Fragen und Antworten

"Tatort" aus Franken: Wie gefährlich ist "Casual Dating"?

von Eric Leimann

Ihr gut organisiertes Liebesleben mit wechselnden Partnern wurde einer erfolgreichen Geschäftsfrau im "Tatort" aus Franken zum Verhängnis. Die Kommissare ermittelten in einem Fall über die Abgründe intensiver Zuneigung.

Eine schöne, kinderlose Geschäftsfrau Anfang 40, die einfach jeder mochte. Babs Sprenger, das Opfer des sechsten Franken-"Tatorts", wurde als engelhafter Prototyp eines modernen, selbstbestimmten und unabhängig getakteten Lebens inszeniert. Leider endete sie mit zwei Sushi-Messer-Stichen im Herzen.

Worum ging es?

Die erfolgreiche Geschäftsfrau Babs Sprenger (Anna Tenta), Managerin bei einer großen Immobilienfirma, wurde in ihrer schicken Fürther Wohnung erstochen. Die Tatwaffe, ein Sushi-Messer, findet sich ordnungsgemäß und top gereinigt in der Spülmaschine wieder. Auch der Rest der Wohnung wurde prima aufgeräumt. Bei Nachforschungen im Umfeld des allein lebenden Opfers Anfang 40 kommt heraus: Alle haben Babs Sprenger geliebt, doch sie hatte keine wirklich verbindlichen Beziehungen. Die Kommissare Felix Voss (Fabian Hinrichs) und Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) erfahren bald: Frau Sprenger holte sich per "Casual Dating" selbstbestimmt Liebhaber ins Haus – und entsorgte sie wieder. Ein junger, hochsensibler Klavierlehrer (Lukas B. Amberger) kam damit nicht klar.

Worum ging es wirklich?

Ist Liebe per App und Algorithmus planbar – wie Babs Sprenger dies wollte – oder sollte man sich lieber aufs analoge Chaos verlassen, wie es Kommissar Felix Voss mit der sympathischen Honigverkäuferin (Maja Beckmann) vom Markt versucht? Regisseur Max Färberböck ("Aimée & Jaguar") inszenierte seinen bereits dritten Franken-"Tatort", oft entstehen seine Filme gemeinsam mit der Autorin Catharina Schuchmann. Bereits das Franken-Debüt "Der Himmel ist ein Platz auf Erden" (2015) und Fall vier, "Ich töte niemand" (2018), war vom Kreativ-Duo Fäberböck / Schuchmann. Die beiden erschaffen keine "straighten" Krimis, sondern sie entwickeln – oft wendungsreiche – Handlungs-Konstrukte, in denen die Untiefen des Menschseins wie in einem Versuchsmodell ausgelotet werden. Diesmal geht es um die Liebe, die das Figuren-Ensemble auf unterschiedliche Art umtreibt: Ist sie an- und abschaltbar – und wie entsorgt man ihre "Altlasten"?

Was ist "Casual Dating"?

"Casual Dating" ist die perfekte Beziehungs-Lösung für Menschen, die nicht gleich verbindlich liiert sein wollen, die aber auch keine Lust auf den klassischen One-Night-Stand haben. So zumindest verspricht es die Werbung. Bei "Casual Dating" ist klar: Aus einem Treffen und daraus eventuell folgenden sexuellen Kontakten entstehen keine Verpflichtungen. Man kann den gefundenen Partner öfter treffen, vielleicht entsteht daraus sogar etwas Festeres. Es ist aber auch erlaubt, den Partner jederzeit und ohne Schuldgefühle wieder abzulegen. Der emotionale Stress des Schlussmachens entfällt – zumindest in der Theorie, laut Vereinbarung. Dass "Casual Dating" – wie im "Tatort" – perfekt zum Leben einer allein lebenden, kinderlosen Managerin passt, kann man sich gut vorstellen. Schließlich ist es die attraktive Frau im Film gewohnt, die Fäden ihres Lebens selbst in der Hand zu halten. Ihr Liebesleben folgt sozusagen den Regeln ihres sonstigen Kosum- und Geschäftslebens.

Ist "Casual Dating" gefährlich?

