Film im Ersten

"Und ihr schaut zu": erbarmungslose Gaffer

09.11.2022, 08.17 Uhr
von Franziska Wenzlick

Eine junge Frau stirbt nach einem Unfall, wenig später entdeckt ihre Mutter im Internet Videos von ihrer sterbenden Tochter. Der Film "Und ihr schaut zu" macht wütend und fassungslos – und er beruht auf einer wahren Geschichte.

ARD
"Und ihr schaut zu"
Drama • 09.11.2022 • 20:30 Uhr

Es dauert nur wenige Augenblicke, dann ist Mia (Katharina Stark) tot. "Sie hat nichts falsch gemacht", sagen die Polizisten später zu ihrer Mutter Jenni (Anja Schneider). Noch weiß die Alleinerziehende nicht, dass ihre Tochter während ihrer letzten Atemzüge gefilmt wurde – von gaffenden Influencern, die den Unfalltod der jungen Frau an einer belebten Kreuzung für Klicks ausschlachten wollen. Es kommt, wie es in einer derart herzzerreißenden Tragödie eben kommen muss, und auch Jenni erreichen die Aufnahmen. Als wäre das bloße Wissen, dass das eigene Kind überfahren wurde, nicht schlimm genug.

"Und ihr schaut zu" lautet folglich auch der anklagende Titel des 90-Minüters, den das Erste nun im Rahmen der Themenwoche "Wir gesucht! – Was hält uns zusammen?" zeigt. "Die ARD-Themenwoche spricht Konflikte offen an, sucht nach den Hintergründen des Auseinanderdriftens und fragt, wie wir es überwinden können", heißt es in einer Ankündigung. Angesichts des Films von Michaela Kezele (Regie) und Dominique Lorenz (Buch) stellt sich allerdings die Frage, inwiefern es überhaupt möglich sein soll, besagtes "Auseinanderdriften" zu überwinden. Vielmehr scheint es ungewiss, ob manche Teile der Gesellschaft noch zu retten sind. Wer nämlich nach dem anderthalbstündigen Drama zur Primetime denkt, die Handlung sei überzogen, wird direkt im Anschluss eines Besseren belehrt: Die Geschichte, die in "Und ihr schaut zu" erzählt wird, fußt auf einer wahren Begebenheit.

Doku nach dem Spielfilm

Von jener bitteren Realität erzählt Kai Diezemann in seiner Dokumentation "Filmen ohne Gnade – Die Lust am Leid der anderen" (21.45 Uhr). So musste Judith nicht nur verkraften, dass ihre Tochter Leonie während einer Urlaubsreise ums Leben kam – sondern später auch noch Fotos ihres schwerverletzten Kindes im Netz sehen.

Zurück bleibt vor allem die Frage, weshalb Menschen Verletzte filmen und fotografieren, statt zu helfen. "Smartphone Gaffer" nennt sich das Phänomen der unbelehrbaren Schaulustigen, die in der Vergangenheit schon die Johanniter dazu veranlassten, Rettungswagen mit "Anti-Gaffer-Design" in Betrieb zu nehmen: Ein QR-Code auf den Seiten und dem Heck des Fahrzeugs soll Menschen, die einen Unfall mit ihrer Handykamera aufnehmen, auf die möglichen juristischen Folgen hinweisen. Abschreckend könnte das tatsächlich sein: Gaffer, die Unfallopfer fotografieren oder filmen, müssen hierzulande mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe rechnen.

Auch im Falle von "Und ihr schaut zu" bleibt der trauernden Mutter immerhin dieser kleine Triumph: Mithilfe einer Anwältin (Bärbel Schwarz) gelingt es Jenni nach einer schier endlos erscheinenden Suche nach Antworten, die Filmenden ausfindig zu machen und vor Gericht zu bringen. Wie sich während der Verhandlung herausstellt, haben die Angeklagten zwar die Einsatzkräfte behindert – Mia hätte aber ohnehin keine Überlebenschance gehabt. Ein schwacher Trost, wenn überhaupt, und so bleibt der Protagonistin am Ende des Prozesses nur noch eine Frage: "Was", will Jenni wissen, "sind wir denn alle ohne Mitgefühl?"

"Und ihr schaut zu" – Mi. 09.11. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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