Musiker sortierte kräftig aus

Tim Bendzko: "Ich wollte Ballast abwerfen"

von Nadine Wenzlick

Im Leben von Tim Bendzko (neues Album "Filter") hat sich zuletzt einiges getan. Obwohl er kein "Reise-Typ" sei, wie er im Interview erklärt, flog er alleine nach Australien. Unmittelbar davor verkaufte er sein Haus in Berlin. Was war da los, Herr Bendzko?

Seit Tim Bendzko 2011 seine Debütsingle "Nur noch kurz die Welt retten" veröffentlichte, ist er aus der deutschen Musiklandschaft nicht mehr wegzudenken. Mit seinem vierten Album "Filter" (erhältlich ab 18.10.) geht der Berliner nun neue Wege, doch dafür musste er erst einmal aufräumen. Nach seiner letzten Tournee verspürte der 34-Jährige plötzlich das Bedürfnis, sein Leben zu vereinfachen. Er verkaufte sein Haus und zog in eine andere Wohnung, reiste alleine nach Australien – und plötzlich kamen die Ideen für neue Songs ganz von alleine, wie er im Interview an einem sonnigen Herbsttag in Hamburg erzählt.

prisma: Es heißt, Sie hätten 2018 ordentlich ausgemistet. Wie muss man sich das vorstellen?

Tim Bendzko: Zur Erklärung muss ich etwas ausholen. 2017 spielten wir eine große Tour, und als ich zwischendurch vier oder fünf Tage Pause hatte, fing ich an, meinen Keller zu entkernen. Mit einem Vorschlaghammer, wie man sich das vorstellt. So etwas macht mir richtig Spaß. Ich ging direkt aus dem Keller in die Arena in Berlin, mit zitternden Händen. Ein halbes Jahr später war ich allerdings immer noch mit dem Keller beschäftigt und merkte, dass es anfängt, mich zu belasten. Ich hatte auf einmal den Drang, dass alles kleiner werden muss.

prisma: Ganz nach dem Motto "Simplify your life"?

Bendzko: Genau. Ich bin so ein Projekt-Typ. Ich denke dann: "Jetzt baue ich mir eine Solaranlage aufs Dach oder einen Wintergarten." Es ist totaler Quatsch, immer das Gefühl zu haben, man müsse noch mehr machen. Deswegen wollte ich einen Schritt zurück. Ich wollte Ballast abwerfen. Ich hatte parallel schon immer Songs geschrieben und darauf gewartet, dass mir einer über den Weg läuft, der eine Initialzündung für das Album ist. Es ist dann fast gleichzeitig passiert: Freitag war ich beim Notar und habe mein Haus verkauft, Montag flog ich für zwei Wochen alleine nach Australien. Alle Songs, die auf dem Album sind, sind ab da entstanden.

prisma: Wie wohnen Sie jetzt?

Bendzko: In einer Mietwohnung. Das ist keine kleine, minimalistische Wohnung – aber es hat auch gar nichts mit der Größe zu tun. Es geht schon bei kleinen Sachen los: Ich hatte drei Rasierer. Warum? Man tut sie nicht weg, weil man denkt, sie vielleicht noch zu brauchen. Das musste ich in den letzten eineinhalb Jahren lernen: Wenn ich eine Sache ein halbes Jahr lang nicht benutze, dann brauche ich die wahrscheinlich auch nicht. Das Sprichwort "Weniger ist mehr" passt da ganz gut.

prisma: Dieses Sprichwort steht allerdings im Kontrast zu einer Gesellschaft, die nach wie vor auf Konsum getrimmt ist.

Bendzko: Ich weiß die Zahl nicht mehr genau, aber ich habe einmal gelesen, dass 80 oder 90 Prozent aller Wirtschaftsgüter eigentlich keinen Sinn und Zweck haben. Sie sind nur dafür da, das System am Laufen zu halten. Von allen Ecken kriegt man ständig gesagt, dass man neue Dinge braucht. Das merkte ich in Australien wieder: Es ist erstaunlich, dass man wochenlang aus einem relativ kleinen Koffer leben kann und von dem, was man mitgenommen hat, nur einen Bruchteil benutzt.

prisma: Was haben Sie in Australien gemacht?

Bendzko: Ich machte keine Rundreise oder so, sondern war einfach nur zwei Wochen in Sydney. Ich bin mehr so der Aufsauge-Typ, wenn ich in den Urlaub fahre. Ich will sehen, wie die Leute ticken, und mische mich unter sie, ohne groß Sightseeing zu machen. Natürlich war ich auch bei der Oper in Sydney, aber ansonsten verbrachte ich die meiste Zeit am Strand. Das war gar nicht der Plan, aber ich lief da am zweiten Tag morgens beim Sonnenaufgang vorbei und beschloss: Das ist mein Strand. Jeden Morgen zum Sonnenaufgang um 5.30 Uhr saß ich da.

prisma: Sie sind Frühaufsteher?

Bendzko: Ich liebe es tatsächlich, früh aufzustehen. Im Alltag bin ich mit den Sachen, die ich machen muss, meistens schon fertig, bevor alle anderen aufgestanden sind. Und im Urlaub, auch durch die Zeitverschiebung, kann man sich selber überlegen, wann der Tag anfängt.

prisma: Urlaub hatten Sie in den letzten Jahren wahrscheinlich relativ selten. Seit Sie vor acht Jahren ihr Debütalbum "Wenn Worte meine Sprache wären" veröffentlichten, verlief ihre Karriere im Eiltempo. Zu schnell?

Bendzko: Im ersten Jahr passierte auf jeden Fall alles in sehr kurzen Abständen. Aber ich bin weit davon entfernt, mich über zu viel Arbeit zu beklagen. Gerade jetzt, wo ich die Abläufe kenne, weiß man, was man vor der Brust hat und wofür man es tut. Wenn man ein Jahr lang an einem Album gearbeitet hat, hat man auch Bock, den Leuten das zu zeigen. Zumal ich wirklich glaube, dass dieses Album besonders ist.

prisma: Inwiefern?

Bendzko: Es ist immer schwierig, das einzuschätzen, wenn man selber daran beteiligt war, aber ich finde es abwechslungsreich, für meine Verhältnisse sehr positiv, und auch grundsätzlich ist es für Deutschpop recht selbstbewusst und mutig. Ich schrieb fast alle Songs zusammen mit anderen, weil ich wusste: Wenn ich es so mache, wie ich alles davor gemacht habe, dann wird es auch genauso klingen. Ich wollte aber, dass es eine andere Farbe bekommt.

prisma: "Muss mich neu erfinden / neue Ziele anvisieren / neue Wege finden", singen Sie in "Nie mehr zurück". Mögen Sie Veränderungen?

Bendzko: Ich liebe es, mich auf neue Wege zu machen. Wenn jemand sagt, er will sich zu neuen Ufern aufmachen, verknüpft man das oft mit negativen Dingen, weil man auch Sachen hinter sich lässt. Der Song dreht es eigentlich um und sagt: Ich mache nicht etwas Neues, weil ich das Alte doof finde, sondern einfach, weil ich Bock auf etwas Neues habe. Ich könnte mir auch super gut vorstellen, mal ein Jahr im Ausland zu leben. Nicht, um wegzugehen, weil ich es hier doof finde, sondern weil ich es einfach spannend finde, auch mal woanders zu sein. Ich habe das Gefühl, viele Leute verbinden Veränderung mit etwas Beängstigendem. Das ist bei mir überhaupt nicht so. Ich liebe Routine, aber ich liebe es auch, mich Dingen auszusetzen, vor denen ich vielleicht auch ein bisschen Angst habe.

prisma: Wann haben Sie das zuletzt gemacht?

Bendzko: Mit der Australien-Reise zum Beispiel. Das klingt vielleicht von außen gar nicht so spannend, aber ich bin eigentlich gar nicht so der Reise-Typ, und wenn mir jemand vor acht Jahren gesagt hätte, dass ich einmal alleine nach Australien fliege, um die halbe Welt - das hätte ich mir beim allerbesten Willen nicht vorstellen können. Ein anderes Beispiel ist, wie ich Autoauktionator wurde. Eigentlich fing ich da als Aushilfe an. Am ersten Tag bekam ich eine Führung durch den Laden, und als wir an diesem Auktionatoren-Pult vorbeikamen, dachte ich, das wäre das Letzte, was ich mir vorstellen könnte. Ein halbes Jahr später bettelte ich fast darum, das machen zu dürfen. Ich glaube, da sieht man ganz gut, wie ich ticke.

prisma: Es gibt auf "Filter" auch viele nachdenkliche Momente, etwa den Song "Leise". "Wie kann man so viel mehr haben, als man braucht, und sich trotzdem nicht reichen?", fragen Sie darin. Sind das Sie?

Bendzko: Zu einem gewissen Grad schon. Grundsätzlich soll der Song die verschiedenen Wahrnehmungen zeigen. Der Zuschauer sieht mich oder jeden anderen Künstler auf der Bühne oder im Fernsehen und dann kommt schnell der Verdacht auf, dass das alles sei, was in meinem Leben passiert. Das ist aber nicht der Fall. Mein Alltag hat damit wirklich relativ wenig zu tun. Und wenn man diese Zeile konkret auf mich beziehen möchte: Ich habe die ersten zwei oder drei Jahre wirklich damit zu kämpfen gehabt, das anzunehmen – die Anerkennung.

prisma: Warum?

Bendzko: Bei meinem ersten Album ist ja, wie Sie schon sagten, sehr viel sehr schnell passiert. Irgendwann war das so ein Hype, dass ich mich fragte, ob das wirklich noch etwas damit zu tun hat, wie gut das wirklich ist, was ich mache. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es dem entspricht, was ich zu leisten imstande bin. Unsere erste Tour spielten wir noch vor 300 Leuten, beim zweiten Album waren es dann 5.000. Meine Schuhe wurden relativ schnell sehr groß, ohne dass ich Einfluss darauf hatte. Mittlerweile habe ich das Gefühl, ich kann das besser tragen. Aber das hat eine Weile gedauert.

prisma: Als Jan Böhmermann vor zwei Jahren seinen "Eier aus Stahl"-Beitrag veröffentlichte, nannte er unter anderem Sie als Negativbeispiel für die deutsche Poplandschaft. Hat Sie das getroffen?

Bendzko: Nein. Bei meinem letzten Album habe ich jedes Wort selber geschrieben und das Album selbst produziert. Es war also genau das Gegenteil von dem, was er da sagen wollte. Deswegen verstand ich auch nicht ganz, warum er mich da hineinzog. Lustigerweise bin ich großer Jan-Böhmermann-Fan. Ich finde, er hat überragende Sachen gemacht.

prisma: Haben Sie ihn seitdem einmal getroffen?

Bendzko: Ja, ich war auch schon in seiner Sendung. Ich weiß nicht mehr, ob das sogar auch Thema war. Tatsächlich würde ich mich gerne mal mit ihm darüber unterhalten. Ich glaube, dass er das auch differenzierter sieht, als er das im Fernsehen ausbreiten kann. Am Ende ist das auch Unterhaltungsfernsehen. Grundsätzlich traf er da einen guten Punkt. Es gibt sehr viele gute Songs da draußen, es gibt aber auch sehr viele ganz schlimme. Letztlich ist es Geschmackssache.

prisma: Was wollen Sie mit Ihrer Musik erreichen?

Bendzko: Das hat zwei Ebenen. Die erste ist, ganz egoistisch, mir Dinge von der Seele schreiben und die Freude, aus einem leeren Blatt Papier einen Song zu machen. Darüber hinaus weiß ich, was Musik mit mir machen kann. Gerade, als ich jünger war, prägten Songs sehr oft meinen Alltag. Und ich freue mich, wenn meine Songs etwas Positives in den Menschen auslösen, sie sich darin wiederfinden oder ein Gefühl darin entdecken, das sie selbst gerade durchleben. Ich traf mich kürzlich mit Fans, um ihnen mein neues Album zu zeigen, und traf dabei auf zwei Frauen, bei denen ich wirklich spürte, was die Songs ihnen bedeuten.

prisma: Woran merkten Sie das?

Bendzko: Ich hatte das Gefühl, dass die beiden es nicht ganz leicht im Leben haben. Sie machten einige Andeutungen, was bisher los war und dass gewisse Songs ihnen aus der Seele sprechen. Das war das erste Mal, dass ich das so erlebte, von Angesicht zu Angesicht, und es erinnerte mich an die Zeit, als ich noch jünger war und Songs mir Kraft gaben, mich motivierten und beseelten.

prisma: Welcher war der letzte Song, der das bei Ihnen schaffte?

Bendzko: Ich weiß noch, dass "Sie sieht mich nicht" von Xavier Naidoo (1999, Anm. d. Red.) mir damals total die Schuhe ausgezogen hat. Da merkte ich, was Musik kann. Lustigerweise machen das jetzt oft eigene Songs. Wenn wir sie mit der Band live spielen, gibt es immer mal wieder Momente, in denen sie das Gefühl von damals zurückholen. Das macht Musik ja am Ende so magisch.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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