Und morgen die ganze Welt
24.09.2023 • 23:35 - 01:15 Uhr
Spielfilm, Drama
Lesermeinung
prisma-Redaktion
Vergrößern
Vergrößern
Vergrößern
Vergrößern
Originaltitel
Und morgen die ganze Welt
Produktionsland
D, F
Produktionsdatum
2020
Altersfreigabe
12+
Kinostart
Do., 29. Oktober 2020
Spielfilm, Drama

Zwischen Herz und Verstand

Von Jasmin Herzog

In "Und morgen die ganze Welt" schließt sich eine junge Frau der Antifa an und sieht sich mit der Frage konfrontiert, ob Gewalt ein legitimes Mittel ist. Der Fim von Regisseurin Julia von Heinz ist als Wiederholung im Ersten zu sehen.

Wer mit den Filmen von Matthias Schweighöfer, Til Schweiger und Bora Dagtekin aufgewachsen ist, kann sich kaum vorstellen, dass das deutsche Kino einst auch politisch war. Dass Filmemacher wie Fassbinder, Kluge und Schlöndorff den Diskurs von der Straße in die Kinosäle trugen. "Und morgen die ganze Welt" setzt sich genau mit diesem Themenfeld auseinander: Politik aus der Sicht der Jugend. Das Erste zeigt den Film von Regisseurin Julia von Heinz nun als Wiederholung.

Der Film, der seine Weltpremiere im September 2020 bei den Filmfestspielen in Venedig feierte, stellt eine von Mala Emde verkörperte junge Frau namens Luisa in den Mittelpunkt. Die Studentin stammt aus einer wohlhabenden, konservativen Familie, die sich an den Wochenenden zur gemeinsamen Jagd mit Freunden trifft. Durch eine Freundin (Luisa-Céline Gaffron) kommt sie mit einem linksalternativen Wohnprojekt in Mannheim in Kontakt, für das sie sich bald engagiert. Gemeinsam gehen sie auf Demonstrationen, sammeln Informationen über bekannte Rechtsradikale.

Einmal, bei einem Protest gegen eine rechte Partei, eskaliert der Protest. Luisa wird verletzt, findet aber auch Gefallen an der körperlichen Auseinandersetzung mit den Rechten. Sie radikalisiert sich zunehmend, auch Gewalt akzeptiert sie bald als Möglichkeit des politischen Protests. Die Lage gerät außer Kontrolle, als Luisa zusammen mit ihren Antifa-Freunden einen Angriff auf ein Neonazi-Treffen plant.

Fiktiver Schein, aber dennoch real

Julia von Heinz erzählt diese Geschichte, die zwar fiktiv ist, aber auch auf eigenen Erlebnissen basiert, wie einen Thriller. Das macht den Film spannend, lässt aber auch wenig Platz für Erklärungen. Warum sich Luisa derart radikalisiert, bleibt vage. Sie findet eine neue Heimat bei den Linken, das schon. An den Wochenenden aber weidet sie noch immer das frisch erlegte Jagdvieh aus. Ein Widerspruch, den der Film stehen lässt, ohne sich um eine Antwort zu bemühen. Bisweilen bekommt man den Eindruck, Luisa mache bei den Antifa-Aktionen nur mit, um dem gutaussehenden Alfa (Noah Saavedra) nahe zu sein, einer Art linkem Posterboy. Das Herz schlägt eben links – das wusste schon Oskar Lafontaine.

"Politische Anliegen zu vermitteln, kenne ich sehr gut aus der Arbeit in der linken Szene", sagt Regisseurin Julia von Heinz in den Pressenotizen zum Film. "Man will seinen Zuschauer erziehen, trägt praktisch die Fackel der Wahrheit durchs Land, und andere Meinungen lässt man kaum gelten. All das habe ich lange hinter mir gelassen." In ihrem Film lässt sie mehrere Charaktere aufeinanderprallen: den hübschen Alfa, der Gewalt befürwortet, und den zurückhaltenden Lenor (Tonio Schneider), der immer wieder für einen friedlichen Weg plädiert. Zwischen diesen beiden Polen pendelt ihre von Mala Emde fantastisch verkörperte Protagonistin, ohne dass der Film dabei allzu sehr den pädagogischen Zeigefinger erhebt.

