Harald Lesch über Corona-Maßnahmen

"Ich kann Deutschland und fast die ganze Welt nur beglückwünschen"

Den Umgang mit dem Coronavirus hält Harald Lesch für eine "zivilisatorische Hochleistung". Der Wissenschaftsjournalist ist beeindruckt von der Reaktion zahlreicher Staaten. "Für mich ist es vor allem auch ein Sieg der Moral über die Ökonomie", sagt Lesch.

Auch Harald Lesch hätte in den vergangenen Wochen wohl lieber über Schwarze Löcher und andere Phänomene in Universum und Natur gesprochen. Es gebe jedoch derzeit Wichtigeres als das Weltall, gab der Astrophysiker und ZDF-Wissenschaftsjournalist in einem seiner Beiträge zum Coronavirus zu bedenken. Die grassierende Pandemie und ihre Folgen beschäftigen auch den beliebten Münchner Professor, der sich in seiner Sendung "Leschs Kosmos" schon länger irdischeren Erscheinungen wie dem Klimawandel widmet. Bereits da erfuhr Lesch, der gesellschaftskritische Naturphilosoph, die Wucht der Verschwörungstheorien aus dem Netz. Nun, da die Corona-Krise viel Verunsicherungspotenzial birgt, stellt der 59-Jährige den kursierenden Fake-News faktenbasierte Sendungen entgegen. Jener unablässige wie unaufgeregte Wille zur Aufklärung bescherte ihm 2019 den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus. In Zeiten von "gefühlten Wahrheiten" seien seine Beiträge zu komplexen Themen besonders wichtig, hieß es damals in der Begründung. Angesichts der Pandemie, die Lesch in einem "Kosmos"-Spezial unter dem Titel "Corona – Fakten, Fakten, Fakten" am Dienstag, 5. Mai (23 Uhr im ZDF), abermals ausführlich beleuchtet, gilt das umso mehr. Warum er dafür sogar Anfeindungen erträgt, was die Krise für uns als Gesellschaft bedeutet und weshalb wir aus der Corona-Pandemie lernen können, erklärt der Forscher im Interview.

prisma: Herr Lesch, wie erleben Sie persönlich diese Corona-Zeiten?

Professor Harald Lesch: Ich bin natürlich zu Hause, die Uni ist geschlossen. Vorlesungen finden als Video oder Livestream statt – das ist für mich etwas Neues, auch wenn ich viel Fernsehen produziert habe. Und dann sind da natürlich die zahlreichen Diskussionen darüber, wie es mit dem Virus nun weitergeht. Das fragen mich die Leute auf der Straße, wenn ich einkaufen gehe.

prisma: Was sind die dringlichsten Fragen?

Lesch: Aktuell natürlich: Wann hört das endlich auf? Das ist nach meinen Erfahrungen die Stimmung. Es existiert ein Phänomen namens "desaster fatigue", also eine Art Katastrophenmüdigkeit. Wenn man nicht absehen kann, dass es besser wird, ist das für viele eine große Belastung.

prisma: Können Sie die Menschen denn beruhigen?

Lesch: Die sprechen mich an, weil wir beim ZDF einige Beiträge zum Thema Coronavirus gemacht haben. Aber ich besitze ja auch keine anderen Zahlen. Höchstens noch eine Redaktion im Hintergrund, die Hintergrundfakten recherchiert und zusammenfasst. Aber ansonsten, bin ich wie alle darauf angewiesen, dass die Experten aus Virologie und Epidemiologie die wissenschaftlichen Zusammenhänge präsentieren und auf mögliche zukünftige Entwicklungen hinweisen. Entscheiden müssen bei uns aber die Länderregierung und die Bundesregierung. Und in deren Haut möchte ich momentan nicht stecken: Es war einfach, die Schulen zu schließen – sie wieder zu öffnen ist viel schwieriger.

prisma: Glauben Sie, die Maßnahmen waren angemessen und ausreichend?

Lesch: Ich kann Deutschland und fast die ganze Welt nur beglückwünschen. Ich halte das, was passiert ist, für eine zivilisatorische Hochleistung. Wir fahren unser globales Wirtschaftssystem fast auf Null herunter, um unsere Gesundheitssysteme so zu schützen, dass Risikogruppen bestmöglich medizinisch behandelt werden können. Ganz ehrlich, ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass das über Ländergrenzen hinweg eine einhellige Meinung wird. Wir alle schützen Teile unserer Gesellschaft vor schweren Erkrankungen. Das tun wir gerade, und das ist eine tolle Sache.

prisma: Nicht jeder fand und findet das gut.

