"Sing meinen Song"-Teilnehmer im Interview

Moses Pelham: "Auch Rapper sehnen sich nach Liebe"

von Eric Leimann
Nach dem Abschied von Xavier Naidoo übernehmen Sascha Vollmer und Alec Völkel von "The BossHoss" in der vierten Staffel von "Sing meinen Song – Das Tauschkonzert" die Rolle des Gastgebers.
BILDERGALERIE
Nach dem Abschied von Xavier Naidoo übernehmen Sascha Vollmer und Alec Völkel von "The BossHoss" in der vierten Staffel von "Sing meinen Song – Das Tauschkonzert" die Rolle des Gastgebers.  Fotoquelle: VOX / Christoph Voy

Moses Pelham veränderte mit seiner Sprache und einem hohen Produktions-Standard nicht nur den deutschen HipHop, sondern den gesamten deutschen Pop. Als Person blieb er immer unverstanden. Hier erklärt er, warum.

Er ist wieder da: Moses Pelham, Erfinder des deutschsprachigen Gangsta Rap. Erfolgsproduzent von Xavier Naidoo, von Sabrina Setlur und Glashaus. Dazu jener Mann, der Stefan Raab einst beim Echo das Nasenbein brach. Seit seinem Auftritt in der TV-Show "Sing meinen Song" sieht man den früheren Rödelheim-Hartreim-Aggressor jedoch gänzlich anders. Dort gab er den grüblerisch-liebevollen Schmusebären, der Auftritte von intensiver Wucht aufs Parkett zauberte. Natürlich musste Pelham, der selten Werke unter eigenem Namen veröffentlicht, nach dem VOX-Event auch mit einem neuen Arbeitszeugnis aufwarten. Im Interview erklärt der 46-jährige Frankfurter, warum sich seine Einstellung zum Leben grundsätzlich verändert hat und wie es zu seinem komplett falschen Image kommen konnte.

prisma: 1994 erfanden Sie mit dem Rödelheim Hartreim Projekt deutschsprachigen Gangsta Rap. Seitdem hielt man Sie für einen harten Jungen und Rödelheim für den gefährlichsten Ort Deutschlands ...

Moses Pelham: Manchmal glaube ich, ich habe dem Stadtteil mit meiner Karriere einen Bärendienst erwiesen. In der Tat ist es dort eher beschaulich, vorstädtisch, fast ein bisschen langweilig. Doch wie kam es zum falschen Image? Es war die Wut, die damals in unserer Musik steckte. Sie hat natürlich auch in den Texten gesteckt. Wenn man dann von seiner Herkunft erzählt, liegt der Schluss nahe, dass man von einem harten Pflaster erzählt. Das alles war aber nie so intendiert.

prisma: Haben sich Kommunalpolitiker bei Ihnen beschwert?

Pelham: Nein, nie. Eher im Gegenteil. Ich denke, die meisten sind froh darüber, dass ein Stadtteil, der als letzte Bastion vor dem Hinterland durchgeht, zu solcher Berühmtheit gelangte. Rödelheim war früher ein Naherholungsgebiet. Im Brentanopark, den auch das Video zu meinem neuen Song "You remember" zeigt, hat schon Goethe gerne Zeit verbracht.

prisma: Nun machen Sie sehr selten eigene Alben. Mussten Sie das letzte schnell fertigstellen, weil Sie den Schub der Fernsehshow "Sing meinen Song" mitnehmen wollten?

Pelham: Klar, die Show war eine schöne Vorlage. Es wäre mir aber gar nicht möglich, in wenigen Monaten ein Album aufzunehmen, weil ich an meinen eigenen Sachen immer sehr langsam arbeite. Ich brauche ungeheuer viel Zeit. An dieser Platte arbeite ich seit 2013.

prisma: Weil die Inhalte so persönlich und Sie ein Grübler sind?

Pelham: Ich arbeite tatsächlich sehr lange an Textzeilen, auch weil ich vieles verwerfe. Natürlich gibt es dann Pausen, in denen ich andere Sachen mache. Viele Songwriter oder Rapper sagen, dass Musik ihre Therapie sei. Natürlich ist das nicht ganz falsch. Ich kenne andererseits niemanden, der das, was er seinem Psychotherapeuten erzählt, genauso veröffentlicht. Nicht alles, was therapeutisch ist, ist auch Kunst. Nur wenn beide Qualitäten zusammen kommen, veröffentliche ich Musik. Deshalb braucht sie ihre Zeit.

prisma: Ihre letzten drei Soloalben hießen "Geteiltes Leid", Teil 1 bis 3. Das klingt dann aber doch ein wenig nach Therapie ...

Pelham: Sagen wir, es klingt nach Leben. Gelebtes Leben steigert die Qualität von Musik, davon bin ich überzeugt.

prisma: Und der Sound Ihres Lebens ist eher dunkel ...

Pelham: Finden Sie? Nun gut, ich werde vielleicht kein Party-Rapper mehr (lacht). Meine Texte spielen sich vorwiegend vor Moll-Akkorden ab. Dabei sind sie heute weitaus positiver als früher. Heute ist es mir wichtig, mit meiner Musik etwas Positives festzuhalten. Was ein ganz menschlicher Wunsch ist, finde ich. Und die Kunst folgt ja dann nur dem Leben.

prisma: Was ist passiert, dass aus dem wütenden Moses Pelham von früher so ein sanftmütiger Mensch geworden ist?

Pelham: Die wichtigste Erkenntnis war, dass die Hauptstellschraube meines Lebens ich selbst bin. Es nutzt nichts, sich permanent über andere zu beschweren. Man kann sich nur selbst ändern. Dass ich ein Mensch bin, der ans Licht will, konnte man, glaube ich, schon meinen letzten Arbeiten entnehmen. Auf "Geteiltes Leid 3", dem letzten Glashaus-Album "Kraft" oder auch auf "Nicht von dieser Welt 2" mit Xavier Naidoo.

prisma: In "Sing meinen Song" wirkten Sie tatsächlich sehr weich und warmherzig. War die TV-Show eine sehr bewusst wahrgenommene Möglichkeit zur Image-Korrektur?

Pelham: Ich würde lügen, wenn ich jetzt sagte, dass ich mir darüber keine Gedanken gemacht habe. Mir war bewusst, dass diese Sendung nicht nur die Möglichkeit bietet, mein Gesamtwerk einer anderen Öffentlichkeit vor Augen zu führen. Es war auch die Chance, mich als Person zu zeigen.

prisma: War das alte, aggressive Moses-Pelham-Image falsch oder gar aufgesetzt?

Pelham: Von jedem Künstler, der sich in die Öffentlichkeit begibt, entsteht eine Karikatur. Ich glaube, dass sich viele Prominente missverstanden fühlen. Ich bilde mir ein, ganz besonders missverstanden worden zu sein. Bei "Sing meinen Song" habe ich mich nicht bewusst verhalten. Ich wusste aber, dass dadurch, dass ich einfach nur ich selbst bin, eine gewisse Wirkung entstehen würde.

prisma: Wie kam es dazu, dass Sie ein Image pflegten, das offensichtlich nichts mit Ihnen selbst zu tun hatte?

Pelham: Ich war früher mit vielen Dinge sehr unzufrieden und habe mich auch nicht gescheut, dies hier und da zu äußern. Dazu kommt meine künstlerische Herkunft. Rap ist eine Straßen-Kultur. Da drückt man sich sehr direkt aus: 'Hey, dass lass ich nicht mit mir machen.' Ich habe mich nie als aggressiven Typen wahrgenommen. Ein Aggressor ist ja der, der mit etwas beginnt. Ich dagegen habe mich immer in der Verteidigung gesehen. Dass das nicht jeder tat, ist mir völlig klar. Zumal Auseinandersetzungen über jemanden, den man nur aus dem Fernsehen kennt, nicht wissenschaftlich geführt werden, sondern eher auf Kneipen-Niveau mit 2,5 Promille.

prisma: Woher kam die Wut, die im Rödelheim Hartreim Projekt drinsteckte?

Pelham: Ich glaube, es war die grundsätzliche Erkenntnis, dass das Leben nicht so war, wie wir es uns vorstellten. Wir sahen viel Ungerechtigkeit. Unsere Musik war die Rache der Zukurzgekommenen.

prisma: Wurden Sie rassistisch angefeindet?

Pelham: Nein, da habe ich nichts erlebt, was mich persönlich oder künstlerisch stark geprägt hätte. Als Zukurzgekommene empfanden wir uns, weil wir als Künstler lange Zeit nicht den Respekt bekamen, den wir für angemessen hielten. Genau dieses Gefühl haben wir mit den Mitteln des Battle-Raps und der Straße ausgedrückt.

prisma: Aggressive Rapper sind also meist zart besaitete, verwundete Seelen, die mit Worten um sich hauen?

Pelham: Alle Menschen sehnen sich nach Liebe und Harmonie. Irgendwie haben wir es dennoch hinbekommen, dass wir in einer Kultur der sozialen Kälte leben. Vor allem in den großen Städten, wo ja auch Rap herkommt. Wie oft geht man morgens zum Bäcker und denkt sich da bereits: 'Wie kann die Verkäuferin so unfreundlich und respektlos zu mir sein? Was läuft hier schief?' Rap ist, vor allem in seiner Battle-Form, Teil dieses Teufelskreises. Man reagiert auf Respektlosigkeit mit verbaler Aggressivität, was dann natürlich auch wieder negative Reaktionen hervorruft. Aber dass es so ist, muss man auch erst mal erkennen. Ich zumindest habe eine Weile dafür gebraucht.

prisma: Kann man im HipHop überhaupt würdevoll altern?

Pelham: Natürlich. Es kommt immer darauf an, ob man etwas zu sagen hat. Wenn es so ist, gibt es keinen Grund, mit dem Rappen aufzuhören. Ich liebe diese Musik immer noch sehr. Natürlich muss man sich verändern. Nicht krampfhaft, sondern ganz natürlich. Aber das ist auch nicht schwer. Man verändert sich im Leben doch ohnehin. Wenn ich mit über 40 immer noch rappen würde, dass ich, aus welchen Gründen auch immer, geiler bin als ein anderer, wäre es Zeit aufzuhören. Aber ich denke und sage so etwas ja nicht mehr.

prisma: Sie sind ein Pionier der deutschen Sprache. Heute ist das Popradio voll mit deutschsprachiger Musik. Macht Sie das stolz oder nerven die vielen Nachahmer?

Pelham: Ein bisschen Stolz ist schon da. Ich fühle mich aber auch nicht von der Zeit überholt. Klar, heute rappen und singen alle auf Deutsch. Aber selbst die Älteren sind ja erst seit acht oder zehn Jahren dabei. Vieles von dem, was ich da höre, erreicht erst heute so langsam das Niveau, das wir vor 20, bald 25 Jahren bereits hatten. Ich glaube, das HipHop die Popmusik noch stärker verändert hat, als viele glauben. Wir Rapper hatten damals so eine Punk-artige Herangehensweise, um zu einem Playback zu gelangen: 'Hey, gib uns einen Beat mit ein paar Geräusche, über die wir rappen können.' Die Produktionsweisen waren sehr wild und kreativ. Auch wenn Popmusik heute zum Teil sehr ausgefuchst ist, steckt da immer noch dieser neue Geist drin, der zweifellos aus dem HipHop stammt.

prisma: Sind Sie zufrieden mit dem Niveau der deutschen Sprache, das wir heute im Pop haben?

Pelham: Man muss da unterscheiden. Nicht alles, was deutsch ist, ist automatisch gut. Andererseits finde ich es ungeheuer wichtig, dass wir heute so viel deutsche Sprache im Pop haben. Früher als Kinder fanden wir alles scheiße, was in der eigenen Sprache war: deutsche Texte, deutsche Filme. Das ist doch eine schizophrene Situation. Wie sollst du ein selbstbewusster Mensch werden, wenn du deine eigene Kultur und Sprache ablehnst? Um eine gewisse Qualität zu erreichen, ist es unabdingbar, dass Künstler Gefühle in ihrer eigenen Sprache ausdrücken.

prisma: Und über die Masse kommt automatisch auch Qualität zustande?

Pelham: Zunächst musste es normal werden, Gefühle in der eigenen Sprache ausdrücken zu können. Das ist mittlerweile passiert. 20-jährige Texter denken heute nicht mehr darüber nach, ob sie, egal welchen Stil sie verfolgen, deutsche oder englische Lyrik produzieren. Deutsch ist das natürliche Ausdrucksmittel. In den 90-ern war es noch ganz anders. Ich habe mich darüber mit Udo Lindenberg unterhalten, der meine Erfahrung 20 Jahre früher in den 70-ern machte. Wir stellten fest, dass wir beide nur deshalb mit dem Deutschen angefangen haben, weil wir einerseits zwar amerikanische Musik liebten, es uns andererseits aber wichtig war, unsere Gefühle herüberzubringen. Vielleicht haben wir einfach mehr gelitten als andere (lacht).


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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