Wofür Luisa und ihre Freunde eigentlich kämpfen, lässt der Film bewusst offen. Sie sind gegen Nazis, ja. Aber wofür treten sie eigentlich ein? Was für eine Welt schwebt ihnen vor? Diese Desillusionierung mit der Antifa spiegelt sich im Film in der Figur des Dietmar (Andreas Lust) wider. Dietmar, einst Kämpfer der Revolutionären Zellen, lebt heute zurückgezogen auf dem Land. Nachdem er an einem Bombenanschlag beteiligt war, saß er jahrelang im Gefängnis. Wenn er über den jugendlichen Übermut von Luisa und den anderen den Kopf schüttelt, dann spricht daraus auch die Grundhaltung dieses Films.

Der Titel ist übrigens nicht, wie man meinen könnte, eine linke Parole. "Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt", das ist eine Zeile aus "Es zittern die morschen Knochen" – einem heute verbotenen Lied der nationalsozialistischen Deutschen Arbeitsfront. Die gewaltbereite Linke und die gewaltbereite Rechte, auch das ist eine Erkenntnis dieses Films, sie liegen manchmal zum Verwechseln nah beisammen.

Und morgen die ganze Welt – So. 24.09. – ARD: 23.35 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Der Trailer zu "Und morgen die ganze Welt"

Darsteller

Victoria Trauttmansdorff
Weitere Darsteller
Mala Emde Noah Saavedra Tonio Schneider Luisa-Céline Gaffron Andreas Lust Nadine Sauter Hussein Eliraqui Michael Wittenborn Heidi Walcher Robert Besta Constanze Weinig Matthias Bundschuh Frederik Bott Eddie Irle Antonio Lallo Matthias Emberger Lee Huang

Das beste aus dem magazin

Dr. med. Heinz-Wilhelm Esser ist Oberarzt und Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Kardiologie am Sana-Klinikum Remscheid und bekannt als "Doc Esser" in TV und Hörfunk sowie als Buchautor.
Gesundheit

Adventszeit: Genießen mit gesunder Gelassenheit

Die Weihnachtszeit muss nicht ungesund sein. Mit ein paar einfachen Tipps kann man die Adventszeit genießen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Entscheidend ist, was man das ganze Jahr über macht.
Oliver Mommsen vor einem Weihnachtsbaum.
HALLO!

Oliver Mommsen über seine Rolle in "Eine fast perfekte Bescherung"

Im Weihnachtsfilm „Eine fast perfekte Bescherung“ müssen die Anwohner eines Berliner Viertels an Weihnachten ihre Wohnungen verlassen, weil eine Weltkriegsbombe entschärft wird. In einer Turnhalle findet sich eine bunt gemischte Truppe zusammen, die nun mit dieser Situation umgehen muss. Oliver Mommsen spielt Pfarrer Klaus Meier. Mit prisma hat er über den Film und über Weihnachten gesprochen
Carsten Henn lehnt an einer Wand.
HALLO!

Carsten Henn: „Wein ist ein bodenständiges Produkt“

Bestsellerautor Carsten Henn ist thematisch breit aufgestellt. Neben seinen Bestsellern wie „Der Buchspazierer“ und „Sonnenaufgang Nr. 5“ hat er sich einen Namen als Verfasser kulinarischer Kriminalromane gemacht. Da blitzte seine Liebe für den Wein schon hier und da auf. In seinem neuen Weinbuch schenkt der renommierte Weinjournalist und Weinbauer sein fundiertes fachliches Know-how nun einzigartig praktisch und unterhaltsam ein: Mit 66 wohldosierten und klug ausgewählten Fragen nimmt er seine Leser in „Simply Wine“, erschienen bei ZS, mit in die Welt des Weins. prisma hat mit ihm über sein neues Buch gesprochen.
Doc Julia Fischer
Gesundheit

Wenn der Harndrang zum Rätsel wird

Ständiger Harndrang, Schmerzen, keine klare Diagnose: Wenn die Blase Probleme macht, beginnt oft eine jahrelange Suche nach Ursachen. Warum Ärzte manchmal ratlos sind und was hilft, wenn Beschwerden chronisch werden.
Eine Grafik mit Händen zum Thema Aids.
Gesundheit

Aidshilfen rufen zu Solidarität auf

Der Welt-Aids-Tag am 1. Dezember macht seit 1988 auf HIV und Aids aufmerksam. Mit dem Motto "Gemeinsam. Gerade jetzt." rufen deutsche Organisationen zu Solidarität auf.
Markus Oelze mit rosa Hemd
Gesundheit

Wechselwirkungen mit Medikamenten: Vorsicht bei diesen Lebensmitteln

Ein Apotheker erklärt, welche Wechselwirkungen zwischen Lebensmitteln und Medikamenten zu beachten sind. Besonders Milch, Alkohol und Grapefruitsaft können problematisch sein.