Lesch: Es gab anfangs durchaus Stimmen, die die Sache durchlaufen lassen wollten. Die meinten, Corona sei nichts anderes als eine Grippe. Ich glaube, das wäre so einigen Autokraten auf der ganzen Welt lieber gewesen. Aber so kam es nicht. Stattdessen sind weltweit die meisten Menschen der festen Überzeugung, dass wir die Risikogruppen unbedingt schützen müssen und inzwischen ist ja auch klar, dass nicht nur ältere oder vorerkrankte Menschen an Covid-19 sterben können.

prisma: Also ein Sieg der Wissenschaft über die Populisten?

Lesch: Für mich ist es vor allem auch ein Sieg der Moral über die Ökonomie. Denn die Populisten versagen angesichts der Krise ziemlich, kein einziger hat richtig reagiert. Man sieht angesichts der Pandemie, was gerade auch unsere föderale Demokratie leisten kann.

prisma: Dennoch: Verschwörungstheorien zum Coronavirus kursieren munter. Mussten Sie das nach Ihren Beiträgen zum Thema auch erfahren?

Lesch: Ich dachte ja schon bei den Klimaskeptikern, dass das der Gipfel der Unverschämtheit sei. Aber beim Coronavirus hat sich zum Teil wirklich der Pöbel entladen – mit Klarnamen! Wie beim Klima wird es dann irgendwann emotional. Meine Redaktion und der Sender schützen mich aber – gerade, wenn es um Verunglimpfungen im Netz geht. Ich appelliere daher auch: Schützt die Wissenschaftler aus den Instituten davor!

prisma: Entschieden Sie sich auch aufgrund der Verschwörungen im Netz, aufklärerische Beiträge zum Thema zu produzieren?

Lesch: Es gab von Anfang an Leute, die das Virus heruntergespielt haben. Auch jetzt behaupten Einzelne noch, dass die Menschen etwa gar nicht am Coronavirus sterben. Vieles, was richtig ist, wurde da auch in völlig falsche Zusammenhänge gebracht. Da dachten wir in der Redaktion, wir müssen Klartext reden. So gut wie möglich abdecken, was wissenschaftlich hinsichtlich Corona der Fall ist – und immer wieder klarmachen, was ist Meinung, was ist Fakt.

prisma: Sie glauben also noch an die Macht der Fakten?

Lesch: Natürlich glaube ich daran, gar keine Frage. Es gibt eine ganze Menge Menschen, die zweifeln. Und die zu erwischen ist die Aufgabe. Die, die fest davon überzeugt sind, dass das Ganze nur eine Verschwörung der Illuminaten oder der Chinesen ist, die erreicht man sowieso nicht. Die anderen schon. Und meine Erfahrung sagt, dass ich mit meinen Sendungen schon eine ganze Menge Menschen erwischt habe.

prisma: Wie gelingt das bei einem so umstrittenen Thema?

Lesch: Das Wichtigste ist, dass die Zuschauer wissen, wovon die Rede ist. Virologie ist ja nun mal nicht alltägliches Gesprächsthema. Die Aufgabe von uns Wissenschaftsjournalisten ist es, alles inhaltlich korrekt darzustellen – aber eben auch verständlich und formal gut aufbereitet. Selbst wenn unsere ethische Verantwortung natürlich beim Schädelknochen des Gegenübers aufhört.

prisma: Betrachten Sie sich also als eine Art Übersetzer?

Lesch: Im Grunde ja. Dauernd übersetze ich irgendwas in irgendwas. Die schönste Reaktion des Publikums ist dann: "Das hab ich mir schon immer irgendwie gedacht". Bei diesem Virus ist das besonders wichtig. Das Risiko ist nicht abschätzbar – daher muss man sich auf möglichst einfache Lösungsversuche einigen. Das heißt: Einfache Entscheidungen treffen, die man auch schnell wieder zurücknehmen kann – und die von allen verstanden werden.

prisma: Würden Sie sagen, die Corona-Pandemie ist in gesellschaftlicher und ökonomischer Hinsicht einzigartig?

Lesch: Was wir erleben, hat es so noch nie gegeben. Ich war vor allem überrascht von der Intensität der Ausbrüche in Europa, von der Aggressivität des Virus und davon, wie schnell alles ging. Und: Jede Katastrophe nach 1945 fand lokal statt oder war auf eine Gruppe beschränkt. Daher haben wir keine Rezepte in der Schublade, die uns sagen können, was wir machen müssen. Wir probieren aus. Und wir sehen, wie sehr unsere Gesellschaft auf Kante genäht war.

prisma: Inwiefern?

Lesch: Denken Sie an die Just-In-Time-Konzepte der Industrie. Das System ist auf Durchlauf konzipiert; es ist so komplex geworden, dass es auf eine solche Pandemie nur sehr schwer reagieren kann. Es nach dem Shutdown wieder zum Laufen zu bringen, wird spannend werden – und wurde so noch nie gemacht. Dafür müssen sich Experten aus vielen Bereichen zusammensetzen, das kann nicht nur die Ökonomie entscheiden. Und: Das Letzte, das wir jetzt gebrauchen können, sind Experten, die sich vor der Kamera zerstreiten (lacht). Ich würde mir wünschen, dass wir das Kapital des "Zusammens" nicht verschießen.

prisma: Werden wir aus der Erfahrung der Corona-Krise für unser zukünftiges Leben und Wirtschaften lernen?

Lesch: Das ist schwierig. Zunächst einmal kann man sich fragen: Woher kommen denn diese neuen Virusmutationen? Die entstehen, weil wir zu nah an die Natur heranrücken. Und die Bilder der klaren Kanäle in Venedig sollten uns zu denken geben. Aber: Soziales Lernen würde bedeuten, dass alle die gleiche Erfahrung gemacht haben. Zwar ist das Coronavirus erst einmal demokratisch. Aber es macht erhebliche Unterschiede, unter welchen sozialen Bedingungen oder in welchem Land man das Virus erleidet. Gemeinsames Lernen wird es daher nicht geben, dafür aber vielleicht eine Art Zeitgeist, der sich schichtübergreifend ausbreitet.

prisma: Wie meinen Sie das?

Lesch: Im Sinne von: Das war jetzt ein deutliches Zeichen, dass wir auch ganz anders leben können. Dass wir nicht pausenlos unterwegs sein müssen. Dass es tatsächlich gut sein kann, mal auf etwas zu verzichten. Viele der so genannten Macher, die jetzt von Hundert auf Null runtergebremst wurden, hatten nun die Zeit sich zu überlegen, ob sie eigentlich wie bisher weitermachen wollen.

prisma: Betrifft das auch die Politiker?

Lesch: Zunächst muss ich einfach mal Danke an alle die sagen, die jetzt unser Land regieren. Was da persönlich und institutionell geleistet wird, ist großartig. Also keine Politikerschelte, sondern wirklich großen Respekt. Ich bin fest überzeugt davon, dass viele dank dieser Krise jetzt verstanden haben, dass diese durchgängige Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche für eine Gesellschaft kein tragfähiges Gerechtigkeitsprinzip darstellt. In dieser Pandemie zeigt sich, was wirklich wichtig ist: Geld kann die Politik sozusagen aus dem Nichts erschaffen, aber ohne die Zivilcourage und Solidarität der Bevölkerung wäre alles nichts. Aber bis jetzt waren wir immer auf der Denkschiene, alles in Geld umzurechnen und natürlich, Kosten zu sparen.

prisma: Wovon der Gesundheitsbereich zuerst betroffen sein dürfte?

Lesch: Wir haben das Gesundheitssystem in den letzten Jahren einfach zu sehr ökonomisiert, da wird mit Krankheit Geld verdient, um es mal ganz zugespitzt zu sagen. Das merkt man nun, wenn es wie in Italien und Spanien um Maßnahmen wie die Triage geht, und daran, dass die Löhne des Pflegepersonals skandalös niedrig sind. Denn die Daseinsvorsorge, die von neoliberaler Ideologie lange weggedrückt wurde, wird in solchen Zeiten sehr existenziell. Dass Leute dadurch reicher werden und dass am Ende nur die Shareholder zählen – das müsste sich jetzt ändern. Wenn wir es dann noch schaffen würde, die Mobilität in Teilen zurückzufahren, dann hätte das Virus auch ein paar positive Auswirkungen.

prisma: Was glauben Sie, wie sich die Corona-Krise in den nächsten Monaten entwickelt?

Lesch: Wir werden in Quarantäne bleiben, auch wenn es nicht mehr so schlimm sein wird. Doch selbst wenn nun Lockerungen kommen: Großveranstaltungen wird es nicht geben, viele kulturelle Veranstaltungen auch nicht. Wir werden Masken tragen – davon bin ich überzeugt. Es wird noch viel passieren. Das Virus wird uns noch über Monate begleiten.

prisma: Was erhoffen Sie sich persönlich in diesen sonderbaren Zeiten für die kommenden Wochen?

Lesch: Ich flehe ja, bitte, die Buchhandlungen wieder zu öffnen! Die werden zu ganz neuen Tempeln und die Buchhändler der Republik hoffentlich gefeiert werden (lacht). Und dass die Höflichkeit und das Lächeln auf vielen Gesichtern nicht wieder in Hetze und Zeitnot verschwinden. Dieses Virus verweist auf eine alte Weisheit: Nütze den Tag.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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