Gerhart Baum äußert sich geschockt über die Entwicklungen im Land: "Wir werden von Hass überflutet"
Am Mittwochabend begrüßte Markus Lanz in seiner Talk-Runde nur einen Gast: Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum sprach mit dem Moderator über die Sorge um die Zukunft unserer Demokratie. Dabei machte der 91-Jährige auf eine erschreckende Entwicklung aufmerksam und äußerte klare Forderungen an die Ampel.
Die Novemberpogrome 1938 waren der Auftakt zur systematischen Judenverfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus. 85 Jahre später steigt die Anzahl antisemitischer Straftaten in Deutschland wieder massiv an. Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel finden auf deutschen Straßen regelmäßig pro-palästinensische Demonstrationen statt, auf denen – wie jüngst in Essen – islamistische Banner gezeigt und die Errichtung eines Kalifats gefordert werden. Bei "Markus Lanz" (ZDF) zeigte sich Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (91) geschockt über die Entwicklungen im Land und gab offen zu: "In dieser Dimension, Herr Lanz, wie ich es jetzt erlebe, habe ich es noch nie so erlebt. Es mag schlafend irgendwo gewesen sein, aber wir haben es nicht so wahrgenommen."
"Es ist ein schleichender Prozess"
Über den offen ausgelebten Judenhass sagte Baum weiter: "Ich bin zutiefst erschrocken. (...) Die Deutschen haben eine besondere Verpflichtung, sich von Antisemitismus, Rassismus, fernzuhalten." Laut des FDP-Politikers gebe es zwei Faktoren, die in den steigenden Antisemitismus mit beeinflussen würden. "Wir werden von Hass überflutet im Internet", so Baum, der damit auf die vielen Lügen und die Propaganda im Nahost-Konflikt anspielte. Zudem erklärte er, dass "ein Teil der Migranten" nicht im Grundgesetz angekommen sei und stattdessen "den Hass auf Israel mitgebracht" hätte.
Mit Blick auf die aufgeheizte politische Stimmung in Deutschland warnte Gerhart Baum deshalb mit ernster Miene: "Wir haben keinen neuen Hitler, aber die Leute, die jetzt glauben, sie könnten bei Systemverächtern andocken, weil sie protestieren, müssen sich überlegen, was sie anrichten." Der 91-Jährige ergänzte: "Es ist ein schleichender Prozess. Nicht nur in den Wahlergebnissen der AfD. Es ist eine Strömung hin zu Systemverächtern." Viele Menschen, die Baum auch "Freiheitsverächter" nannte, würden die "Regeln, nach denen wir leben" schlicht ablehnen.
Markus Lanz wollte daraufhin wissen, was Menschen dazu bewege, die AfD zu wählen. Baum antwortete prompt, dass die Entscheidung seiner Meinung nach nicht nur "auf den ungelösten Migrationsproblemen" beruhe. "Die Vorstellung, wir lösen das alles und der Spuk ist vorbei, ist absolut falsch", so der Politiker. Vielmehr gebe es laut Baum Menschen, "die sich verführen lassen" und die dann Parteien wählen, "die ihnen schaden".
Sorge um die nachlassende "Bindungswirkung des Grundgesetzes"
Gerhart Baum kritisierte in dem Zusammenhang das fehlende Gespür der Bundesregierung und sagte: "Da hat die AfD einen Wahlerfolg und dann werden die Politiker wach. Das ist doch beschämend! Warum nicht vorher?" Laut des 91-Jährigen liege die Gefahr für "Zukunft der deutschen Demokratie" jedoch nicht nur in der AfD. Er betrachte auch den Antisemitismus von Links sowie das Schweigen vieler linksgerichteter Aktivisten als "ganz gefährlich".
"Die Gleichgültigen sind gefährlich, diejenigen, die die Verfassung angreifen, sind gefährlich. Ich habe manchmal das Gefühl: Wo ist eigentlich die politische Bildung geblieben?", sagte Baum wütend, der sich zu Beginn seiner Politikkarriere vorgenommen hatte: "Das darf nicht mehr passieren." Der ehemalige Bundesinnenminister fügte hinzu, dass seine Sorge sei, dass insgesamt "die Bindungswirkung des Grundgesetzes" nachlasse – "auch durch jene, die einfach gleichgültig weitermachen und nicht kämpfen für diese Verfassung".
Gerhart Baum: "Wir haben uns auch selbst überfordert"
Dies brachte Markus Lanz auf die Ampelregierung und die miserablen Wahlergebnisse der FDP zu sprechen. Gerhart Baum zeigte sich dazu zunächst verhalten und gab zu, dass die FDP zu wenig mache, denn: "Sie muss dem Liberalismus Atem verleihen, ein Lebensgefühl zum Ausdruck bringen. In diesen Umbrüchen sagen: Was bedeutet Freiheit in einer Situation, wo wir die Zukunft neu denken müssen?"
Laut Baum gebe es aktuell niemanden an der Spitze des Landes, der Klartext rede. Er fügte jedoch verständnisvoll hinzu: "Die Situation ist wahnsinnig komplex. Wer konnte das voraussehen, als die Koalitionsvereinbarung geschrieben wurde, was da alles noch passiert." Lanz fragte abschließend: "Haben wir an einem Punkt dieses Land überfordert?" Darauf antwortete Baum ernst: "Ja, wir haben uns auch selbst überfordert. Wir dachten, es geht immer so weiter und es geht immer nach oben."
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH