Tokio-Hotel-Doku gewährt seltene Einblicke
Ruhiger ist es um sie geworden. Und genau darüber sind gerade die Kaulitz-Zwillinge Tom und Bill nicht traurig. Als sie als Teenie-Sensation Tokio Hotel Mitte der 2000er-Jahre "Durch den Monsun" gingen, kreischten Tausende Mädchen sich reihenweise in Ohnmacht. Der Sänger und der Gitarrist wurden zu deutschen Superstars – allerdings mit einigen negativen Folgen. "Wir hatten schon einen zwei Meter hohen Zaun. Und dann sind trotzdem noch Leute bei uns eingebrochen", erinnert Bill Kaulitz sich.
In dem sehenswerten Band-Porträt von Oliver Schwabe, das im Winter in einigen Kinos lief und nun erstmals bei ARTE zu sehen ist, spricht der heute 28-Jährige unter anderem darüber, warum die Zwillinge tatsächlich fluchtartig ihren damaligen Wohnort etwas außerhalb von Hamburg verlassen haben. Mit jeweils nur acht Koffern und in einem Privatjet sind die Stars von Tokio Hotel damals 2010 quasi über Nacht nach Los Angeles geflüchtet. Wie es scheint, haben sie in der kalifornischen Metropole heute wirklich eine neue Heimat gefunden.
Partyleben in Los Angeles
In Schwabes Film geben die vier Mitglieder von Tokio Hotel seltene Einblicke in ihr jeweiliges Seelenleben. Sie sprechen über den Preis des Erfolgs, die Unzertrennlichkeit der Zwillinge, über Liebe, Sexualität, Heimat und Musik. Erstaunlich dabei ist, wie unterschiedlich die exzentrischen Zwillinge (Tom Kaulitz: "Bereits in der Schule sahen uns viele an wie Außerirdische") im Vergleich zu ihren beiden Bandkollegen Gustav Schäfer (Schlagzeug) und Georg Listing (Bass) doch sind. Während die Kaulitz-Brüder die Anonymität und mithin auch das Partyleben in Los Angeles doch sehr zu schätzen wissen, leben Schäfer und Listing in einer beinahe schon langweilig erscheinenden Normalität in Magdeburg.
Dennoch funktionieren die Gespanne Schäfer/Listing sowie die Kaulitz-Brüder überraschend gut. Als sie Welttourneen durch Südamerika, Russland und Europa vorbereiten, erscheinen Tokio Hotel wie eine Einheit. Ihr Vorteil: "Wir wurden nicht irgendwie zusammengestellt", wie Tom Kaulitz betont. Er blickt zurück auf die Anfänge der Band in Magdeburg, als die jungen Teenager von anderen Musikgruppen übel beschimpft und sogar mit Flaschen beworfen wurden. Heute lacht er darüber. Tokio Hotel gibt es immer noch – mit einem "sorgenfreien Leben durch ihre Plattenverkäufe", so Tom.
Erinnerungen an Morddrohungen
Dass Tokio Hotel noch immer polarisieren, wie Bill Kaulitz es formuliert, wird gerade auf Tour durch Russland deutlich. Sowohl die Songtexte als auch die extravaganten Kostüme von Frontsänger Bill können rasch als Provokation aufgefasst werden. "Die Auftritte werden von öffentlichen Stellen kontrolliert", erzählt der Sänger. Durch die Verschärfung einer politischen Situation im Riesenreich sieht er sich verstärkt Anfeindungen ausgesetzt. Bill sitzt dabei in einem löchrigen T-Shirt auf dem großes Bett eines Hotelzimmers. Er erinnert sich an Morddrohungen. "Auf der letzten Tour gab es jemanden, der gesagt hat, er will mir Säure ins Gesicht kippen, weil er nicht möchte, dass ich diese moderne Welt repräsentiere", so Kaulitz. Er bleibt überraschend ruhig dabei.
Trotz dieser Offenheit, bei einem Thema hält der 28-Jährige sich doch eher bedeckt: seiner Sexualität. Der Raum für Spekulationen bleibt groß. Bill Kaulitz: "Am Verrücktesten macht die Leute, dass sie nie genau wissen, mit wem geht Bill nach Hause. Und ich kann mich da auch nicht so genau beschränken. Steht er jetzt auf Jungs oder steht er auf Mädchen, mit wem geht er heute Nacht ins Bett? Ich will, dass das kein Thema ist. Ich will, dass mich das niemand mehr fragt."
Quelle: teleschau – der Mediendienst