Robert Stadlober emotional: "Mir macht das Leben heute viel mehr Spaß als früher"







In der sechsteiligen Serie "Hundertdreizehn" (Dienstag, 14. Oktober, 20.15 Uhr, Das Erste, schon ab Freitag, 10. Oktober, ARD-Mediathek) spielt Robert Stadlober den Ermittler in einem tragischen und rätselhaften Verkehrsunfall. Dabei kamen sehr viele Menschen zu Tode. Die bewegende Serie mit großem Staraufgebot ist im doppelten Sinne clever: Zum einen gilt es wie in einem Krimi, den rätselhaften Unfallhergang zu entschlüsseln. Ebenso wichtig sind jedoch Themen wie Trauer, Schuld und die Frage, wie man nach so einer Katastrophe und dem Verlust geliebter Menschen weitermachen soll. Robert Stadlober (43), der mit Frau und zwei Kindern in Wien lebt, führte diese Rolle zu einigen existenziellen Fragen seines eigenen Lebens.
prisma: Nach einer Untersuchung des Bundesverkehrsministeriums verändert der Tod eines Unfallopfers statistisch das Leben von 113 anderen Menschen. Kam Ihnen die Zahl nicht auch sehr hoch vor?
Robert Stadlober: Ja. Ich habe mich sogar direkt beim Ministerium darüber informiert und habe dabei noch einige andere Dinge erfahren, die schwer auszuhalten sind. Zum Beispiel, dass täglich durchschnittlich 260 Fahradfahrende in Deutschland im Straßenverkehr verletzt werden. Darunter sind auch viele Kinder, denen auf dem Schulweg etwas passiert. Das ist alles viel zu viel! Ich mache mich stark für die sogenannte "Mission Zero". Wir könnten es schaffen, dass all diese Unfälle in Richtung null gehen – wenn wir unser Verhalten im Verkehr ändern.
Kommen wir noch mal zurück zur Zahl 113, die der Serie ihren Namen gibt. Wie kommt man auf so eine Zahl?
Der Tod zieht große, konzentrische Kreise. Wenn man alles durchdenkt, haben viele Menschen mit einem solchen Ereignis zu tun: Ersthelfer, Ärzte und Krankenhausmitarbeiter, Passanten, Angehörige und Freunde, dazu weitläufigere Verwandte, Bekannte, Kollegen. Der plötzliche Unfalltod eines Menschen, den man kennt, schockiert jeden. Und er verändert ein Stück weit das Leben der anderen. Natürlich in unterschiedlichem Ausmaß.
"Das tiefste Tal unseres Lebens in der Gemeinschaft mit anderen überwinden"
Welchem Genre würden Sie die Serie zurechnen? Da gibt es den Krimi-Aspekt: Sie wollen als Kommissar herausfinden, wie es zu dem Unfall kam. Daneben geht es aber um Themen wie Trauer, Schuld und Verarbeitung ...
Die Erzählung hat mich an ein bisschen an eine meiner Lieblingsserien "The Wire" erinnert. Dort nimmt jede Staffel eine eigene Erzählperspektive auf die Ereignisse ein. Bei "Hundertdreizehn" ist es so, dass jede Folge ein Einzelschicksal dieses großen Unfalls erzählt. Mit jeder Geschichte kommt man der Wahrheit oder dem Gesamtbild ein Stückchen näher.
Tragische Unglücksfälle lassen uns innehalten. Sie führen dazu, dass wir über unser Leben und das unserer Lieben nachdenken. Würden Sie sagen: "Hundertdreizehn" ist bei aller Tragik eine Mut machende Erzählung?
Ja, absolut. Es ist eine Geschichte über das Menschsein an sich. Es geht um Empathie und Solidarität. Wir wissen alle, dass die Winde der Gegenwart momentan ziemlich kalt wehen. Gerade in diesem Zusammenhang fand ich die Geschichte berührend und sehr glaubwürdig. Auch deshalb, weil es keine Figuren gibt, die entweder nur gut oder ausschließlich böse sind. Die Struktur eines Krimis wird dazu benutzt, um die vielen Grauschattierungen des Menschseins zu zeigen.