"Casual Dating" kann süchtig machen, davor warnen Experten. Gerade für äußerlich attraktive Partner ist ein Account bei einem der Anbieter des Dating Trends die gefühlt offizielle Legitimation, sich immer wieder – und öfter – mit neuen Partnern zu treffen. Parallel stattfindende Beziehungen sind dabei nicht verboten. Der Suchtfaktor besteht darin, sich immer wieder neue sexuelle Reize "holen" zu wollen, was für die wenigsten "Player" auf Dauer psychisch gesund sein dürfte. Schließlich handelt es sich bei Rendezvous mit Sex in den meisten Fällen ja doch um die intensive Begegnung zweier Menschen, die eben nicht nur sexuelle Bedürfnisse befriedigen, sondern auch ihre Gefühle mit in die (Kurzzeit)beziehungen einbringen. Dass parallele Beziehungen, menschliche Nähe ohne Verpflichtungen und schnelle Beziehungsabbrüche vertraglich legitimiert sind, ist die eine Sache. Ob das menschliche Gefühl – bei potenziellen "Casual Dating"-Partnern oder einem selbst – der geschäftlichen Vereinbarung folgt, ist jedoch im Vorfeld nicht immer abzusehen.

Löst "Casual Dating" die alten Partnerschaftsbörsen ab?

Nein. Die etablierten Partnerschaftsbörsen erfüllen jetzt schon verschiedenste Bedürfnisse, die sich zumeist aus den Ansprüchen ihrer Zielgruppe ergeben. Während erwachsene Akademiker ("Singles mit Niveau") vielleicht mehrheitlich etwas Festes suchen und ihre digitalen Helfer dabei vor allem auf Lebensdaten-Algorithmen setzen, haben jüngere Portale das schnelle Auswählen oder "Wegwischen" ihrer Kandidaten aufgrund schnell ersichtlicher Merkmale eingeführt. Über Phänomene wie "Casual Dating", "Ghosting" (das Verschwinden aus Beziehungen ohne Begründung oder Abschied) oder "Orbiting" / "Haunting" (wie "Ghosting", aber mit stillem Folgen des verlassenen Partners über die sozialen Netzwerke) wurde in letzter Zeit viel geschrieben. Fast alle Trends haben mit der zunehmenden Bedeutung sozialer Netzwerke zu tun. Dennoch dürfte der Wunsch nach echter, partnerschaftlicher Liebe in unserer Gesellschaft immer noch vorherrschend sein. Laut einer von "Die Zeit" beim Berliner Forschungsinstitut WZB in Auftrag gegebenen repräsentativen Studie erachteten im Oktober 2015 immerhin noch 90 Prozent der Deutschen das Gefühl der Liebe als höchstes Gut in ihrem Leben. Kaum vorstellbar, dass sich die Psychologie der Menschen in viereinhalb Jahren grundlegend verändert hat.

Was sagt der "Kommissar"?

Schauspieler Fabian Hinrichs hat im Interview eine dezidierte Meinung zum "Casual Dating" geäußert. "Solche reinen Sex-Portale, wie jene, auf denen sich das Opfer im Film auch bewegt hat, waren mir nicht bekannt", sagt der Felix-Voss-Darsteller. "Offenbar hat so etwas bei vielen Leuten das Kennenlernen, wie es früher einmal üblich war, abgelöst", mutmaßt der "Tatort"-Star. "Meiner Meinung nach verhindert es das Zustandekommen von Liebe. Liebe gründet auf den Moment des Zufalls: Da ist ein Zufall, den zwei Menschen festhalten möchten, ja, festhalten müssen, um darauf ihren eigenen, intimen Mythos zu begründen. Es entsteht 'eine Ewigkeit in der Zeit', wie es der französische Philosoph Alain Badiou so wunderbar beschrieben hat."

Der Algorithmus, findet der Schauspieler, "erzeugt das genaue Gegenteil: Es geht darum, den Zufall auszuschließen. Auf den Portalen bewegt man sich in einer binären Welt, die mit Liebe wohl nicht viel zu tun hat." In der Liebe, philosophiert Hinrichs weiter, "erfährt man die Begegnung mit einer Differenz. Im Netz ist es aber wie beim Shoppen: Man wischt übers Handy und sucht nach dem besten Produkt, dann wird bestellt. Wenn sich die Ware dann doch nicht als ganz so perfekt erweist oder kleine Mängel hat, schickt man den Karton eben retour." Sex und Liebe würden zum "Produkt, von dem man sich recht schnell wieder verabschieden kann". Aber, sagt Hinrichs: "So unromantisch das alles ist, es passt, muss man leider sagen, in die Zeit: Wir agieren in allen Lebensbereichen immer marktförmiger. Was oder wer Mängel hat, wird aussortiert. Das ist in das Subjekt verlagerte ökonomische Theorie."


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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