ZDF-Reportage "37°"

Reportage beleuchtet Missbrauch eines Kindes in der Therapie

10.11.2023, 10.26 Uhr
von Eric Leimann

Es ist ein ekelhaftes und schreckliches Erlebnis, das der siebenjährige Max Leon durchmachen musste. Der Junge wurde von einem Therapeuten missbraucht. Heute ist er 26 Jahre alt und berichtet mit seiner Mutter in der ZDF-Reportage über das Verbrechen und wie der Täter lange damit davonkam. 

Vor 20 Jahren: Der frisch eingeschulte Max Leon tut sich schwer mit dem Lesen und Schreiben. Weil nichts hilft, freut sich Mutter Anne, als sie einen Therapieplatz bei einem angesehenen Kinder- und Jugendtherapeuten erhält, der im Film "37°Leben: Glaubt mir! Missbrauch in der Therapie" in allen Interviews mit dem Codenamen "Herr Heinz" bezeichnet wird. Dies hat seinen Grund, denn die Ereignisse von damals ziehen sich im erlebten Leid, den Traumata und juristischen Prozessen bis heute.

Das ZDF zeigt die Dokumentation in seinem linearen Programm am Sonntag, 12. November, zu sehr früher Stunde um 9.03 Uhr. Ab Freitag, 10. November, ist er in der ZDF-Mediathek verfügbar.

Angebot von Schweigegeld

"Herr Heinz" hat Max Leon in der Therapie sexuell missbraucht. Die in der Dokumentation von Autorin Stephanie Schmidt geschilderten Handlungen des Therapeuten sind erschütternd. Die Probleme des damals siebenjährigen mit Lesen und Schreiben verbessern sich nicht, stattdessen wird der Junge aufgrund seiner verstörenden Erfahrungen immer verschlossener. Erst als sich der Therapeut vor dem Elternteil verplappert und davon spricht, dass heute wieder gebadet wird, schöpft die Mutter Verdacht und beendet die Therapie von heute auf morgen.

Als Max Leon sein Schweigen bricht und auch mit dem Kinderschutznotdienst über das Erlebte spricht, erfolgt eine Anzeige. 2010 kommt es zum Prozess. Die Sachlage scheint klar: "Herr Heinz" hatte der Mutter, nachdem sie ihn zur Rede gestellt hatte, schriftlich Schweigegeld angeboten, 200 Euro monatlich. Das Gericht verzichtete auf eine Glaubwürdigkeitsbegutachtung des Opfers und verurteilte "Herrn Heinz" 2012. Doch der Therapeut klagt vor dem BGH und bekommt Recht: Max Leon hätte in seiner Glaubwürdigkeit begutachtet werden müssen. Der Albtraum geht weiter, zehn Jahre vergehen. "Herr Heinz" und seine Anwälte ziehen das Verfahren in die Länge: Der Kinderpsychologe erscheint nicht bei Gericht, lässt sich von renommierten Gutachtern Verhandlungsunfähigkeit attestieren oder hält sich in einer Privatklinik auf.

Zu kurze Strafe für ein lebenslanges Trauma?

Erst sehr viel später gelingt es, mit Hilfe eines in der Sache erfahrenen Anwalts und einer Hilfsorganisation, "Herrn Heinz" erneut vor Gericht zu stellen: Nach fünf Jahren des Schweigens erstattete Max Leon erstmals Anzeige. Danach dauerte es zehn Jahre, bis der Täter verurteilt wird. Ein Beweismittel des Gerichts ist dabei ein Buch, das der Täter im Eigenverlag herausbrachte und in dem pädophile Neigungen und Handlungen verteidigt werden. Im Dezember 2020 wird in Saarbrücken ein Urteil gefällt: "Herr Heinz" wird wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Haftstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Strafe hat er jedoch 2024 "abgesessen".

Der "37°Leben"-Film schildert nicht nur einen bewegenden Einzelfall über das doppelte Trauma eines Therapieopfers, das seinem Peiniger – trotz klar scheinender Beweislage – bis ins Erwachsenenalter kaum beikommt. 2020 erreicht die Zermürbung ihren Höhepunkt, Mutter Anne und der von Selbstmordgedanken getriebene Max Leon sind kurz davor aufzugeben. Von Max Leons neuer Therapeutin erfahren Mutter und Sohn vom Ethikverein. Es ist die einzige Anlaufstelle, die sich in Deutschland um Opfer von Missbrauch in der Therapie kümmert – ein Problem, das hierzulande lange ein Tabuthema war. Das einzige Forschungsgutachten dazu stammt aus dem Jahr 1995.

"Wenn man die Zahlen von damals hochrechnet, kommen wir inzwischen auf etwa 1.400 Fälle pro Jahr", sagt Ethikverein-Gründerin Dr. Andrea Schleu. Erschreckend: Nur ganze vier Fälle schaffen es bislang jährlich, vor Gericht verhandelt zu werden. Insofern ist der Film auch ein wichtiger Beitrag, um auf Missbrauch in der Therapie in Zukunft früher aufmerksam zu werden – und dagegen vorzugehen. Sowohl persönlich – wie im Film von Max Leon und seiner Mutter mutig betrieben – wie auch als gesellschaftliche Aufgabe.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Das könnte Sie auch interessieren