Interview

Jenke von Wilmsdorff: "Bei mir steht das Warum im Vordergrund"

von Markus Schu

An die Schmerzgrenze und darüber hinaus ist Jenke von Wilmsdorff mit seinen investigativen Sendungen für RTL schon öfter gegangen. In "Das Jenke-Experiment" untersuchte er die Auswirkungen von harten Drogen, Essstörungen und Alkohol auf Körper und Psyche, er verbrachte Zeit in Pflegeheimen und Gefängnissen. Mit seiner subjektiven Perspektive bewegt er sich nah am Reißerischen, wahrt jedoch stets die journalistische Würde und Integrität. Der Vollblutjournalist ist mit seinem Schaffen nicht nur nah dran an der Materie, sondern immer mittendrin.

Nur diesmal, mit der neuen Action-Spielshow "Kopfgeld", die er ab dem 16. Februar an zwei Freitagabenden jeweils um 22.15 Uhr auf seinem Stammsender RTL moderiert, macht er eine Ausnahme. Im Interview berichtet von Wilmsdorff über seine Rolle als Moderator und Motivator. Außerdem erklärt er, wie er mit Angst und Kritik umgeht und inwiefern seine Arbeit von Neugier und Sendungsbewusstsein geprägt ist.

prisma: Hat es Sie nicht auch selber in den Fingern gejuckt, aktiv bei Ihrer neuen Show mitzumachen?

Jenke von Wilmsdorff: Die ganze Zeit über! Es gab immer wieder Challenges, bei denen ich gerne mitgemacht hätte, doch aus versicherungstechnischen Gründen war das leider nicht möglich. Aber das war nicht meine Aufgabe. Es ging darum, die Kandidaten zu motivieren!

prisma: Was genau ist diesmal Ihr Job?

von Wilmsdorff: Ich sehe mich als Mischung aus Moderator und Motivator. Das Konzept dieser Sendung ist, dass man nur gemeinsam gewinnen kann. Und das ist insofern sehr spannend gewesen, weil das höhere Kopfgeld ja auf den schwächeren Kandidaten lag. Das heißt, es gab dadurch noch mal einen starken Anreiz für die sportlich fitteren Kandidaten, die schwächeren mit ins Ziel zu bringen und sie zu motivieren. Das fand ich reizvoll, deswegen wollte ich gerne dabei sein.

prisma: Also handelt es sich bei der Show um Eskapismus mit Sendungsbewusstsein?

von Wilmsdorff: Definitiv! Mit der Kernaussage: Man kann alles nur gemeinsam schaffen! Natürlich kommt man als Einzelkämpfer irgendwie durch die Welt, aber niemals optimal, niemals zufrieden. Wir Menschen sind Gruppentiere. Und das ist auch das klare Signal dieser Sendung. Wenn wir uns als Gruppe gemeinsam motivieren, stützen und zuhören, dann haben wir ungeahnte Kräfte.

prisma: Hilft Ihnen die Schauspielausbildung bei Ihrem investigativem Journalismus oder bei der Moderation?

von Wilmsdorff: Ich bin immer etwas hellhörig bei dieser Frage, denn die wurde zu Beginn meiner Experimente sehr oft gestellt. Weil man da immer die Frage heraushört, inwiefern die Experimente denn authentisch und wahrhaftig sind. Das alles hat mit Schauspielerei überhaupt nichts zu tun. Das Einzige, was ich aus der Schauspielerei vielleicht noch mitgenommen habe, ist, dass ich keine Angst vor einer Kamera habe. Und auch nicht davor, mich in schwachen Momenten ungeschönt zu zeigen.

prisma: Sie sind Journalist und Moderator, haben fürs Radio und das Fernsehen gearbeitet und schon zwei Bücher geschrieben. Kann man Sie als crossmedialen Tausendsassa bezeichnen?

von Wilmsdorff: Nein, überhaupt nicht. Ich bin einfach extrem interessiert an allem! Und ob ich jetzt eine Radiosendung moderiere, Fernsehen mache, ein Buch oder ein Drehbuch schreibe: Mich interessiert das alles! Ich mag die unterschiedlichen Genres beim Fernsehen, ob das jetzt ein Reportagemagazin oder meine Experimente im Stile des Gonzo-Journalismus sind. Ich finde es immer bedauerlich, wenn meine Arbeit die Menschen irritiert, was zum Glück in den letzten Jahren nachgelassen hat.

prisma: Inwiefern irritiert?

von Wilmsdorff: Anfangs haben sich die Leute immer gefragt: Was ist er denn jetzt? Schauspieler, Moderator, Journalist, Reporter? Wir neigen immer dazu, alles einordnen zu müssen und dagegen wehre ich mich. Ich möchte mir alles offenhalten.

prisma: Ihre Experimente zehren physisch wie psychisch an Ihnen. Wie lange macht der Körper das mit?

von Wilmsdorff: Meinem Körper geht es sehr gut, meiner Psyche auch. Die Frage, die ich mir immer stelle, ist: Finden wir genügend Geschichten, die ein Experiment rechtfertigen? Wir suchen eine Thematik, die eine Innenansicht braucht, und das ist nicht bei jedem Thema möglich. Nur weil etwas erfolgreich ist, werde ich es nicht um jeden Preis weiterführen oder aufrechterhalten, wenn es keine Relevanz mehr hat. Körperlich und geistig ist das alles kein Problem. Ich bin so programmiert. Ich kann mich auf extreme Situationen über einen gewissen Zeitraum einstellen.

prisma: Sind Sie ein Adrenalinjunkie?

von Wilmsdorff: Nein, denn das Adrenalin, das ich da ausschütte, brauche ich gar nicht! Man darf nämlich nie vergessen: Die Dinge, die ich da mache, bereiten mir keinen Spaß! Vier Wochen saufen, fünf Wochen nichts essen... Ich mache das, weil es mich interessiert. Dazu kommt natürlich ein gewisses Sendungsbewusstsein, weil ich den Anspruch habe, Menschen zu informieren. Ich möchte der Tendenz entgegentreten, alles vorschnell zu verurteilen. Aber definitiv habe ich etwas in mir, das mich motiviert, weiter zu gehen als andere und Grenzen zu überschreiten.

prisma: Die Drogen-Folge des "Jenke-Experiments" bescherte extrem hohe Quoten. Wie schmal ist der Grat zwischen reißerischer Unterhaltung und investigativem Journalismus?

von Wilmsdorff: Sehr schmal. Natürlich würden viele Leute sagen, dass die Sendung reißerisch ist. Ich würde sagen: es ist provokant und definitiv ungewöhnlich, eine solche Form des Journalismus zu wählen. Aber im Endeffekt generiere ich durch das "Reißerische" ja erst mal eine Aufmerksamkeit beim Zuschauer. Und dann liefere ich ihm die Informationen, Protagonisten und Geschichten. Ich bin so etwas wie eine Brücke zum Thema.

prisma: Also angelt man die Zuschauer mit Sensationsgeilheit?

von Wilmsdorff: Ein Teil der Zuschauer wird so etwas immer voyeuristisch betrachten und wissen wollen, was der bekloppte Jenke denn jetzt schon wieder macht. Aber ich bin davon überzeugt, dass sie trotz alledem dabeibleiben und sich den kompletten Film angucken. Im Endeffekt überlasse ich dann der wahren Geschichte die Bühne – ich bin nur der Türöffner.

prisma: Woher kommt diese Vorliebe für das subjektive Erzählen?

von Wilmsdorff: Es ist ein Unterschied, ob man nur objektiv erzählt oder sich dem Zuschauer als Identifikationsfigur anbietet, weil man all das am eigenen Leibe erfährt. Man sieht die Auswirkungen der Experimente, und ich kann direkt darüber berichten, aus erster Hand. Ich möchte nicht die Arbeit anderer Kollegen in ihrer Reportagearbeit schmälern, aber ich bin immer einen Schritt tiefer in der Materie. Obwohl auch ich nie zu 100 Prozent das nachempfinden und beschreiben kann, was die betroffenen Personen tatsächlich erleben.

prisma: Wie ist Ihr Verhältnis zur Angst?