Die Serie erzählt von Traumata, gefärbten Erinnerungen oder auch dem Schuldgefühl der Überlebenden. Aber gibt es einen generellen Gedanken, den wir Menschen aus solchen Katastrophen herausziehen?
Für mich ist es der Gedanke, dass unser Leben kein Schicksal ist, sondern dass viele unterschiedliche Entscheidungen so ein Leben ausmachen. Das Blöde ist halt, dass wir diese Entscheidungspunkte erst im Rückblick betrachten können. Ich kann hier also keine Lebenshilfe bieten, sondern nur eine melancholische Betrachtung teilen (lacht). Trotzdem sehe ich auch etwas Positives: Ich glaube, dass wir Menschen selbst das tiefste Tal unseres Lebens in der Gemeinschaft mit anderen überwinden können. Davon bin ich fest überzeugt.
"Meine größte Angst ist heute die Angst der anderen"
Haben Sie schon mal jemanden durch ein ähnliches Ereignis verloren?
Ja. Als ich noch ziemlich jung war, ist ein guter Freund von mir bei einem Autounfall gestorben. Es hat mich damals sehr aus der Bahn geworfen. Wenn ich mich heute mit einer solchen Geschichte konfrontiere, wie jetzt bei dieser Rolle, denke ich jedoch eher an die Gegenwart. Ich habe zwei Kinder im Grundschulalter und bewege mich mit verschiedenen Verkehrsmitteln durch Europa und manchmal sogar darüber hinaus. Natürlich kann immer überall etwas passieren. Ich denke daran, wie oft ich bei Unbekannten ins Auto steige, die mich irgendwo hinfahren. Zum Beispiel während einer Filmproduktion. Da holt mich ein Fahrer mitten in der Nacht in Erfurt ab, um mich nach Luxemburg zu fahren, für eine Szene. Und natürlich weiß ich nichts über diesen Menschen, der wahrscheinlich ein vernünftiger, besonnener Typ ist. Sicher sein kann ich mir aber nicht. Da sitzt ein 24-jähriger Typ in einem hochmotorisierten Auto und wir fahren mit hoher Geschwindigkeit durch die Nacht. Man muss Vertrauen mitbringen, um so etwas locker anzunehmen. Und immer aufs eigene Glück hoffen.
Sie meinen, die große Vorsicht im Leben bringt nichts?
Nein. Man braucht das, was man früher gerne mit Gottvertrauen bezeichnet hat. Der Schriftsteller Ödön von Horváth hat sich aus Angst, es könnte ihm etwas passieren, fast das ganze Leben in seinem Zimmer eingeschlossen. Dann ging er einmal spazieren, und dabei fiel ihm ein großer Ast auf den Kopf, woran er starb. Die einzige Konsequenz, die wir aus derlei Überlegungen ziehen können, ist Demut vor dem Leben zu haben. Wir müssen dankbar sein, wenn wir unser Leben und unsere Gesundheit noch haben. Und hoffen, dass wir beides noch lange behalten.
Haben Sie durch Ihr Vatersein mehr Angst im Leben?
Im Gegenteil. Ich habe deutlich weniger Angst als früher. Vor allem habe ich keine Angst mehr um mich selbst. Damit hatte ich in meinen Zwanzigern ein echtes Problem. Mir ging es damals nicht so gut in dieser Hinsicht. Das alles ist heute komplett weg. Ich mache mir Sorgen um meine Kinder, aber ich habe keine Angst. Meine größte Angst ist heute die Angst der anderen.
"Derzeit wird vieles stark von Angst gesteuert"
Welche Art von Angst meinen Sie?
