Am 2. Juni wäre Marcel Reich-Ranicki 100 Jahre alt geworden. Das Erste wiederholt zu diesem Anlass die Verfilmung der Bestseller-Biografie "Mein Leben", die in sensiblen wie packenden Bildern vom Leben des späteren Literaturkritikers zwischen 1920 und 1958 berichtet.
"Bitte langweilen Sie die Zuschauer nicht": Nur diesen einen Satz gab Marcel Reich-Ranicki dem Drehbuchautor Michael Gutmann zur Verfilmung seiner Autobiografie mit auf den Weg. Ansonsten erhielt das Projekt, das im Jahr 2009 erstmals ausgestrahlt wurde, freies Geleit. Offensichtlich machte man beim WDR dann auch alles richtig. "Fabelhaft", soll das Urteil des 2013 verstorbenen Literaturpapstes gelautet haben, als er die Verfilmung seines Lebens von der Kindheit bis in die 50er-Jahre hinein (Antritt bei der "Frankfurter Allgemeinen") im Rahmen einer Privatvorführung sah. Dem schloss sich die Kritik weitgehend an, schon weil Matthias Schweighöfer in der Titelrolle – ganz ohne Ranicki-"r" – eine Glanzleistung vollbringt. Nun, da der große Kritiker am 2. Juni 100 Jahre alt geworden wäre, wiederholt das Erste "Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben".
Der Fernsehfilm über Ranickis Leben wird anlässlich eines (fiktiven) Geheimdienst-Verhörs von 1949 von Drehbuchautor Michael Gutmann geschickt in Rückblenden erzählt: Der spätere Literaturkritiker wird 1920 im polnischen Wloclawek als Sohn jüdischer Eltern geboren. Der musisch interessierte Vater David (Joachim Król) übt den Kaufmannsberuf eher schlecht als recht aus. Er kann der Familie außer Bildung kaum etwas bieten. Mutter Helene (Maja Maranow), die deutscher Herkunft ist, schickt den neunjährigen Marcel zu ihrem wohlhabenden Bruder ins Berlin der Weimarer Republik. Deutsch soll er lernen, im "Land der Kultur", wie er es ehrfürchtig mit auf den Weg bekommt.
Der Empfang fällt für den jungen Polen jedoch eher frostig aus. Im Unterricht wird er wegen mangelnder Sprachkenntnisse und wegen seines Akzents gehänselt. So nimmt er sich vor, der Beste in Deutsch zu werden – was dem Heranwachsenden, der sich in Berlin immer wohler zu fühlen beginnt, schließlich auch gelingt.
Als die Nazis 1933 die Macht übernehmen, will Marcel trotzig weitermachen wie bisher. Seine Liebe zum Theater und zur Literatur gibt ihm die Kraft, den immer deutlicher werdenden Übergriffen des Systems zu widerstehen. Doch 1938, nur wenige Monate nach dem Abitur, weist man den 18-Jährigen nach Warschau aus. Nach Hitlers Überfall auf Polen werden die Reich-Ranickis ins Warschauer Getto umgesiedelt, wo die Lebensumstände von Woche zu Woche unmenschlicher werden. Hier trifft Marcel die junge Teofila, genannt Tosia (Katharina Schüttler), die er noch im Getto heiratet.
Als die beiden im Februar 1943 ins Vernichtungslager Treblinka deportiert werden sollen, gelingt ihnen die Flucht, sie verstecken sich in einem Keller bei Warschau. 1958, 13 Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches, entschließt sich Reich-Ranicki zu einem ungewöhnlichen Schritt: Er zieht nach Frankfurt, mitten ins Land der "Richter und Henker". Aus dem Mann, den Nazi-Deutschland vernichten wollte, wird einer der größten Liebhaber und Kritiker der deutschen Literatur. Bei der Begrenzung auf die erste Hälfte der Lebensgeschichte Ranickis – der Aufstieg zum Star des Kulturbetriebs bleibt ausgespart – wurde von Gutmann und Regisseur Dror Zahavi der übliche biografische Bilderreigen vermieden. Der hervorragend besetzte Film liefert stattdessen traumhafte Momente, die die Liebe des jungen Außenseiters zur deutschen Literatur und Sprache jederzeit spüren lassen.
Auch das ZDF ehrt zum Jubiläum den legendären Chef des "Literarischen Quartetts": In der Nacht zu Montag, 1. Juni, zeigt das Zweite ab 00.25 Uhr das dokumentarische Porträt "Ich, Reich-Ranicki", in dem sich die Autoren Lutz Hachmeister und Gert Scobel dem Leben und dem Charakter des polarisierenden Kritikers widmen. Der Film von 2006 dokumentiert neben seltenen Archivaufnahmen auch detaillierte Gespräche mit Reich-Ranicki.
Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben – So. 31.05. – ARD: 23.35 Uhr