Münster Doppelsieger im "Wunsch-'Tatort'"

"Tatort: Schwanensee" gewinnt Wahl: Boerne und Thiel besetzen den Sonntagabend

von Jens Szameit

Schon wieder Münster: Nach dem etwas überraschenden Sieg eines alten Falls aus München zum Auftakt des "Wunsch-'Tatorts'" haben Boerne und Thiel nun schon zum zweiten Mal die meisten Stimmen bekommen.

ARD
Tatort: Schwanensee
Kriminalfilm • 05.07.2020 • 20:15 Uhr

Das hat man nun vom basisdemokratischen Prozess. Bis 30. August stehen 50 – nun sind es nur noch 47 – "Wunschtatorte" zur Wahl. Quotenträchtige Filme, über deren Wiederholung das Publikum wöchentlich neu abstimmen darf. Nach "Fangschuss" in der Vorwoche gewann nun zum zweiten Mal in Folge ein Fall aus Münster. Kaum verwunderlich, denn die Fälle rund ums "Comedy-Duo" Boerne (Jan Josef Liefers) und Thiel (Axel Prahl) ragen aus dem quotenmäßig ohnehin erfolgsverwöhnten Format in Sachen Beliebtheit noch mal heraus – treffen aber nicht jedermanns Geschmack. Doch keine Angst, weitere Münsteraner Fälle sieht das zur Wahl stehende Portfolio nicht vor – insofern dürfen ab Woche vier andere Ermittler zum Zuge kommen.

Spötter werden vielleicht bemerken, Boerne und Thiel in der "Tatort"-Wiederholung "Schwanensee" von 2015 endlich dort angekommen waren, wo sie längst schon hingehörten. "Ist denn das hier ein Irrenhaus?", schimpft der launische Kommissar in diesem Münster-Fall. Doch mitnichten: Das Therapiezentrum "Schwanensee" versteht sich als offenes Haus, das Selbstheilungskräfte aktivieren will und niemals von Irren, nicht mal von Patienten spricht, sondern lediglich von "Besuchern". Eine der Besucherinnen findet sich indes tot auf dem Grund des Swimmingpools – ein autistischer Leidensgenosse war noch arglos über ihre Leiche hinweggekrault. Also doch alles Irre? Auslegungssache, wie es die "Tatort"-Krimis aus dem Westfälischen ohnehin sind. Dabei hat der Film von Regisseur André Erkau durchaus das Zeug, die Klamauk-Skeptiker mit den Witzbold-Ermittlern zu versöhnen.

Der bärige Thiel trägt in bekannter Manier ein weiteres St.-Pauli-T-Shirt und eine höchst angespannte Laune durch die Gegend, der gockelige Rechtsmediziner verbeißt sich gar kurz als selbst ernannter Undercover-Ermittler in einen schwer erklärlichen Ehrgeiz. Wobei es fraglos anregend ist, dieses schön altmodisch aufgeworfene Krimirätsel, fern jeden Realitätsbezugs. Wer war die heimtückisch ermordete Femme fatale, über die keiner etwas Konkretes weiß? Nicht mal ihren Namen: Eine Mona Lux, wie sie sich nannte, gibt es nicht. Vage Verdachtsmomente führen anfänglich zu einem italienischen Restaurantbesitzer mit dürftiger Steuermoral (Roberto Guerra), mit dem die schöne Mona ein Verhältnis hatte. Auch geben die Therapeuten und "Besucher" der "Schwanensee"-Einrichtung viel Anlass zum Misstrauen: sympathisch verstrahlte Autisten, Erotomaninnen und Tourette-Geplagte geben sich die Klinke in die Hand, schließlich bewegt man sich auf dem Felde der Komödie.

Dass es jedesmal wie ein Drahtseilakt wirkt, die komischen Marotten der Antipoden Boerne und Thiel mit einer halbwegs glaubhaften Krimierzählung in Einklang zu bringen, die die Bezeichnung "Tatort" einigermaßen rechtfertigt, ist seit Jahren bekannt. Nicht immer ist das geglückt, auch wenn die ausnahmslos fabelhaften Einschaltquoten etwas anderes suggerieren. Boerne und Thiel genießen beim Publikum buchstäbliche Narrenfreiheit. Da ist man erleichtert, dass sie im Kontext einer psychiatrischen Therapieeinrichtung nicht vollends übers Ziel hinausschießen.

Die hohe Dialogqualität (Buch: André Erkau, Thorsten Wettcke und Christoph Silber), starkes Schauspiel sowie die treffliche Bildsprache sind der Kitt einer Erzählung, die sich wieder mal nur halbseiden um den eigentlich Fall bemüht. Aber geschenkt. Ganz am Ende wird, ohne zu viel zu verraten, eine übrigens authentische "Liebesgeschichte" vom Münsteraner Aasee zitiert und herzzerreißend interpretiert. Das ist dann fast schon Poesie. Mit 13,6 Millionen Zuschauern war "Schwanensee" bei seiner Erstausstrahlung der erfolgreichste Tatort seit 1992 – und die meistgesehene Fernsehsendung im Jahr 2015.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH