Moritz Bleibtreu im Interview

"Der deutsche Film wird immer Regionalliga sein"

von Christopher Schmitt

Als Schauspieler gilt er schon seit Jahrzehnten als deutsches Aushängeschild. Nun feiert Moritz Bleibtreu mit "Cortex" sein Regiedebüt. Im Interview spricht er über kontrolliertes Träumen, die Inspiration durch Christopher Nolan und warum der deutsche Film seinen schlechten Ruf zu Recht hat.

Für sogenannte luzide Träumer gerät das Träumen zur Spielwiese. Es ist ihnen möglich, im Traum an jeden beliebigen Ort zu reisen und dort zu tun oder zu lassen, was immer sie wollen. Das luzide Träumen spielt im neuen Psychothriller "Cortex" (Kinostart: 22. Oktober) von Moritz Bleibtreu, für den er nicht nur eine Hauptrolle übernahm, sondern erstmals als Regisseur tätig war, eine entscheidende Rolle. Jahrelang lag das von ihm verfasste Drehbuch, das zwischen Traum und Wirklichkeit pendelt, in der Schublade. Beim Interview in entspannter Gesprächsatmosphäre in München wirkt es, als habe sich der 49-Jährige mit der Chance, seine eigene Geschichte selbst inszenieren zu dürfen, nun einen Traum verwirklicht.

prisma: Herr Bleibtreu, was macht das Träumen zu einem guten Filmstoff?

Moritz Bleibtreu: Gerade für einen Filmemacher ist das Träumen faszinierend. Ich finde, ein Traum ist wie ein ultimatives Kino. In dem Moment, in dem du einschläfst, geht der Vorhang auf und der Film fängt an. Diesen Film hast du selbst geschrieben, auch wenn du nicht weißt, warum und wie er aufhört.

prisma: Gibt es etwas, das Ihnen den Schlaf raubt?

Bleibtreu: Guter Schlaf ist bei mir phasenabhängig. Aber ich schlafe grundsätzlich nicht leicht ein, das ist manchmal ein Problem. Zuweilen bringt mich auch der Anspruch an meine eigene Arbeit um den Schlaf: beispielsweise, wenn ich es verpasst habe, eine Befindlichkeit meiner Figur stärker herauszustellen. Ich reflektiere dann noch mal den Tag, denke mich in eine Szene zurück und merke auf einmal: "Oh Gott, du hast etwas vergessen."

prisma: Luzides Träumen ist eines der Kernelemente Ihres Films "Cortex". Was haben Ihnen denn angebliche luzide Träumer erzählt?

Bleibtreu: Die erzählen dir Dinge wie: "Wenn ich will, gehe ich jeden Abend in einem Drei-Sterne-Restaurant essen. Und wenn ich möchte, dann mit Iris Berben." Es ist schon irre, wenn man sich überlegt, dass die ganze Welt nach Glück strebt, und dann steht da einer, der dir berichtet: "Alles, was ich machen muss, ist mich hinlegen und schlafen. Dann bin ich, wer und was auch immer ich will." Für diese Leute fühlt sich das alles echt an.

prisma: Was sagt die Wissenschaft dazu?

Bleibtreu: Generell weiß die Wissenschaft nur wenig über das Träumen. Außer, dass irgendwelche Chemikalien in deinem Kopf Tango tanzen. Alle sind sich aber darin einig, dass das Unterbewusstsein Dinge abspeichert und, um diese einzuordnen, Bilder erzeugt. Luzides Träumen wird wissenschaftlich häufig belächelt und als Scharlatanerie abgetan.

prisma: Bei "Cortex" handelt es sich um Ihr Regiedebüt. Was war Ihr Anspruch?

Bleibtreu: Es war mir wichtig, einen Film zu machen, der mich so definiert, wie ich mich selbst als Geschichtenerzähler sehe. Denn der erste Film als Regisseur ist eine Visitenkarte. Jeder, der mich kennt, weiß, in diesem Film steckt viel von mir drin. Bereits als sehr junger Mann habe ich mit dem Schreiben angefangen, oft an mehreren Drehbüchern gleichzeitig. Vor ungefähr drei Jahren stand fest, dass "Cortex" mein Regiedebüt werden sollte. Am Ende des Tages hätte ich aber auch nicht gedacht, dass mich das irgendjemand umsetzen lässt. Als Warner dann gesagt hat, sie sind dabei, hatte ich selbst erst einmal Schiss und dachte: "Oh, jetzt musst du es machen" (lacht).

prisma: Ist man auch nach so vielen Jahren im Filmgeschäft stolz, wenn der Schriftzug "Ein Moritz Bleibtreu Film" eingeblendet wird?

Bleibtreu: So geil das auch aussieht, ist das lustigerweise eine riesige Lüge. Denn ich habe bereits gelernt, dass ich definitiv immer ein Regisseur sein werde, der delegiert. Ich werde kein Regisseur sein, der sagt: "Hier läuft alles so, wie ich es will, keine Kompromisse und nach mir die Sintflut." Mein größter Spaß ist es, jemanden kreativ zu involvieren, der dann das, was ich mir ausgedacht habe, bereichert. Wenn man einmal verstanden hat, dass der Film, den man machen wird, nie der Film sein wird, den man am Schreibtisch im Kopf hatte, dann ist Input von anderen immer ein Zugewinn.

prisma: Auf welcher Tätigkeit lag am Set Ihr Hauptaugenmerk?

Bleibtreu: Meine größte Arbeit neben dem Spielen war es, Motivator zu sein. Dafür zu sorgen, dass die Leute Bock haben. Für den Rest habe ich auf jeder Position super Leute. Ich habe natürlich einen großen Vorteil als Regieanfänger gegenüber jemandem, der gerade von der Münchner Filmhochschule kommt. Der kann nicht Thomas Kiennast und Nadja Uhl anrufen und wird wohl auch Jannis Niewöhner nicht bekommen. Und das, obwohl die das Buch am Anfang nicht ganz verstanden haben (lacht). Dass sie trotzdem gesagt haben, sie machen mit, ist ein großes Kompliment für mich.

prisma: Haben Sie Christopher Nolans "Tenet" gesehen – und verstanden?

Bleibtreu: Ich fand ihn super und ich bilde mir auch ein, verstanden zu haben, was man verstehen muss. Bei "Tenet" war sehr spannend zu sehen, dass Leute dem Narrativ folgen konnten und wie viele den Film mochten. Es war beruhigend zu sehen: "Schau mal, ich bin nicht der einzige, der so einen Quatsch macht" (lacht). Auch "Memento" ist sicher für "Cortex" eine Initialzündung gewesen, weil Nolan es damals geschafft hat, mit dieser Erzählstruktur das Kino völlig auseinanderzunehmen. Er hat Zeitstrukturen zerlegt und rückwärts erzählt. Das hatte ich noch nie gesehen und mir gedacht: "Das will ich gerne mal machen."

prisma: Diese Art der Erzählung taugt aber auch nicht jedem ...

Bleibtreu: Klar, es gibt auch Zuschauer, die wollen, dass sich ein Film aus sich selbst erschließt. Dass man sich den bei einer Tüte Popcorn in die Hosentasche stecken kann. Das verstehe ich, und manchmal mag ich solche Filme ja auch. Aber ich liebe es auch, wie bei einer kleinen Schnitzeljagd aktiv mitzudenken.

prisma: Als der Trailer zu "Cortex" auf YouTube erschien, war in den Kommentaren häufiger zu lesen: "Sieht gut aus für einen deutschen Film". Ärgern Sie solche Aussagen?

Bleibtreu: Nein, das ist einfach eine legitime Zustandsbeschreibung. Wir erwarten vom deutschen Kino nicht viel. Besonders in den letzten zehn Jahren haben wir nicht viele Vorbilder geliefert bekommen, die das deutsche Kino inhaltlich, stilistisch oder visuell wirklich weitergebracht hätten. Das ist eine Tatsache.

prisma: Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Bleibtreu: Es ist einfach so, dass uns einerseits die Globalisierung einen Strich durch die Rechnung macht und der Filmmarkt immer mehr zusammenrückt. Gerade deutsche Regisseure haben sich irgendwann gedacht, dass man mit Genre-Kino in den USA besser aufgehoben ist. Gleichzeitig können wir eben keine 250 Millionen für einen Film ausgeben. Deswegen wird deutscher Film immer Regionalliga sein im Vergleich zur Champions League – und die ist Hollywood.

prisma: Und es gibt keine Chance, dass sich das wieder ändert?

Bleibtreu: Ich glaube nicht. Bei unserer kaputten nationalen Identität ist das leider nicht anders möglich. Anhand von Ländern wie Dänemark oder Frankreich erkennt man, dass es auch anders geht. Wir haben einfach den Zugang zu unserer kulturellen Identität verloren. Und wir haben es verlernt, von Heldenfiguren zu erzählen, mit denen sich die Leute wirklich aufrichtig identifizieren und die sie bewundern. Zudem haben wir es versäumt, Stars groß zu machen.

prisma: Seinen schlechten Ruf hat der deutsche Film also zu Recht?

Bleibtreu: Bis zu einem gewissen Grad ja. Es gab aber eine goldene Zeit des deutschen Films, in der sich dieser Ruf hätte verändern können. Von 2000 bis zum Tod von Bernd Eichinger 2011 gab es großartige deutsche Filme wie etwa "Lola rennt" oder "Good Bye, Lenin!". Was war denn der letzte Film, der nur ansatzweise die Größe von "Der Baader Meinhof Komplex" erreicht hat? Seitdem hat es das nicht mehr gegeben. Das war eine Form von Kino, die war groß, relevant, aktuell und modern. Dies war die verpasste Chance für Deutschland, den Schalter umzulegen und von diesem blöden Minderwertigkeitskomplex wegzukommen.

prisma: Inwiefern?

Bleibtreu: Als Florian Henckel von Donnersmarck für "Das Leben der Anderen" den Oscar gewann, hätte ganz Deutschland unisono hinter ihm stehen müssen. Man hätte sagen sollen: "Wir haben jetzt einen neuen deutschen Film, und wir begegnen ihm mit Begeisterung." Doch das ist nicht passiert. Ich glaube, wir haben uns über unser eigenes Glück zu wenig gefreut. Aber da sind die Deutschen ja sowieso gut drin – außer beim Fußball, da geht's (lacht).


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Das könnte Sie auch interessieren