Hintergrund zum Krimi

Wie realistisch war der "Tatort: Murot und das Paradies" mit Ulrich Tukur? Gibt es "Bioports"?

23.10.2023, 09.42 Uhr
von Eric Leimann

Der "Tatort: Murot und das Paradies" war eine besonders verrückte Episode des Krimis. Ulrich Tukur ließ sich als depressiver Ermittler aus Wiesbaden, eine Nabelschnur legen, die ihn in andere Erlebniswelten führte. Wie realistisch ist so ein "Bioport"? Hier gibt es die Hintergrundinfos zur "Tatort"-Folge.

Zwölf "Tatorte" mit dem Wiesbadener Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) sind seit 2010 entstanden. Man kann sich schnell darauf einigen: Dieses deutsche Krimiformat ist am weitesten vom klassischen Ermittlerfall weg! Diesmal produzierte der "Tatort: Murot und das Paradies" eine Mischung aus Philosophiestunde und Science Fiction, indem er seinen Helden von der Analytiker-Couch per Near-Future-Nabelschnur in diverse Parallelwelten beförderte, um das titelgebende Paradies zu finden. Dabei wurde auf mindestens ein halbes Dutzend berühmte TV- und Kinostoffe angespielt. Wir verraten, auf welche!

Worum ging es?

Ermittler Felix Murot machte eine depressive Phase durch. Mit seinem Analytiker Dr. Wimmer (Martin Wuttke) diskutierte er über den Sinn des Lebens. Doch dann klingelte das Handy des Couchpatienten im Bereitschaftsdienst. Murot wurde zu einer Leiche gerufen, die eine obskure Besonderheit aufwies: Der jungen Investmentbankerin wurde der Bauchnabel entfernt, stattdessen wurde eine Art "Bioport" eingesetzt. Nur woran sollte das Opfer "angeschlossen" werden?

Die Ermittlungen führten zu einer Underground-Party, bei der sich Hochfinanz-Junkies dem Exzess hingaben. Murot lernte die seltsame Performance Künstlerin Ruby Kortus (Ioana Bugarin) sowie die nicht minder geheimnisvolle Eva Lisinska (Brigitte Hobmeier) kennen. Die beiden Frauen machten dem psychisch schwankenden Ermittler ein unfassbares Glücksangebot. Es führte ihn in andere Welten, war aber auch gefährlich.

Was steckt dahinter?

Dass Ulrich Tukur in Gesprächen mit dem experimentierfreudigen Hessischen Rundfunk die Themen seiner "Tatorte" mitbestimmt, ist bekannt. Hier kommt nun all das zusammen, was den 66-jährigen Schauspieler auch abseits der Kamera beschäftigt, wie man aus vielen Interviews weiß: das Altern und die Melancholie der Vergänglichkeit, die Suche nach dem Glück respektive dem Sinn des Lebens und nicht zuletzt: die Begeisterung für die Kunst und insbesondere den Film.

Der "Tatort: Murot und das Paradies" weist so viele Filmzitate auf wie zuletzt der mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete "Tatort: Im Schmerz geboren" (2014). Damals verwiesen die Zitate auf Sergio Leone, Quentin Tarantino, Shakespeare und die Nouvelle Vague. Und diesmal?

Welche Filme standen Pate bei diesem "Tatort"?

In seinen Weltenfluchten tauchte Felix Murot ins Dritte Reich ein, wo er per Hitler-Attentat den Lauf der Geschichte ändern wollte – natürlich eine Anspielung nicht nur auf Ulrich Tukurs zahlreiche historische Rollen aus dieser Ära ("Rommel"), sondern auch auf Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" (2009), in dem ebenfalls mit der Idee einer "Geschichtsveränderung" in Bezug auf Nazi-Deutschland gespielt wird.

Und Murot im Weltraum? Nicht nur musikalisch, sondern auch in den Bildmotiven ein klarer Verweis auf Stanley Kubricks Klassiker "2001: Odyssee im Weltraum" (1968), auf dessen finales Werk "Eyes Wide Shut"(1999) außerdem die dekadente Maskenball-Party der Banker anspielte. Außerdem gab es Querverweise zur legendären Italo-Zeichentrickserie "Herr Rossi sucht das Glück".

