Serie bei Apple TV+

"Severance" – zwischen "The Office" und George Orwell

von Eric Leimann

George Orwell trifft "The Office": Die neue Serie von Ben Stiller zeigt die pervertierte Version einer ehrgeizigen Firmenkultur. Mit Patricia Arquette, Christopher Walken und John Turturro ist "Severance" hochkarätig besetzt.

Wer hätte ihn oder sie nicht gern – den perfekten Mitarbeiter, die perfekte Mitarbeiterin? "Compliance" spielt dabei eine wichtige Rolle. So heißt es auf Neudeutsch, wenn sich Angestellte voll mit dem Arbeitgeber identifizieren und sich an ein gemeinsames Regelwerk halten. In der Near-Future-Serie "Severance" (ab Freitag, 18. Februar, bei Apple TV+) erzählt Regisseur und Produzent Ben Stiller die pervertierte Version einer hochambitionierten Firmenkultur anhand einer aus vier Personen bestehenden Abteilung namens Macro Data Refinement (MDR).

Welchen Job die Angestellten rund um Abteilungsleiter Mark (Adam Scott) haben, ist nicht ganz klar. Sie starren auf fast schon altertümlich wirkende Bildschirme und beobachten sich verschiebende Zahlenkolonnen, deren Einzelziffern sich pulsierend vergrößern und verkleinern. Die konkrete Aufgabe: gefährliche Muster erkennen. Aber wie? "Wenn man es sieht, dann spürt man es", heißt es in einer Szene.

Der abstruse Job der Protagonisten in dieser mit viel Liebe zum Detail geschriebenen und ausgestatteten Serie ist jedoch noch nicht mal das Seltsamste. Lumon Industries, so der Name des fiktiven, sich in extrem ausladenden geometrischen Gebäuden im ländlichen amerikanischen Nordwesten ausgebreiteten Konzerns, hat die umstrittene "Severance"-Methode eingeführt. Dabei willigen neue Angestellte ein, dass durch einen kleinen operativen Eingriff – der irreversibel ist – ihre Arbeitsplatz-Persönlichkeit von der Privatperson getrennt wird. "Innie" und "Outie" heißen danach die beiden Versionen von ein und demselben Menschen. Sowie sich die Fahrstuhltür hin zum "work floor" öffnet, hat man keine Erinnerungen mehr an sein Privatleben. Wer hingegen das Firmengelände verlässt, weiß zwar noch, dass er bei Lumon arbeitet – aber das war es dann auch schon. Keinerlei Erinnerungen an den Job "belasten" das Privatleben.

Wer den Namen Ben Stiller hört, könnte nun annehmen, beim Format "Severance", das mit zwei Episoden startet und danach im Wochenrhythmus mit je einer Folge fortgesetzt wird, handele es sich um eine ziemlich überdrehte Komödie. Tatsächlich gibt es in den 41 bis 58 Minuten langen Serien-Kapiteln immer wieder brillant komische Ideen, deren finsterer Humor sich vielleicht am besten mit Terry Gilliams 80er-Jahre-Filmmeisterwerk "Brazil" vergleichen lässt. Im Kern ist "Severance" jedoch ein klassischer Dramastoff. Drehbuchautor und Showrunner Dan Erickson galt zuvor als eher unbeschriebenes Blatt unter den Big Playern des TV-Business. In der Indie-Komödie "A Sibling Mystery", die nach seinem Drehbuch und unter seiner Regie entstand, trat er auch als Hauptdarsteller auf. Auf der sogenannten "Bloodlist", auf der in den USA heißbegehrte Serienstoffe so ähnlich wie die größten College-Sporttalente beim jährlichen "Draft"-Prozess gehandelt werden, befand sich Ericksons Serienidee zu "Severance" vor einigen Jahren auf Platz eins.

Der Cast kann sich sehen lassen

Dass man für die Umsetzung nicht nur Ben Stiller als Regisseur (sechs von neun Folgen) gewinnen konnte, sondern auch ein erlesenes Schauspiel-Ensemble, spricht ebenfalls für den Stoff, den man gedanklich irgendwo zwischen "The Office" und George Orwell einsortieren könnte: neben Adam Scott (Reese Witherspoons Ehemann in "Big Little Lies"), der den gequälten amerikanischen Durchschnitts-Angestellten ebenso komisch wie anrührend gibt, sind Patricia Arquette (als Chefin) und Altmeister Christopher Walken als Leiter der Kunstabteilung bei Lumons zu sehen. Adam Scotts Mitarbeiter werden von John Turturro, Britt Lower und Komiker Zack Cherry verkörpert.

Im Prinzip ist "Severance" eine Serie, über die Zuschauende zu Beginn am besten möglichst wenig wissen sollten, denn sie funktioniert nach den Regeln eines (guten) Mystery-Plots. Hinter den vielen seltsamen Dingen, die hier im Kleinen wie im Großen passieren, gilt es Geheimnisse zu entdecken und zu enttarnen.

Das funktioniert auf berührende Weise mit Adam Scott als tragischem "Jedermann"-Helden, der sich durch eine kalte Welt der endlosen Lumon-Büroflure, menschenleere Reihenhaus-Siedlungen und ebensolche Autofahrten durch winterliche New England-Wälder denkt und fühlt. Langsam reift bei ihm die Erkenntnis, dass sein Arbeitgeber nicht so toll ist, wie es dessen Konzern-Bibel samt Gründerfigur Kier Egan vorgibt.

In einer von vielen wunderbaren Ideenminiaturen des Neunteilers schmuggelt Mark eher aus Versehen das neue Buch seiner Schwagers, einem Esoterik-Guru, in die "Innie"-Welt von Lumon hinein. Ein streng verbotener Akt, denn außer dem Regelbuch der Firma, sind bei der Arbeit keinerlei anderen Bücher, Fotos, Zeichnungen oder sonstige Dinge, die an die Außenwelt erinnern könnten, erlaubt. Folglich lässt sich Mark in stillen Minuten von den abgenutzten Selbstfindungs-Tipps des Buches zum Widerstand inspirieren. Manchmal ist es wohl nicht die Qualität der freien Gedanken, die zählt, sondern einfach die Tatsache, dass es sie gibt.

"Severance", nach dem Gefängnisdrama "Escape at Dannemora" (aktuell bei Sky) übrigens schon das zweite ziemlich "dunkle" Projekt von Hollywood-Starkomiker Ben Stiller, ist eine der ambitioniertesten und interessantesten Serien des noch frischen Jahres 2022.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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