Interview

Johannes B. Kerner: "Es gibt keine offene Wunde, die blutet"

von Eric Leimann

Die vierteilige Showreihe "Wir lieben Fernsehen!" blickt auf Höhepunkte aus 50 Jahren Farbfernsehen zurück. Moderator Johannes B. Kerner, der das Medium seit 30 Jahren aus der Nähe kennt, zieht eine sehr persönliche Bilanz.

Johannes B. Kerner begann 1986 als Praktikant beim Sender Freies Berlin. Ab Sommer 1992 moderierte er die Fußball-Bundesliga bei "ran", der damaligen Sendung des Rechteinhabers SAT.1. Zu diesem Zeitpunkt war der gebürtige Bonner gerade einmal 27 Jahre alt. Mitte der 90-er folgte sein Wechsel zum ZDF. Kerner, der mit der ehemaligen Hockey-Weltklassespielerin Britta Becker vier Kinder hat, stieg zu einem der begehrtesten Moderatoren Deutschlands auf. Einer, der mit großen Sport-Events, aber auch Shows oder Talk souverän umgehen konnte.

Um einem Rückblick auf 50 Jahre Farbfernsehen geht es in der ab 17. August (20.15 Uhr, ZDF) an vier Donnerstagen stattfindenden Showreihe "Wir lieben Fernsehen!". Der 52-jährige Kerner, selbst seit fast 30 Jahren auf dem Fernsehschirm, moderiert sie gemeinsam mit seinem Kollegen Steven Gätjen.

prisma: Was war Ihr erster Fernsehmoment?

Johannes B. Kerner: Sie meinen, mein erster Farbfernsehmoment?

prisma: Nein, Ihre erste Fernseherinnerung überhaupt!

Kerner: Ich glaube, es war das WM-Finale 1974. Deutschland gegen Holland. Die Holländer trugen ihre orangenen Trikots, der Torwart hatte ein knallgelbes an. Daran kann ich mich gut erinnern.

prisma: Da waren Sie immerhin neuneinhalb Jahre alt. Gibt es nichts Älteres?

Kerner: Ich bin Jahrgang 1964. Damals wurde nicht so viel Fernsehen geguckt. Ich habe lieber draußen gespielt. Wenn ich von der Schule kam, wurden die Sachen in die Ecke geschmissen, und dann nichts wie raus. Bis irgendwann die Mutter rief, man möge zum Abendessen kommen oder habe noch Schularbeiten zu machen. Dann musste ich rein.

prisma: War das Fernsehen damals weniger verführerisch als heute?

Kerner: Das Angebot war geringer. Es gab damals zwei Programme, später drei. Für Kinder war nicht viel dabei. Klar, ich habe das wenige, das es gab, mit Hingabe verfolgt: "Lassie", "Flipper", "Daktari". Obwohl "Daktari" gegen die Sportschau lief – das fand ich ziemlich blöd.

prisma: Ist Ihren Kindern das Fernsehen heute wichtiger als Ihnen damals?

Kerner: Nein, ich glaube nicht, dass es einen großen Stellenwert in ihrem Leben besitzt. Würde man sie fragen, kämen wahrscheinlich andere Dinge, die ihnen mehr bedeuten: Freunde, Ferien.

prisma: Dabei heißt es, die Kids wären heute nicht mehr von den Bildschirmen wegzukriegen ...

Kerner: Klar, die Kinder und auch wir sitzen heute wahrscheinlich viel zu viel vor Bildschirmen. Das Fernsehen hat natürlich auch viel Konkurrenz bekommen: Computer, Smartphone. Dabei erfährt mein Medium, das Fernsehen, seit ein paar Jahren ja einen ziemlichen Abgesang. Viele denken, die Menschen würden immer weniger fernsehen. Viele brüsten sich damit, gar keinen Fernseher mehr zu besitzen. Tatsächlich ist es aber so, dass die Nutzungszeiten des Fernsehens statistisch immer weiter steigen.

prisma: Woher kommt die Fehlwahrnehmung?

Kerner: Man kann es auch demografisch erklären. Wir werden eben immer älter. Die Älteren in unserer Gesellschaft gucken mehr fern. Das hat natürlich Einfluss auf die Zahlen.

prisma: Es stimmt also, dass die Jüngeren tatsächlich weniger fernsehen?

Kerner: Was heißt "fernsehen"? Ob ich etwas live im Fernsehen, als Live-Stream auf dem Handy oder später irgendwann in der Mediathek gucke, ist doch einerlei. Der Kuchen verteilt sich heute auf viele Geräte und Bildschirme. Aber es bleibt noch immer ein Kuchen. Wichtig für die Fernsehmacher ist, dass ihre Programme auf Interesse stoßen. Weniger wichtig ist, wann, wo oder über welches Gerät die Inhalte geschaut werden.

prisma: Ihre Showreihe "Wir lieben Fernsehen!" erinnert an jene Zeiten, als viele Millionen Menschen Ereignisse zeitgleich gesehen haben. Warum sind wir so angefasst von dieser Art Nostalgie?

Kerner: Die Bilder wecken eigene Erinnerungen, jedoch ohne die Verklärung aufzuheben. Man blendet das Schlechte aus und erinnert sich an jenes, was einen damals emotional berührt hat. Das kann durchaus etwas Trauriges sein, aber man empfindet die Erinnerung daran nicht als negativ.

prisma: Nostalgie ist also die emotionale Währung einer solchen Show?

Kerner: Ja, besser noch: Emotion ist die nostalgische Währung. Wir leben auch von der Verklärung. Es ist nicht unser Ziel, eine wissenschaftliche Aufarbeitung vorzunehmen. Nach dem Motto: So war es damals wirklich! Es geht um die Erinnerung kollektiver Fernseh-Wahrnehmungen aus 50 Jahren. Nur ein Beispiel: Wir lassen die "Schwarzwaldklinik" wieder aufleben. Sicher kann man sich darüber streiten, ob das gutes Fernsehen war oder was uns das heute noch bringt. Andererseits: Das haben damals 28 Millionen Menschen geschaut. Danach konnten sie es kaum abwarten, bis die nächste Folge lief. Wer bin ich, wenn ich da über die Qualität der Drehbücher reden wollte. Wolfgang Rademann, Erfinder der "Schwarzwaldklinik" und des "Traumschiffs" hat immer gesagt: "Ich mache meine Sendungen nicht für die Kritiker, sondern für die Zuschauer. Davon gibt es nämlich mehr."

prisma: War es in Ihrer kindlichen Wahrnehmung ein großes Ding, als das Fernsehen farbig wurde?

Kerner: Nein, man hat die Fernsehmomente so hingenommen, wie sie waren. "Dick und Doof" waren und blieben immer schwarzweiß. Trotzdem waren ihre Filme ein wichtiger Fernsehmoment für mich. In Wahrheit war der Übergang zwischen Schwarzweiß und Farbe mehr eine symbolische Sache. Der berühmte Knopfdruck von Willy Brandt 1967 auf der IFA. Es gab aber davor schon einige Sendungen in Farbe – und danach logischerweise auch noch Filme in Schwarzweiß.

prisma: Was waren Ihre persönlich wichtigsten Fernsehmomente?

Kerner: Zwei Ereignisse, bei denen ich "live" dabei bei. Zum einen der Mauerfall 1989 in Berlin. Ich lebte damals dort und gehörte zu den ersten Menschen auf der Mauer. Ich war nicht bei den ersten zehn, so mutig bin ich nicht, aber ich war sicher einer der hundert ersten, die vom Westen in den Osten gelaufen sind. Über die gerade geöffnete Grenze am Brandenburger Tor. Wir gingen "Unter den Linden" und tranken ein Bier im Hotel "Metropol". Dass ich dabei fotografiert und gefilmt wurde, hat nichts damit zu tun, dass ich prominent gewesen wäre. Mich kannte damals noch keiner. Aber – die Momente sind dokumentiert. Im "Stern" gab es damals eine Doppelseite, wo ich auf dem Foto drauf bin. Und es gibt auch einen Film vom NDR, in dem ich zu sehen bin. Ich laufe durchs Bild, ein Freund ruft nach mir.

prisma: Und der andere große Fernsehmoment, den Sie "live" erlebten?

Kerner: War das WM-Finale 2014 in Rio. Da war ich mit meinem Sohn im Stadion. Insofern ist das für mich kein Fernsehmoment, sondern ein Live-Moment. Das einzige, was noch ein bisschen besser ist als Fernsehen (lacht). Obwohl ich sagen muss, neulich erst habe ich die Verlängerung des Spiels auf YouTube noch einmal angesehen. Es war das erste Mal, dass ich überhaupt Fernsehbilder des Finales sah. Und ich muss sagen: Man sieht im Fernsehen schon mehr. Wie der Schweinsteiger zugerichtet wurde von den Argentiniern, die Szenen in Slow Motion und Super Slow Motion – das sind schon tolle Stilmittel, die das Fernsehen heute hat.

prisma: Wann war Ihnen klar, dass Sie selbst ins Fernsehen wollten?

Kerner: Ich wollte nie unbedingt ins Fernsehen. Ich wollte Sportreporter werden, das war mir früh klar. Im Fernsehen, so empfand ich es, war über Sport zu berichten am schönsten. Deshalb habe ich dort angefangen. Und ich bin sehr dankbar dafür, dass ich so viele große Sportmomente begleiteten durfte.

prisma: Sie machen heute nur noch Show. Fehlt Ihnen der Sport nicht?

Kerner: Es gibt keine offene Wunde, die blutet. Ich habe sehr jung als Sportreporter begonnen. Bei der Bundesliga war ich hautnah dabei, beim DFB-Pokal, bei Europameisterschaften, Weltmeisterschaften, Champions League, Olympia im Winter, Olympia im Sommer. Ich habe kommentiert und moderiert. Letzteres mit Jürgen Klopp an meiner Seite bei der WM 2006 im eigenen Land. Das alles ist natürlich ein sehr wertvoller Schatz an Erfahrungen, den ich möglicherweise auch noch mal einsetzen werde.

prisma: Wer die große Fußballbühne aus der Nähe gesehen haben, sagt oft, es wäre eine Sucht, die einen nicht mehr loslässt.

Kerner: Ja, das ist so. Ich bin schon auch Fußball-Junkie. Ich gucke vieles und gehe auch ins Stadion. Ich leide mit meinem Sohn. Der ist großer HSV-Fan und hatte in den letzten Jahren wenig Grund zur Freude daran.

prisma: Ist es nicht schlimm, nicht mehr in der ersten Reihe zu sitzen?

Kerner: Jetzt sitze ich in der ersten Showreihe. Da ist es sehr angenehm. Und beim Sport? Ich habe mich nie in der ersten Reihe gefühlt, sondern am Spielfeldrand. Egal, wo ich tatsächlich gesessen habe. Das ist ein schöner Blickwinkel, am Spielfeldrand – aber ich kann auch mit der Tribüne gut leben. Nein, ich bin sehr zufrieden mit meinem jetzigen Leben. Es ist alles gut – so, wie es ist. Das Moderieren großer Shows macht mir viel Freude.

prisma: Was ist das Reizvolle daran?

Kerner: Beim Moderieren geht es, wenn man es auf seine Essenz reduziert, nur um eines: den Ton zu treffen. Und das im schnellen Wechsel. Als Talkshow-Moderator spielt man Klavier. Und gegenüber sitzt jemand, der hört zu. Als Moderator einer großen Samstagabend-Sendung ist man, gemeinsam mit dem Regisseur, eher Dirigent eines Orchesters. Da arbeiten viele Leute mit, die spielen ihr Instrument sehr gut – aber du musst den Laden zusammenhalten. "Ein Herz für Kinder" beispielsweise. Da kommen in dreieinhalb Stunden 60 oder 70 Prominente. Jedem möchte man Wertschätzung entgegenbringen. Eben ist da noch große Bühne, dann sitzt man in einer ruhigen Gesprächsrunde auf dem Sofa. Diese Stimmungs- und Tonwechsel hinzukriegen, empfinde ich als große Aufgabe, für die ich aber auch ein Talent besitze. Wenn man mit diesem Talent handwerklich korrekt arbeitet, kann das eine gute Show werden.

prisma: Sind Sie immer authentisch, wenn Sie den Ton so oft wechseln müssen?

Kerner: Ja, das bin ich. Es gibt Sendungen wie "Ein Herz für Kinder", in der eben noch Peter Maffay sang, und jetzt geht es um Krebs. Die Seele kommt bei diesem Tempo nicht immer hinterher, um ein indianisches Bild zu bemühen. Aber das geht Zuschauern möglicherweise ja auch manchmal so.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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