Die wichtigste Inspiration entnahm der "Tatort" allerdings David Cronenbergs Film "eXistenz" (1999), der Jude Law und Jennifer Jason Leigh per "Bioport"-Adapter am eigenen Körper ebenfalls in eine virtuelle Parallelwelt entführte, die täuschend echt – und gefährlich – war.

Gibt es solche Bioports wirklich?

Mensch-Maschine-Interfaces, die uns in andere Welten entführen oder Personen mit Einschränkungen wieder an der "normalen" Welt teilhaben lässt, begeistern sowohl Künstler als auch die Wissenschaft. Im Prinzip stellten Schalter und Regler, die Maschinen "auf Knopfdruck" reagieren ließen, das erste Mensch-Maschine-Interface dar. Touchscreens, die mit der Erfindung des iPhones populär wurde, stellten eine weitere "Annäherung" von Mensch und Maschine dar.

Mittlerweile wird vor allem die Steuerung von Maschinen und KI via VR-Brille und Hirnstrommessung von der Forschung vorangetrieben. "Körperöffnungen" wie den Bauchnabel als "Bioport" zu nutzen, ist aber doch eher eine abwegige Idee, die eher künstlerisch mit dem Geborgenheitsmythos unserer Lebensphase im Mutterleib spielt.

Vom Bauchnabel über das Rückenmark "zurück ins Gehirn" die Vorstellungen des Menschen zu steuern, dürfte auch weiterhin der Science-Fiction-Welt exklusiv gehören. Allerdings: Chirurgische Eingriffe über den Bauchnabel, zum Beispiel bei der Entfernung der Gallenblase, sind nicht unüblich, weil dabei so gut wie keine sichtbaren Narben entstehen.

Wer waren die beiden "Femme fatale"?

Dass Frauen den stets melancholisch nach Liebe suchenden Einzelgänger Murot ins Verderben führen, ist – in der heutigen Zeit – zwar etwas altmodisch, aber so ist ja nun mal auch die Figur Murot. Diesmal werden die beiden obskuren Damen mit dem Glücksversprechen von der etablierten 47-jährigen Münchnerin Brigitte Hobmeier (Grimmepreis 2012 für "Die Hebamme – Auf Leben und Tod", "Oktoberfest 1900") und dem rumänischen Jungstar Ioana Bugarin verkörpert.

Letztere spielt ihre verführerisch dominante Performancekünstlerin so gut, dass man glauben könnte, die 27-Jährige käme tatsächlich aus dieser Ecke. Tatsächlich wurde sie jedoch mit dem rumänischen Film "Miracol" von Bogdan George Apetri bekannt, der einige Preise gewann und auch in den USA Beachtung fand. Danach spielte Bugarin in der HBO-Serie "Ruxx", ist aber auch auf der Bühne des Bukarester Odeon-Theaters zu sehen, wo sie nach einer Gastrolle als Ophelia in "Hamlet" fest eingestellt wurde.

Wie geht es mit dem Murot-"Tatort" weiter?

Ulrich Tukur kokettiert seit Jahren mit dem Ende der sehr besonderen Krimireihe, die ihm allerdings auch ermöglicht, sehr besondere Filme zu machen. Bislang gab es stets einen "Murot" pro Jahr – meist im späteren Herbst. Auch 2024 geht die Reihe weiter, denn im Frühjahr 2023 fanden im Hessenpark bei Neu-Anspach Dreharbeiten zu "Murot und das 1.000-jährige Reich" statt.

Der Film spielt zum Großteil im Jahr 1944 und erzählt von Hagen von Strelow, einem der letzten Kriegsverbrecher des Zweiten Weltkriegs. Der hatte sich nach Südamerika abgesetzt, wurde gefasst und wird jetzt im Flugzeug nach Frankfurt transportiert. Ihm soll endlich der Prozess gemacht werden. Ulrich Tukur spielt eine Doppelrolle: Kommissar Rother, einen Ermittler im "Dritten Reich" und Murot, der mit Magda Wächter (Barbara Philipp) am Frankfurter Flughafen darüber sinniert, wie sinnvoll es ist, einen Greis vor Gericht zu stellen.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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