 Uhr, ZDF) spielt die 31-Jährige neben einem Dutzend weiterer Stars. Als Jungunternehmerin in spe hat sie ihr Traum von einem Reiterhof aus Berlin in ein Brandenburgisches Dorf verschlagen. Als dort, am wirtschaftlichen Ende der Welt, Windkraftanlagen gebaut werden sollen, zerfällt die Dorfgemeinschaft im Streit um ihre Zukunft. Obwohl das bösartige ZDF-Stück keine Werbung fürs Landleben und seine Protagonisten macht, ist Miriam Stein mit ihrem Mann, dem Schauspieler Volker Bruch (Kommissar Rath aus "Babylon Berlin"), und dem gemeinsamem Kind im Sommer 2019 tatsächlich aufs Land hinausgezogen. In einem denkwürdigen Interview reflektiert sie die Erkenntnisse des Landlebens, berichtet von Gesprächen mit heimischen AfD-Wählern und hofft auf letzte Chancen, mit der Veränderung unseres Verhaltens doch noch die Welt zu retten.

prisma: "Unterleuten" gilt als einer der wichtigsten deutschsprachigen Romane der letzten Jahre. Wie schwer ist es, aus diesem hochgelobten Buch einen Film zu machen?

Miriam Stein: Ich habe den Roman kurz nach dem Erscheinen gelesen und war schon lange vor dem Filmprojekt ein großer Fan des Buchs. Irgendwie wusste ich, dass es bald verfilmt wird, weil ich die Figuren des Romans beim Lesen sofort vor mir gesehen habe. Als ich das Juli Zeh erzählte, wunderte die sich ziemlich. Sie fand den Stoff zu komplex für eine Filmadaption – die ihr nun aber gut gefällt. Es ist wohl die unterschiedliche Sichtweise einer Romanautorin und einer Schauspielerin auf einen Stoff ... (lacht).

prisma: Wovon handelt diese Geschichte über eine Brandenburgische Dorfgemeinschaft im Subtext?

Miriam Stein: Vordergründig geht es um ein Dorf in der Nähe von Berlin, in dem Alteingesessene und Zugezogene aufeinanderprallen. Roman und Film erzählen von Menschen, die vorgeben, etwas für die Gemeinschaft zu tun, und dabei eigentlich doch immer nur an sich selbst denken. Dadurch, dass jeder nur seine eigenen Bedürfnisse und Ängste im Zentrum des Geschehens sieht, kreieren alle Figuren ihre eigenen, scheinbaren Wahrheiten.

prisma: Teilen Sie dieses bittere Urteil darüber, wie wir Menschen funktionieren?

Miriam Stein: Auf einen Großteil der Menschen bezogen – leider ja. Wenn ich die Nachrichten studiere, was ich unter anderem dann intensiv tue, wenn ich mit der Bahn vom Land, wo ich mittlerweile wohne, nach Berlin fahre, lese ich viel Deprimierendes. Das Niederschmetternde beginnt schon damit, dass mein Tages-Ticket "Berlin ABC" um 1,90 Euro teurer geworden ist, nur weil wir das Jahr 2020 haben. Eigentlich sollten die öffentlichen Verkehrsmittel ja billiger werden, um etwas fürs Klima zu tun. Da verstehe ich die Welt nicht mehr.

prisma: Erstaunlicherweise beschreiben viele Leser das Buch "Unterleuten" als sehr witzig ...

Miriam Stein: Das stimmt. Auch bei der Teampremiere des Films wurde sehr viel gelacht. Über die Figuren meiner Kollegen Charly Hübner und Ulrich Noethen zum Beispiel, musste auch ich sehr lachen. Der Stoff besitzt eine Tragikomik, der man sich schwer entziehen kann. Man erkennt die Menschen des wahren Lebens fantastisch in den Figuren wieder. Allerdings wurde das Lachen von Teil eins bis drei Teil des Films immer weniger.

prisma: Warum bleibt einem das Lachen irgendwann im Halse stecken?

Miriam Stein: Weil sich die ach so menschlichen Konflikte immer mehr zuspitzen und eskalieren. Es ist so, wie ich es auch in der Welt gegenwärtig beobachte. Am Anfang scheint alles lustig: Wir genießen das Autofahren und schöne Flugreisen. Jeden Tag gibt es leckeres Fleisch. Jetzt langsam merkt man: "Oh, die Art, wie wir leben, hat viele dramatische Folgen für unseren Planeten." Schlimme Dinge kommen auf uns oder spätestens unsere Kinder zu. Wir leben in einer Zeit, in der einem generell das Lachen im Halse steckenbleibt.

prisma: Wie weit sind wir Menschen mit diesem Erkenntnis-Prozess? Wann werden wir unser Verhalten ändern?

Miriam Stein: Ich glaube, 2020 ist für unsere Gesellschaft ein dramatisches Wendejahr. Allen halbwegs intelligenten Leuten wird immer klarer, dass es so nicht weitergehen kann. Momentan entscheidet sich die Politik noch falsch – indem sie keinen klaren Kurswechsel in Sachen Umwelt und Klima einleitet. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich auch die Politik in absehbarer Zeit ändern wird. Einfach, weil es keine Alternative dazu gibt – ohne, dass wir alle untergehen.

prisma: Was bräuchten wir am dringendsten?

Miriam Stein: Eine Agrarwende, ein anderes Ernährungsverhalten. Die einfachste Art, wie wir das Klima retten können, weil wir die Politik dazu nicht brauchen, wäre eine Umstellung unserer eigenen Ernährung. Würden alle Menschen auf der Erde vegan leben, was übrigens auch der Gesundheit sehr guttut, würden sofort 50 Prozent der Treibhausgase, die für den Klimawandel verantwortlich sind, wegfallen. Sie kommen nämlich alle von der Nutztierhaltung.

prisma: Leben Sie auch vegan?

Miriam Stein: Ja, meine Familie und ich leben mittlerweile vegan in Brandenburg (lacht). Ich habe während der Dreharbeiten zu "Unterleuten" beschlossen, dass ich gerne aufs Land ziehen möchte. Viele verstanden das nicht und fragten: 'Wie kannst du nach so einem Film in ein sehr ähnliches Leben ziehen?' Und trotzdem finde ich, dass es die richtige Entscheidung war. Ich habe nun viel mehr Ruhe und Zeit. Man denkt wieder mehr, als in der Großstadt, wo man ständig abgelenkt ist. Auf dem Land fasst man die klareren Gedanken, finde ich.

prisma: Gibt es auch nervige Aspekte am Landleben? Zum Beispiel, dass man mehr beobachtet wird ...

Miriam Stein: Bis jetzt merke ich noch nichts Negatives. Wir wohnen allerdings auch erst ein halbes Jahr dort. Ich hatte Respekt vor dem ersten Winter, weil ich die Sorge hatte, es könnte trist werden. Aber es war ganz anders. Ich war so oft draußen, wie noch niemals in einem Winter zuvor. Man empfindet die Kälte dann auch nicht mehr als so kalt. Ich liebe es, dass ich mittlerweile jeden Menschen kenne, dem ich beim Gang durch den Ort begegne. Ich weiß auch bei jedem Haus, wer darin wohnt. Eigentlich fühle ich mich viel aufgehobener als all die Jahre, in denen ich zuvor in Berlin gewohnt habe.

prisma: Sie haben tatsächlich leicht Menschen kennengelernt – in Brandenburg auf dem Land?

Miriam Stein: Ja, das ging sehr schnell. Die Leute waren freundlich und interessiert. Auch deshalb, weil kein so großes Angebot an Menschen und Dingen herrscht, kommt man sich auf dem Land schnell näher. Ich habe mal ein Buch gelesen, in dem stand, dass man nur eine sehr geringe Zahl an Kontakten im Leben haben und pflegen könne. Alles, was darüber hinausgeht, überfordert uns als Menschen. Durch die digitale Illusion, wir könnten mit ganz vielen Menschen auf der Welt in intensivem Austausch leben, überfordern wir uns eigentlich andauernd.

prisma: Also wäre das Dorfleben und der Verzicht auf Social Media oder ähnliche moderne Errungenschaften viel besser für unsere seelische Gesundheit?

Miriam Stein: Ja, das glaube ich schon. Natürlich hatte ich auch Ängste, als sich unser Leben so klar mit dem Umzug veränderte. Doch ich muss sagen: Keine dieser Ängste wurde wahr. Ich habe sehr spannende Menschen kennengelernt und bin aus meiner Schauspieler-Blase herausgekommen.

prisma: Wie meinen Sie das mit der Blase?

Miriam Stein: Es ist schon ein großer Unterschied, ob man es mit Menschen zu tun hat, die sehr weltläufig unterwegs sind, die sich alle sehr bewusste Gedanken machen – aber am Ende eben doch weiter durch die Welt fliegen. Oder, ob ich mich mit einem Bauern in meinem Dorf unterhalte, der sagt: "Aber klar merke ich den Klimawandel – es regnet einfach nicht mehr bei uns." Ich kenne auch Leute im Dorf, die offen AfD wählen. Auch da ist es interessant und wichtig, mit denen ins Gespräch zu kommen.

prisma: Was könnte das bewirken?

