Helge Schneider wird 70: Das außergewöhnliche Jubiläumsporträt!







Bei wenigen Menschen bricht das Publikum schon in Lachtränen aus, sobald sie nur die Bühne betreten. Helge Schneider ist ein Paradebeispiel: Er benötigt nur einen Blick, eine Geste, einen Laut – und der Saal tobt. Seit Jahrzehnten begeistert der begnadete Musiker, Entertainer und Spaßmacher mit seinen absurden Auftritten, mit grotesk-kreativen Alben und noch surrealer anmutenden Filmen. Nun, da der unnachahmliche Künstler aus Mülheim an der Ruhr am 30. August sein 70. Lebensjahr vollendet, erscheint eine filmische Ehrerbietung samt Rückblick auf ein unvergleichliches Lebenswerk mehr als angemessen.
Eine Mixtur aus Mockumentary und Selbstporträt
Allein weil der Meister den ARD-Film (ab 19. August in der Mediathek) über sich höchstpersönlich schuf, ist daraus natürlich alles andere als ein gewöhnliches Doku-Porträt geworden. Findet man die Geburtstagselogen wohl in den Feuilletons des Landes, zeigt der Jubilar im halbdokumentarisch-halbquatschigen Werk "Helge Schneider – The Klimperclown" seine ganze Kunst: Erinnerungen und Archivmaterial wechseln sich mit Musik, aktuellen Auftritten und skurrilen Einlassungen ab.
"Guten Tach, mein Name ist Helge Schneider und ich bin – Clown": Mit diesen Worten beginnt der knapp 80-minütige Film, den das Geburtstagskind gemeinsam mit seinem Band-Gitarristen Sandro Giampietro drehte. Und besser könnte man das, was Schneider seit Ende der 80er-Jahre betreibt, kaum beschreiben.
Der titelgebende Clown, in dieser einzigartigen Alleskönner-Variante, prägt das gesamte Schaffen des Mannes mit der lustigen Stimme, Frisur und Kleidung. Schon als Kind habe er Zirkusclown werden wollen, erzählt der Protagonist in dieser Mixtur aus Mockumentary und Selbstporträt, die ironischerweise unter dem Label "ARD Dokumentarfilm" ausgestrahlt wird, obwohl sie mindestens so viele fiktiv-experimentelle wie dokumentarische Szenen enthält. Einmal mehr lebt sich der Jubilar aus, singt und spielt allerlei Instrumente, ergeht sich in aberwitzigen Performances und hält Monologe, die einen fragend zurücklassen.
Eine keineswegs chronologische, dafür herrlich chaotische Rückschau
Wie in all seinen Filmen – zuletzt 2013 in "00 Schneider – Im Wendekreis der Echse" – findet Helge Schneider in diesem absonderlichen Porträt letztlich zu sich selbst. Respektive zu seiner Kunstfigur, die er auch hier nur momenthaft zu verlassen scheint. Gibt es überhaupt einen öffentlichen Helge abseits des Bühnen- und Filmcharakters? Schon vor zehn Jahren wollte sich Regisseurin Andrea Roggon in ihrer wirklich ernst gemeinten Doku "Mülheim Texas" (2015) anlässlich seines 60. Geburtstages dem dahinterliegenden, echten Helge Schneider nähern, prallte aber trotz zahlreicher privater Einblicke an jenem Alter ab – und begnügte sich letztlich mit einem Porträt desselbigen.
Diesmal, zum 70., ist das ähnlich – und doch ganz anders. Denn die Eigenregie erlaubt es Schneider, seine Geschichte selbstbestimmt zu erzählen, eingebettet in ein großes Helge'sches Kunstwerk. Was davon wahr ist und was ausgedachter Quatsch - man weiß es oft nicht in dieser keineswegs chronologischen, dafür herrlich chaotischen Rückschau. Das Publikum sieht allerlei nostalgische Kinderbilder und Aufnahmen seiner Familie, gedreht von seiner Tante Erna oder Helge selbst.
Man sieht die sympathischen Eltern, die das Schaffen des Zöglings zwar nicht immer verstehen, aber dennoch stolz begleiten. Man sieht grandiose gegenwärtige und vergangene Bühnenshows, aber auch zahlreiche experimentelle Filmeinschübe, real wie gezeichnet. Der Blick auf eine alles andere als geradlinige Biografie wird kurzerhand eingemeindet ins Kabinett aus Albernheiten ("Der Reihe nach: erst Baby, dann Mann").
"Mein Name spielt keine Rolle. Man kennt mich wegen meines Hauptwerkes 'Katzenklo'"
So reinszeniert der 1955 im Ruhrgebiet geborene Schneider in verstörenden Szenen seine Geburt, erzählt, wo er als Kind rodelte und wie er als junger Teenager Hörspiele im Keller eines Freundes aufnahm. Das Publikum erfährt von seiner Flipper-Leidenschaft und seiner Liebe für Spanien, wo er sich mal ein Haus kaufen wollte: "Aber ich habe mich nicht getraut, den Verkäufer anzurufen."
Man sieht in Reenactment-Szenen, wie er sich auf seine Shows vorbereitet und wird Zeuge alter 90er-Jahre-Videos. in denen das enorme Talent des jungen Tausendsassas schon offenbart wird. "Mein Name spielt keine Rolle. Man kennt mich wegen meines Hauptwerkes 'Katzenklo'", sagt Schneider an einer Stelle selbstironisch über seinen größten Erfolg, bis heute ein generationenübergreifender Hit.
Die Zuschauer folgen Schnieder einer dank Giampetros Kameraführung wortwörtlich hautnah, nur um zwischendrin immer wieder durch eine irritierende Musik- oder Schauspieleinlage hinausgeworfen zu werden. Unerwartbares schaffen, das gelingt Helge Schneider noch immer brillant. Unterstrichen wird das Absonderliche durch (scheinbar) private Einblicke, die auch seinen Filmen wie "Texas" oder "Praxis Doktor Hasenbein" entsprungen sein könnten. Ob beim Entspannen, beim Motorradfahren oder beim Saugen des Wohnmobils – in schräger Garderobe wirkt Schneiders gesamtes Tun wie eine große Performance.
Zu messen ist der Meister auch mit 70 nur an sich selbst
Zu Wort kommt außer dem Geburtstagskind, das in seiner unnachahmlich näselnden Erzählerstimme auch aus dem Off kommentiert, fast niemand: Zwar werden Wegbegleiter und Freunde mit der Kamera besucht, sie äußern sich – wie sonst in filmischen Ehrerbietungen üblich – aber kaum.
Vielmehr bedankt sich Schneider mit abrupten Gesprächen ("Ich muss los") bei seinen Mitmusikern, Produzenten und Autoren auf die ihm eigene Weise. Immerhin erweisen auch Prominente dem Genie die Ehre, wie Alexander Kluge, mit dem Schneider seine grandiosen nächtlichen Filmphilosophien schuf, oder Peter Kraus, mit dem er zuletzt Musik machte und im Film einfach nur Cabrio fährt. Besonders absurd aber sind die Szenen mit Paddy Kelly, der im Film als Roadie bei Helge Schneider anheuert.
Lustige Anekdoten, Details und Geständnisse aus seinem Leben ("36 Tassen Kaffee am Tag war keine Seltenheit") packt Schneider an vielen Stellen aus. Ob es hingegen wirklich stimmt, dass er einst betrunken in Düsseldorf in den Briefkasten der FDP pinkelte, weil ihm jener der CDU zu hoch war? Es ist vollkommen egal. Ebenso die ewige Suche der Medienschaffenden nach dem "echten" Helge Schneider, die im Film amüsant persifliert wird. Die fragen sich: "Ist der wirklich so verrückt?"
"Ich will nicht so viel angeben hier", sagt Helge Schneider an einer Stelle. Dass er das gar nicht nötig hat, ist sowieso jedem klar. Es braucht keine pathetische Biographie, keine Einordnung eines Werks. "The Klimperclown" steht als genuiner Helge-Schneider-Film für sich, so wie sein Schöpfer und dessen Kunst. Zu messen ist der Meister auch mit 70 nur an sich selbst. Ein Vergleich mit anderen ist zwar möglich, letztlich aber sinnlos.
ARD Dokumentarfilm: Helge Schneider – The Klimperclown – Mi. 20.08. – ARD: 22.50 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH