Schauspieler und Aktivist im Interview mit prisma

Hannes Jaenicke spricht Klartext: "Die Industrie will Profit machen, der Verbraucher ist dumm und faul"

06.05.2023, 12.23 Uhr
von Aylin Rauh

Hannes Jaenicke ist bekanntlich nicht nur Schauspieler, sondern auch ein engagierter Tierschutz- und Umweltaktivist. Im Rahmen seiner Dokureihe "Im Einsatz ..." war der 63-Jährige nun "für Meeresschildkröten" unterwegs. Im Interview mit prisma zeigt er einmal mehr klare Kante.

Für Hannes Jaenicke ist "Wut eine gute Triebfeder, um sich zu engagieren". Und er befindet, "es gibt zwei Arten, mit Wut umzugehen: Entweder ist man destruktiv und zerstört irgendetwas, oder man nutzt seine Wut produktiv." Er versuche Letzteres. Seit er ein Teenager ist, setzt sich der Schauspieler für den Tier- und Umweltschutz ein. "Ich habe damals den Kampf von Greenpeace gegen das Walschlachten verfolgt", erklärt der 63-Jährige im Interview. "Schon als Junge fand ich Wale total faszinierend." 2008 wurde seine erste Doku für die ZDF-Reihe "Im Einsatz ..." ausgestrahlt. "Wir suchen immer ein Umweltthema und das dazu passende Tier", erläutert er das Konzept. Nach seiner Dokumentation über den Wolf (2021) war der gebürtige Frankfurter nun für Meeresschildkröten unterwegs (Dienstag, 09. Mai, 22.15 Uhr, ZDF). Besonders sprachlos macht ihn die Tatsache, wie der Mensch mit diesen friedlichen Tieren umgeht. Jaenickes Fazit: "Die menschliche Dummheit ist bekanntlich grenzenlos."

prisma: In Ihrer neuen Dokumentation sind Sie dieses Mal für Meeresschildkröten im Einsatz. Warum?

Hannes Jaenicke: Wir suchen immer ein Umweltthema und das dazu passende Tier. Um einen Film darüber zu drehen, in welchem Zustand unsere Ozeane sind, ist die Meeresschildkröte das perfekte Tier. Unter anderem, weil sie akut vom Aussterben bedroht ist.

prisma: Warum stirbt sie aus?

Jaenicke: Aus drei Gründen: Überfischung, Klimawandel und Plastikvermüllung. An allen drei Ursachen sind wir Menschen schuld. Wir verursachen die Plastikvermüllung, wir verursachen den Klimawandel, und wir überfischen die Meere in einer geradezu verantwortungslosen Art und Weise. Anhand der Meeresschildkröte können wir auf diese Probleme aufmerksam machen.

prisma: Für die Doku waren Sie auf der ganzen Welt unterwegs, unter anderem in Costa Rica, wo Sie auch Babymeeresschildkröten in den Ozean getragen haben ...

Jaenicke: Das machen viele, auch Touristen. Das finde ich großartig, weil man dadurch lernt, dass die Überlebensrate von Meeresschildkröten – ohne die Zerstörung durch Menschen – bei 1:1000 liegt. Das bedeutet, dass ein Ei von tausend gelegten Eiern es schafft, zu überleben. Man muss sich das mal vorstellen: In einem Nest einer weiblichen Meeresschildkröte sind 100 bis 110 Eier vergraben. Man kann sich also ausrechnen, wie viele von diesen wunderschönen Tierchen nicht überleben. Da ist man über jedes Baby glücklich, das es schafft, sicher ins Meer zu kommen. Es gibt einem ein euphorisches Gefühl. Wir haben das tagelang beobachtet und Nester überwacht.

prisma: Sie haben die Nester überwacht?

Jaenicke: Ja, weil es schon an Land viele Gefahren für die Babys gibt. Streunende Hunde, hungrige Geier. Und Menschen, die diese Eier immer noch sammeln und essen. Unglaublich, wenn man bedenkt, wie selten diese friedlichen, ruhige Tiere sind.

"Es ist eine Folge des weißen Kapitalismus, dass wir so rücksichtslos mit der Natur umgehen"

prisma: Aber warum tun wir dann diesen Tieren so viel Leid an?

Jaenicke: Die menschliche Dummheit ist bekanntlich grenzenlos. Der Mensch versteht immer noch nicht, dass zum Beispiel auch eine Quallenplage damit zusammenhängt, weil der natürliche Feind der Qualle fehlt: die Meeresschildkröte. Zudem kapiert der Mensch offenbar immer noch nicht, dass ein Korallenriff erstickt, wenn das Seegras nicht abgegrast wird. Genau das machen Meeresschildkröten. Sie spielen eine wichtige Rolle, wenn es um die Erhaltung der Korallenriffe geht. Und der Mensch ist so gierig, dass er lieber die Ozeane leer fischt, anstatt sich der Kollateralschäden bewusst zu werden.

prisma: Welche meinen Sie konkret?

Jaenicke: Neben den Fischen landen andere Tiere als Beifang in den Netzen, wie Delphine, Meeresschildkröten und Seelöwen. Wir sind eben eine räuberische Spezies, die wenig Verantwortungsbewusstsein hat. Es ist traurig, dass diese faszinierenden Tiere, die seit 150 Millionen Jahren durch die Meere schwimmen, von uns ausgerottet werden. Aber es ist eben noch nicht zu spät, deshalb haben wir diesen Film gemacht.

prisma: In Ihrer Tier-Dokumentation erfährt man auch über den Menschen sehr viel. Ist das Ihr Anspruch?

Jaenicke: Ja. Erstens gibt es immer noch den Irrglauben, der Mensch sei die Krone der Schöpfung. Und zweitens haben wir uns völlig von der Natur entfremdet, die uns umgibt. Sämtliche indigenen Kulturen, wie die Aborigines, haben Schildkrötennester nie vollständig geplündert. Sie haben sie so geplündert, dass der Bestand immer stabil geblieben ist. Erst der Weiße – also der Europäer – hat gemerkt, dass man damit viel Geld verdienen kann. Was haben wir also gemacht? Wir haben diese Tiere in Dosen verpackt und als Suppe verkauft. Jetzt wird darüber gerätselt, warum der gesamte Bestand kollabiert ist. Es ist eine Folge des weißen Kapitalismus, dass wir so rücksichtslos mit der Natur umgehen. Und dieser Kapitalismus ist gerade mal 200 Jahre alt.

prisma: Offenbar haben Sie bei den Dreharbeiten eine gewisse Wut auf uns Menschen verspürt ...

Jaenicke: Diese Wut verspüre ich, seitdem ich ein Teenager war und mich für Umweltschutz interessiere. Ich habe damals den Kampf von Greenpeace gegen das Walschlachten verfolgt. Schon als Junge fand ich Wale total faszinierend. Mein Glück war, schon sehr früh Delphine und andere Meerestiere sehen zu dürfen. Ich denke, dass Wut eine gute Triebfeder sein kann, um sich zu engagieren.

"Der Mensch ist ein bequemes und faules Tierchen"

prisma: Ein erstaunliches Bekenntnis!

Jaenicke: Vielleicht, aber es gibt ja zwei Arten, mit Wut umzugehen: Entweder ist man destruktiv und zerstört irgendetwas, oder man nutzt seine Wut produktiv. Ich versuche Letzteres. Der Grund, warum ich diese Filme mache, ist mein Unverständnis über den menschlichen Umgang mit Natur und Tieren.

prisma: Warum versteht der Mensch nicht, dass wir unseren Plastikverbrauch reduzieren müssen?

Jaenicke: Der Mensch ist ein bequemes und faules Tierchen. Wir finden Plastik praktisch und machen uns keine Gedanken über die Konsequenzen. Zudem ist Plastik ein Rohölprodukt. Je mehr wir auf E-Mobilität umsteigen, desto mehr kämpft die Öl-Industrie um neue Geschäftsfelder. Ich habe mit Vertretern der Verpackungsindustrie gesprochen. Sie reden von "Krise", wenn sie unter vier Prozent Wachstum im Jahr haben. Das heißt, sie bringen immer mehr Verpackungsmaterial und Einwegverpackungen auf den Markt und damit in die Umwelt. Und die Politik schaut tatenlos zu.

prisma: Was müsste die Politik tun?

Jaenicke: Es wäre ein Leichtes, Einwegverpackungen extrem hoch zu besteuern oder gleich zu verbieten, und Mehrwegplastik steuerlich zu begünstigen. Wir könnten auch jeden Plastikartikel bepfanden. Ich glaube nicht, dass Leute einen to-go-Becher wegschmeißen würden, wenn da ein Euro Pfand drauf wäre. Da versagt die Politik kläglich. Die Industrie will Profit machen, und der Verbraucher ist dumm und faul.

prisma: Aber das eigentliche Problem ist auch in diesem Fall der Lobbyismus, oder?

Jaenicke: Ja. Die drei größten Plastikvermüller haben einen Namen: Platz eins – schon seit Jahren – Coca-Cola, Platz zwei Pepsi und Platz drei Nestlé. Die haben eine derart mächtige Lobby, dass sie die Politik bestimmen. Letztendlich passiert auf dem Markt genau das, was die Großkonzerne wollen. Die bestimmen, was wir kaufen und treiben die Politik vor sich her. Wir Verbraucher unterstützen das System, indem wir diese Produkte kaufen. Eigentlich hat der Verbraucher eine mächtige Waffe in seiner Hosentasche, nämlich seinen Geldbeutel. Würden wir diese Konzerne einmal konsequent boykottieren, würden sie ihre Verpackungspraktiken ändern – und zwar schnell.

prisma: Heutzutage gibt es viele Alternativen zu den Plastikprodukten ...

Jaenicke: Man kann vieles zu Hause selbst machen. Es gibt mittlerweile so viele Anbieter von Sodasprudlern, damit kann jeder seine Limo, Schorle oder Cola selbst machen. Außerdem gibt es ja auch saubere Cola. Heutzutage gibt es Bioanbieter und alternative Anbieter. Wir Verbraucher haben viel mehr Macht als uns bewusst ist.

"Außer der AfD hat jede Partei versucht, mich anzuwerben"

prisma: Also dann konkret: Was kann der Verbraucher tun, um den Plastikkonsum zu reduzieren?

Jaenicke: Wir müssen mehr gebraucht kaufen. Neue Waren sind fast immer in Plastik verpackt – von Möbeln bis hin zu Klamotten. Man kriegt fast alles gebraucht. Ich schaffe es, 80 Prozent meines Bedarfs gebraucht zu decken. Zudem können wir problemlos Verpackungen meiden, indem wir eigene Tassen und Trinkflaschen dabeihaben, das wäre das Ende der to-go-Becher und PET-Wasserflaschen. Man kann Tupperware oder Stofftaschen mitbringen anstatt Plastik- und Papiertüten zu nehmen. Oder man lehnt Plastikstrohhalme ab, wenn sie uns in der Kneipe angeboten werden. Wir können unseren Fischkonsum reduzieren, weil die Fangmethoden der Fischereiindustrie und ihre Geisternetze die größte Bedrohung für Meeresschildkröten sind. Sie verheddern sich im Netz und ersticken, sie werden von Fischern erschlagen – wie man in der Doku sehen kann. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber wir Verbraucher haben mehr Macht als wir glauben. Wir können gewisse Produkte auf dem Markt boykottieren, unser Konsumverhalten ändern, und wir können anders wählen.

prisma: Und warum gehen Sie nicht einfach in die Politik?

Jaenicke: Außer der AfD hat jede Partei versucht, mich anzuwerben. Ich bin Mitglied der Grünen, aber ich denke, dass ich mit meinen Filmen und Büchern mehr bewirken kann, als wenn ich mich in Parteigremien oder Koalitionsverhandlungen herumschlage.

prisma: Also wäre Politik gar nichts für Sie?

Jaenicke: Nein. Ich glaube ich habe mein Mittel gefunden, um etwas zu bewegen. Ein kleines Beispiel: Wir haben einen Film über Lachse und Lachsfarmen gedreht. Danach ist der Kurs der vier größten norwegischen Anbieter um elf Prozent abgestürzt. Durch einen einzigen kleinen Film! Ich glaube, dass nicht einmal Robert Habeck es hinkriegen würde, die Lachsindustrie vor sich herzutreiben.

"Das werde ich vermutlich selbst nicht mehr erleben"

prisma: Könnte eines Tages nicht der Moment kommen, an dem das ganze Engagement für Umwelt- und Tierschutz nichts mehr bringt?

Jaenicke: Wir Menschen sind bequem und ändern ungern unsere Gewohnheiten. Wir sind es gewohnt, billig nach Malle zu fliegen, dicke Autos zu fahren, im Winter Erdbeeren zu essen und jederzeit alles preiswert konsumieren zu können. Das wird auf Dauer nicht funktionieren. Der Mensch ist ein anpassungsfähiges Wesen, und vieles wird sich verändern, weil wir überleben wollen. Die Überlebensinstinkte des Menschen sind so stark, dass er das Nest, in dem er lebt, irgendwann beschützen wird. Einfach, weil es nicht mehr anders geht.

prisma: Sie haben in der Doku Stefan Rahmstorf gefragt, ob es bezüglich der Klimakrise noch Grund zum Optimismus gibt. Wie sehen Sie das?

Jaenicke: Die Frage muss ich jetzt mit einem Ja beantworten (lacht). Und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Mein ganzes Engagement und die Mühen, die wir in diese Dokumentarfilme stecken, wären sinnlos, wenn ich selbst nicht daran glauben würde. Und zweitens: Der Leidensdruck wird irgendwann so steigen, dass wir keine andere Wahl haben werden, als umzudenken: Wenn wir kein Wasser mehr haben, unsere Böden und Wälder so beschädigt sind und es so heiß und trocken ist, dass wir nicht mehr richtig leben können. Wenn unser Essen und Klima so vergiftet ist, dass wir alle krank werden ... – Das werde ich vermutlich selbst nicht mehr erleben, aber ich finde, es lohnt sich, für unsere unfassbar schöne Erde zu kämpfen. Und das werde ich tun, bis ich in die Kiste steige.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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