von Wilmsdorff: Ängste gibt es immer. Aber ich kann mit ihnen anders umgehen. Ich hinterfrage sie. Wenn uns eine Angst vor einer großen Gefahr schützt, dann akzeptiere ich diese natürlich. Aber die Angst davor, Grenzen zu überschreiten und sich Dingen zu nähern, habe ich nicht. Das Thema Angst hat mich immer interessiert, weil ich ein extrem ängstliches Kind war und darunter sehr gelitten habe. Deswegen habe ich mich irgendwann diesen Ängsten gestellt.

prisma: Spielen auch Ängste von Freunden und Familie eine Rolle?

von Wilmsdorff: Auch diese Ängste nehme ich ernst, aber auch die hinterfrage ich. Und in Gesprächen und Diskussionen kann ich meist die Menschen um mich herum davon überzeugen, dass es unnötig ist, im jeweiligen Fall Angst um mich zu haben.

prisma: Gab es Momente in Ihrem Schaffen, in denen Sie tatsächlich Angst um Ihr Leben hatten?

von Wilmsdorff: Angst um mein Leben hatte ich nie. Dass ich aber sage: "Das schaffe ich jetzt nicht, das verlangt mir zu viel ab!", das hatte ich regelmäßig bei Experimenten. Aber ich sage mir dann immer: Das ist jetzt genau der Punkt, um den es geht! Und wenn du den überschreitest, dann erhältst du wieder eine andere Einsicht, und das ist für mich dann die Motivation, weiterzumachen.

prisma: Wie wichtig sind Auszeichnungen und Medienpreise für Sie?

von Wilmsdorff: Wer sagt, Preise seien völlig wurscht, der lügt! Natürlich ist ein Medienpreis eine Bestätigung dafür, dass man etwas gut und ernstzunehmend macht. Wenn man für einen Sender wie RTL arbeitet, dann ist es allerdings schwieriger, einen Medienpreis zu bekommen als wenn man mit demselben Format für einen anderen Sender arbeitet. Deswegen nehme ich das Ganze nicht mehr so ernst. Da geht es nicht um die Leistung, sondern um Politik.

prisma: Die BILD-Zeitung bezeichnete die Drogen-Folge des "Jenke-Experiments" damals als jugendgefährdend. Weiß man, dass man alles richtig gemacht hat, wenn man von der BILD-Zeitung kritisiert wird?

von Wilmsdorff: Ich glaube schon! (lacht) Es gab sogar eine Anzeige bei der Landesmedienanstalt – ich weiß aber nicht mehr, von wem. Wir wurden von allen Vorwürfen freigesprochen, und die Landesmedienanstalt nahm sich mal die Kollegen von den Öffentlich-Rechtlichen zur Brust, weil im "Tatort" zum Beispiel dauernd geraucht wird. Wir hingegen haben ja noch etwas Aufklärerisches. So lange ich immer von dem überzeugt bin, was ich mache, stelle ich mich auch gerne jeder Kritik.

prisma: Könnten Sie sich vorstellen mal bei "Schlag den Jenke" mitzumachen oder Joko und Klaas beim "Duell um die Welt" zu zeigen, wo der Hase lang läuft?

von Wilmsdorff: Eigentlich nicht. Ich mache Journalismus mit unterhaltsamen Elementen. Bei meinen Formaten steht immer das Warum im Vordergrund: Warum saufe ich, warum nehme ich Drogen in der Sendung? Um auf einen Missstand aufmerksam zu machen! Ich habe ein Ziel, ein Motiv. Etwas Extremes nur des Spaßes wegen zu machen – das reicht mir nicht. Da fehlt mir das Ziel und das Warum. Mein Anspruch ist ein anderer!

prisma: Das deutsche Publikum würde das sicherlich trotzdem gerne sehen, oder?

von Wilmsdorff: Natürlich! Aber ich glaube, dass da auch eine Gefahr liegt: Man würde sich als Zuschauer zu Recht fragen: Worum ging es ihm denn dann die ganze Zeit bei seinen Experimenten? Um die Unterhaltung, den Adrenalinkick? Und da es mir darum nie ging, ist das für mich eben undenkbar. Und für den Zuschauer wäre das irritierend. Die anderen Kollegen kommen aus der Unterhaltung, mir hingegen ging es immer um Relevanz!


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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