Lavinia Wilson im Interview

Dreharbeiten ohne festes Drehbuch – so läuft das ab

Lavina Wilson helikoptert sich durch die Mockumentary "Andere Eltern" (ab 19.3., TNT Comedy) und will als hochschwangere Supermama eine eigene Kita aus dem Boden stampfen.

Sie kennt sich aus mit Helikopteltern: Lavinia Wilson hat selbst drei Kinder und lebt in einer Großstadt (Berlin). In jenem Habitat also, in dem sich moderne Eltern bei der Erziehung ihres Nachwuchses selbst verwirklichen. Deswegen weiß die 38-jährige Schauspielerin auch, dass Helikoptereltern beileibe nicht die Dämonen sind, als die sie in der bisweilen übertriebenen medialen Berichterstattung dargestellt werden. Sie seien doch auch nur Menschen, die das Beste für ihre Kinder wollen. Allerdings stecke in ihren Bemühungen häufig eine ganze Menge Komik, die Wilson und ihre Kollegen in "Andere Eltern" (ab 19. März immer dienstags, 20.15 Uhr, TNT Comedy) einfangen. Aus dem Stegreif übrigens: Die siebenteilige Mockumentary ist eine Impro-Show. Doch gerade, wenn alles erlaubt ist, wird es schwierig.

prisma: Sie konnten sich bei "Andere Eltern" ja ziemlich austoben. Man hört, dass nichts vorgeschrieben war in der Mockumentary über Helikoptereltern.

Lavinia Wilson: Das stimmt nicht wirklich. Wir haben bei einem früheren Treffen mit Journalisten den Fehler gemacht, zu sagen, dass alles improvisiert war. Danach waren die Autoren leicht beleidigt. Sie haben sich nämlich viel überlegt und im Vorfeld intensiv mit uns auseinandergesetzt. Wir waren aber in der Figurengestaltung viel freier als sonst.

prisma: Ein klassisches Drehbuch gab es aber nicht?

Lavinia Wilson: Richtig, es gab zwar eine Storyline, die kannten wir aber nur teilweise. Alle paar Tage gab es Briefings mit neuen Informationen, beim Dreh wurde auf deren Basis dann wirklich alles improvisiert. Wir kannten die Grundlagen unserer Biografie, von den anderen wussten wir aber immer nur so viel wie unsere Figur in der Realität auch wissen würde.

prisma: Haben Sie sich denn wenigstens über die Briefings ausgetauscht und eine gemeinsame Strategie entwickelt?

Wilson: Das war absolut verboten! Die Briefings kamen per Mail und waren "Top Secret"! Aber mir ist es ein paarmal passiert, dass ich im Spiel, also in meiner Improvisation, die "Geheimnisse" der anderen erraten habe. Da wurde sofort geschimpft: "Woher weißt du das? Wer hat dir das gesagt?"

prisma: Sie haben also wirklich immer alle dichtgehalten?

Wilson: Meistens, ja. Allerdings bekam ich ein paar Infos vorher, wenn Verletzungsgefahr bestand, weil ich beim Dreh wirklich schwanger war. Zum Beispiel gibt es eine Szene, in der – ohne zu viel zu verraten – plötzlich viel Wasser eine Rolle spielt. Davon wusste sonst niemand etwas.

prisma: Ist es eigentlich stressiger für Sie als Schauspielerin, wenn Sie kein Drehbuch haben und alles improvisieren müssen?

Wilson: Es war auf jeden Fall anders, und auf eine gewisse Weise befreiend. Wir haben in drei Blöcken gedreht, danach wurde jeweils geschnitten, und die Autoren haben geschaut, wohin sich die Geschichten entwickeln. Wir durften im Prinzip alles sagen. Auch wenn wir uns danach häufiger mal entschuldigen mussten (schmunzelt).

prisma: Das kann man sich vorstellen, so wild und politisch unkorrekt wie "Andere Eltern" ist.

Wilson: Lange vor den eigentlichen Dreharbeiten haben wir schon einen Teaser gedreht: Wenn Lutz Heineking (der Serienschöpfer, d.Red.) den nicht so großartig zusammengeschnitten hätte, dann hätten wir wohl nicht das Vertrauen gehabt, die ganze Staffel durchzuziehen. Mir ging es jedenfalls so, dass dieser Teaser super lustig war, aber auch zeigte, dass wir niemanden vorführen wollen. Keine der Figuren wird entwürdigt. Mit diesem Vertrauen konnte ich mich in die Rolle fallen lassen.

prisma: Ihr Babybauch war schon ziemlich gut zu sehen: Wie haben Sie das denn durchgehalten? Immerhin dauerten einzelne Takes ja bis 45 Minuten ...

Wilson: Beim dritten Kind gewöhnt man sich daran. Vor allem, wenn die Produktionsfirma so rücksichtsvoll und umsichtig ist, wie es bei "Andere Eltern" der Fall war. Die haben es mir so angenehm und leicht wie möglich gemacht. Ich habe dafür meine ganze Energie vor die Kamera gebracht. Wenn dann die teilweise wirklich sehr, sehr langen Takes vorbei waren, habe ich mich meistens sofort auf eine Liege fallen gelassen und die Beine hochgelegt.

prisma: Ihr Partner Barnaby Metschurat und Sie sind beide Schauspieler: Wie schwierig ist es für Sie, Beruf und Kinder unter einen Hut zu bekommen?

Wilson: Das ist für uns nicht schwieriger als für andere Doppelverdiener-Paare. Die Logistik ist immer eine Herausforderung, auf jeden Fall. Aber irgendwie geht es dann ja doch immer alles.

prisma: Durch den Impro-Ansatz hatten Sie viele Freiheiten. Wieviele eigene Erfahrungen haben Sie denn in ihre Rolle eingebracht?

Wilson: Ich bin ja immer ich in meinen Rollen, in diesem Fall war ich es vielleicht noch etwas mehr. Die Vorbereitung auf "Andere Eltern" war allerdings aufwendiger als sonst. Ich musste auf jede Situation im Sinne der Figur vorbereitet sein, weil ich ja nicht ahnen konnte was auf sie zukommt. Aber was Elternsein bedeutet, weiß ich mittlerweile ganz gut.

prisma: Also waren Ihnen manche Dinge vertraut?

Wilson: In der Überspitzung liegt auf jeden Fall eine Menge Wahrheit. Helikoptereltern sind ein gesellschaftliches Phänomen. Auch wenn das Thema meiner Meinung nach in den Medien überstrapaziert wird. Uns ging es jedoch nicht darum, sie vorzuführen. Kein Helikopter-Elternteil würde von sich behaupten zu helikoptern, sondern immer nur das Beste fürs Kind zu wollen. Sie folgen einer inneren Logik, sei es aus einer Not heraus, einer Verunsicherung, einer Verzweiflung. Meinetwegen auch aus einer Dummheit. In ihrem Kosmos macht das alles Sinn, deswegen finde ich es völlig falsch, immer nur auf ihnen herumzuhacken. Stattdessen haben wir nach der Komik gesucht. Und davon gibt's eine Menge.

prisma: Ohne Erziehungsthemen kommt kein Nachrichtenportal mehr aus und ohne Elternratgeber keine Buchhandlung ...

Wilson: Die Selbstoptimierung und der Zwang, das bestmögliche Ich zu präsentieren, begegnen uns mittlerweile in so vielen Lebensbereichen. Dazu passt die unfassbare Auswahl von Ratgeberliteratur zu Erziehungsthemen mit oft gegensätzlichen Expertenmeinungen. Da ist Überforderung programmiert. Man braucht schon ein sehr gesundes Selbstbewusstsein, um sich dagegen zu behaupten.

prisma: Es scheinen mir immer weniger Menschen, Vertrauen in sich selbst zu haben ...

Wilson: Je mehr dieses Vertrauen beschworen wird, desto mehr scheint es uns abhanden zu kommen. Was mir an dem Projekt Spaß gemacht hat, war, dass wir uns mit unserer Leistungsgesellschaft auseinandersetzen, mit diesem Druck, perfekt sein zu müssen, die Kontrolle behalten zu wollen in einer Welt, die gerade außer Kontrolle gerät. Das sind ja alles Dinge, die mit dem Elternwerden nicht weniger werden, sondern stärker. Wenn man ein Kind bekommt, ist man plötzlich so viel verletzlicher. Dass sich gerade dann grundsätzliche gesellschaftliche Tendenzen im Persönlichen Bahn brechen und kulminieren, ist kein Wunder.

prisma: Ihre Figur Nina will eigentlich weg von der Leistungsgesellschaft ...

Wilson: Ja, aber sie überträgt genau dieses Prinzip auf ihr Elternsein. In diesem Widerspruch liegt für mich die Komik der Figur: Sie hat ihren Job in der PR-Branche aufgegeben und ist, was natürlich ein Klischee ist, Yoga-Lehrerin geworden, um auch mal locker lassen zu können. Dann jedoch bindet sie sich in der Schwangerschaft diese Kita-Gründung ans Bein, weil sie ihren Ehrgeiz einfach nicht abstellen kann. Für die Rolle habe ich einfach den stressigen Anteil der Person Lavinia Wilson mit ans Set genommen und den coolen Part zu Hause gelassen.

prisma: Die Leute in "Andere Eltern" wollen ihre eigene Kita aufmachen, weil sie alle keinen Betreuungsplatz bekommen ...

Wilson: Das ist wirklich ein Problem. Es gibt ganz viele Frauen, leider sind es immer noch meistens die Frauen, die später als geplant oder gar nicht wieder in ihren Job einsteigen können, weil sie nicht rechtzeitig einen Betreuungsplatz bekommen. Die Politik hat das Thema zwar mittlerweile auf dem Schirm, und es passiert auch eine Menge, aber das Problem löst sich nicht von heute auf morgen. Obwohl es gerade nicht einmal an Geld zu fehlen scheint. Es gibt zu wenig Erzieher und die, die es gibt, verdienen zu wenig – und keine Räumlichkeiten, die haben die Städte schon verscherbelt. Das ist nicht nur in Köln so, wo die Serie spielt.

prisma: Die Stadt spielt freilich eine große Rolle in der Serie.

Wilson: Der Lokalkolorit, Lutz Heineking ist ein sehr überzeugter und glücklicher Ur-Kölner, ist toll. Aber an einer Stadt kann man die Serie wirklich nicht festmachen. Eher am Milieu, das großstädtisch ist und auch den jungen Eltern eine narzisstische Ader zugesteht.

prisma: Haben Sie das Gefühl, dass der Narzissmus zunimmt?

Wilson: Es gibt da so eine App, die heißt Instagram. Wenn Sie die mal aufmachen, finden Sie die Antwort auf Ihre Frage (lacht). Die Menschen haben immer schon einen Hang zur Selbstdarstellung, niemand weiß das besser als Schauspieler. Das Internet, das ich wirklich liebe und nicht mehr missen möchte, ist für Selbstbespieglungen und unreflektierte Ego-Präsentationen natürlich die ideale Plattform – für jeden. Was wiederum bei vielen, vor allem jüngeren Menschen einen unheimlichen Druck erzeugt. Ich bin glücklicherweise alt genug, um mein Selbstwertgefühl nicht von Likes abhängig zu machen.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

Das könnte dich auch interessieren