Miriam Stein: Auch wenn es mir schwerfällt, da ich wirklich kein Verständnis dafür habe, wie man diese Partei wählen kann – egal wie groß die eigenen Ängste sind, versuche ich, den Menschen klarzumachen, dass die AFD keine Option ist und sicher keine Lösungen bringen wird. Dabei muss ich aber die Ängste der Menschen ernst nehmen. Das haben die anderen Parteien zu wenig getan. Gewissermaßen lerne ich auf dem Dorf mehr über das Leben und die Menschen, als in der geschützten Blase der Großstadt, weil man sich mit Allem mehr auseinandersetzen muss. Weil es näher an einem dran ist.

prisma: Ihr Mann, Volker Bruch, ist ebenfalls ein gut beschäftigter Schauspieler. Ist man nicht oft alleine auf dem Land, wenn der andere mal wieder für ein paar Wochen bei Dreharbeiten weilt?

Miriam Stein: Mit einem kleinen Kind ist man ja nie alleine (lacht). Und gerade der Kontakt zu anderen Müttern wird durch einen kleinen Menschen deutlich vereinfacht. Wir sitzen ja alle im selben Boot. Komischerweise war die soziale Vereinsamung als junge Mutter in Berlin viel stärker gegeben und spürbar, als in unserem neuen Zuhause. Ich habe über zehn Jahre in Berlin durch ganz normale Dinge wie in einem Café zu sitzen keine neuen Menschen kennengelernt. Auf dem Land lernt man überall und an jeder Ecke automatisch jemanden kennen. Alle sind neugierig, wer die Neuen sind. Natürlich werden sie nicht alle zu Freunden. Aber es kristallisiert sich schnell heraus, mit wem es "klick" macht – und mit diesen Menschen ist man dann auch schnell befreundet.

prisma: Kommen wir noch einmal aufs größere Bild zurück. Glauben Sie, dass sich der Untergang der Menschheit noch aufhalten lässt?

Miriam Stein: Ich schwanke täglich und stündlich mit meiner Meinung. Manchmal bin ich optimistisch, dass es möglich ist, sehr schnell – und das wäre vonnöten – vieles zu ändern. In meinen dunklen Momenten sage ich mir dann wieder: "Quatsch, die Leute werden nicht aufhören, Fleisch, Milch und Käse zu konsumieren, werden nicht weniger fliegen und Auto fahren." Ich selbst esse seit fünf Jahren vegan. Am Anfang mit gelegentlichen Ausnahmen, weil eine Umstellung auch ein wenig Zeit und Gewöhnung braucht. Ich denke, vielen Menschen ist der Zusammenhang zwischen Ernährung und Klima nicht bewusst. Meine Hoffnung ist, dass wenn man die Leute informiert, sie anfangen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich empfehle ein gutes Buch dazu – "Wir sind das Klima" von Jonathan Safran Foer.

prisma: Wie kann man die Menschen dabei unterstützen?

Miriam Stein: Die Politik müsste mehr machen. Ich verstehe nicht, warum es in der Schule kein Fach gibt, das sich intensiv mit Essen und Ernährung beschäftigt. Ein Fach, in dem man lernt, woher die Dinge kommen, die wir über den Tag in den Mund schieben. Viele Stadtkinder wissen nicht mehr, wie Milch entsteht. Dass man die Kälber von den Müttern trennt, um immer weiter Milch zu erzeugen. Unsere ganze Verdrängung, uns damit zu beschäftigen, ist absurd. Weil wir uns am Ende nur selbst massiv damit schaden.

prisma: Was sollte die Politik ganz konkret tun?

Miriam Stein: Sie müsste Massentierhaltung verbieten. Das klingt radikal, wäre aber der Schlüssel zu vielen positiven Entwicklungen. Wenn jeder Bauer nur so viele Rinder hätte, wie er selbst Futter produzieren und der Boden Gülle aufnehmen kann, wären schon viele Umweltprobleme gelöst. Fleisch würde teurer, die Menschen äßen deutlich weniger davon, und man wäre auf einem sehr guten Weg. Unsere Großeltern aßen auch nur einmal pro Woche Fleisch – es wäre also noch nicht einmal etwas Neues.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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