Ich meine dieses permanente Misstrauen der Welt gegenüber. Viele glauben ja, dass wir nur noch von Irren umgeben sind und Leuten, die einem etwas Böses wollen. Dies führt zur totalen Entsolidarisierung und Vereinzelung in unserer Gesellschaft. Natürlich gibt es viele potenzielle Gefahren um uns herum, aber genauso gibt es auch Chancen. Nicht jeder Mensch, der uns begegnet, ist ein potenzieller Störfaktor oder Gefahrenherd. Es soll ja sogar vorkommen, dass sich Menschen, die sich vorher kaum kannten, ineinander verlieben.
Welche Konsequenz ziehen Sie aus dieser Erkenntnis?
Im besten Sinne pragmatisch mit dem Leben umzugehen. Meinen Kindern versuche ich zum Beispiel ein Grundvertrauen mitzugeben und sie für potenzielle Gefahren zu sensibilisieren, ohne sie in eine permanente Panik zu versetzen. Natürlich sollen sie nicht bei Fremden ins Auto steigen. Sie sollen aber auch nicht vor jedem Menschen, dem sie begegnen, erst mal Angst haben. Ich habe das Gefühl, als ich ein Kind war, ist man Menschen noch positiver gegenübergetreten. Mit weniger Misstrauen. Ich glaube nicht, dass die Welt oder gar die Menschheit seitdem böser geworden ist. Wahrscheinlich hat sich lediglich unser Blick auf die Welt verändert. Derzeit wird vieles stark von Angst gesteuert.
Wahrscheinlich würden Ihnen viele Menschen widersprechen. Sie sind überzeugt davon, dass wir heute in einer schlechteren Welt leben als vor 30 oder 40 Jahren ...
Ich bin nicht naiv und sehe, was in der Welt vorgeht. Aber das Schüren von permanenter Angst hilft ja genau denen, die all diesen Schrecken in die Welt bringen. Man muss versuchen, zumindest im eigenen kleinen Kreis so viel Vertrauen in die anderen zu haben, dass man Lust hat, an diesem Leben teilzuhaben. Sonst bleibt einem ja nur noch ein Leben als Prepper (lacht).
"Mit Anfang 20 war ich Nihilist und drehte mich vor allem um mich selbst"
Sie sagen also, die Lage der Welt ist nicht so schlecht, wie sie gemacht wird?
Ja. Es kommt natürlich darauf an, wohin man blickt. Vieles ist atemberaubend schlecht. Zum Beispiel das, was derzeit in den USA passiert. Da erleben wir eines der düstersten Kapitel des Landes. Vielleicht aber auch die Chance, dass irgendwann eine kraftvolle Gegenbewegung entsteht. Auch jene 400.000 Schülerinnen und Schüler, die vor einigen Jahren in Deutschland für eine andere Klimapolitik auf die Straße gingen, sind nicht auf einmal weg. Die gibt es noch, und die werden langsam erwachsen. Sie werden sich wieder melden, und wir werden sie brauchen. Aber wenn man sonst in die Welt blickt: Es gibt wesentlich weniger Hunger als noch vor Jahrzehnten. Die Chancen auf ein gutes Leben haben sich für viele Menschen in vielen Gegenden der Welt erheblich verbessert. Aber natürlich liegt über allem die große Bedrohung durch den Klimawandel. Dieser Bedrohung können wir als Menschen nur gemeinsam begegnen und darum sollten wir uns nicht durch Angst spalten lassen.
Sind Sie heute optimistischer als mit Anfang 20?
Auf jeden Fall. Mit Anfang 20 war ich Nihilist und drehte mich vor allem um mich selbst. Eigentlich war ich überzeugt davon, dass ich keine 30 werde. Jetzt bin ich 43 Jahre alt, habe schon ein paar Sachen erlebt und würde gern noch länger bleiben. Mir macht das Leben heute viel mehr Spaß als früher. Und das liegt vor allem an den anderen Menschen.
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Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH