ARTE-Doku

"Die magischen Stimmen des Pop": Gänsehaut-Momente am Mikro

Zum Auftakt des "Summer of Voices" bei ARTE erkunden Stars und Fachleute das "Gefühlsgeheimnis" menschlicher Stimmen. Danach zeigt der Sender ein Konzert von Alicia Keys.

ARTE
Die magischen Stimmen des Pop
Dokumentation • 16.07.2021 • 21:50 Uhr

Die menschliche Stimme auf dem Prüfstand: In zahlreichen Dokumentationen, Musikfilmen und Konzertmitschnitten feiert ARTE zwischen 16. Juli und 22. August den "Summer of Voices". Zum Auftakt steht die von anderen Popsommern bei ARTE schon gewohnte "dokumentarische Einführung" auf dem Programm.

Teil eins von "Die magischen Stimmen des Pop" (21.50 Uhr) widmet sich der Magie der "echten" menschlichen Stimme. Stars wie Jan Delay, Joy Denalane und Marteria sprechen im "Die Erfindung der Popstimme" betitelten Film über ihre Einflüsse. Danach folgt um 22.45 Uhr "Die Popstimme im digitalen Zeitalter". Doku-Teil zwei widmet sich der Verfremdung menschlicher Stimmen mithilfe neuer Techniken. Um 23.40 Uhr schließt sich in deutscher Erstausstrahlung der Konzertfilm "Alicia Keys – Live in LA" an – eine Show des US-Superstars für das geknechtete Corona-Publikum da draußen. 2020 ließ die Sängerin und Songwriterin ein hochwertig produziertes Konzert im (leeren) Ace Hotel Theatre in Los Angeles aufzeichnen. Zwischen ihren größten Hits richtete Alicia Keys immer wieder direkte Worte an das virtuelles Publikum.

"Authentisch sein und sich selbst verlieren – das liegt nahe beieinander", heißt es in der Doku "Die magischen Stimmen des Pop": Amy Winehouse, Janis Joplin, Jim Morrison oder Kurt Cobain – sie gelten auch deshalb als unvergessliche Stimmen, weil diese Sängerinnen und Sänger in Innerstes nach außen kehrten. "Leute, die sich selbst gut leiden können, geben vielleicht gute Narzissten, aber in den seltensten Fällen große Künstler ab", sagt der Journalist Jens Balzer über den Zweifel als Motor für große Stimmen und ebensolche Kunst. 2016 erschien sein viel gelobtes Buch "Pop". In dem Doku-Beitrag zur Eröffnung des ARTE-Popsommers kommt der kluge Kolumnist erfreulich oft zu Wort. In klaren, erhellenden Worten ist Balzer für die Analysen zuständig. Wobei das Schwergewicht der Erkenntnisse – gemessen an "Screen Time" – bei den für die Doku befragten, meist deutschen Musikern liegt. Dazwischen "sprechen" die Künstler selbst: Sinatra, Elvis, Aretha Franklin oder Billie Holiday.

"Das Publikum ist nicht doof"

"Die Magie der Stimme ist nicht planbar", heißt es ziemlich zu Beginn des Films. "Sie ist Überschuss des Moments, in dem sie erklingt, in dem sie eingefangen wird. Wollen wir ihrem Geheimnis näher kommen, sollten wir uns also jenen Moment genauer ansehen, in dem sie festgehalten wurde." Danach sieht man Freddie Mercury, der sich im Studio vor einem Mikrofon zu (emotionalen) Höchstleistungen aufschwingt. Ebenso in der Aufnahmesituation: Aretha Franklin am Klavier oder Beyoncé bei einem Lied über enttäuschte Liebe. Mehr sinnliche Erfahrung über die Wirkungsmacht der menschlichen Gesangsstimme als in diesen kurzen Sequenzen geht nicht. Oder George Michael auf der Queen-Bühne bei dem Tribute-Konzert für den gerade verstorbenen Freddie Mercury. Der Musiker Jan Delay erzählt, dass er seit Jahrzehnten Gänsehaut am ganzen Körper bekommt, wenn er nur über dieses Konzert spricht. Erst später erfuhr Delay, dass George Michael seine Gala-Leistung als Mercury-Wiedergänger in einem Lebensmoment vollbrachte, als gerade sein Lebenspartner, sein bester Freund und seine Mutter gestorben waren – und er den Gig eigentlich absagen wollte.

"Echter Schmerz und echte Emotionen sind wichtig, denn das Publikum ist nicht doof", sagt auch der deutsche Produzent Mousse T., der gerade in den 90-ern und Nullerjahren als Remixer und Produzent für Aufmerksamkeit sorgte. In seinem Studio präsentiert der Hannoveraner die versteckten Vokal-Spuren von einer Aufnahme mit Michael Jackson aus den 90-ern, die er einst remixen durfte. Ein besonderer Moment im Film, weil man Michael Jackson, den Rhythmus seiner Stimme, die interessanten harmonischen Dopplungen, die im fertigen Song jenen typischen Michael-Jackson-Chor ergeben, wohl selten so nackt und bewegend gehört hat.

Auch zu den Anfängen der Aufnahme von Popstimmen reist die Dokumentation zurück. Die Erfindung moderner Mikrofone ermöglichte in den 40-er-Jahren den neuen Typ des Crooners: leise oder besser "dynamische" Sänger, deren Stimmen sich anschlichen und den Hörern das Gefühl vermittelten, Sänger oder Sängerin säße in ihrem Wohnzimmer und flüstere ihnen Geständnisse ins Ohr. Frank Sinatra war der wohl Erste dieser Crooner, was man etwas umständlich mit "tiefem, sanftem Murmeln" übersetzen könnte.

"Die magischen Stimmen des Pop" ist eine kluge und trotzdem dem Thema angemessen gefühlssatte Dokumentation, die Lust auf das macht, was bei ARTE bis 22. August noch folgt. Insgesamt sechs Wochenenden lang zeigt der "Summer of Voices" die Bandbreite der menschlichen Stimme und huldigt damit jenem Ausdrucksmittel, das uns ohne Umwege so ins Herz trifft, wie wohl nichts sonst in der Kunst.

Die magischen Stimmen des Pop – Fr. 16.07. – ARTE: 21.50 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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