Jochen Breyer im Interview

Wie frei sind wir 30 Jahre nach der Wende?

von Julian Weinberger

Titandompteur, Fußballfachmann und nun erneut Politseismograf: Das ZDF schickt Jochen Breyer ein weiteres Mal auf die Suche nach dem politischen Puls Deutschlands. Dieses Mal beschäftigt den 36-Jährigen das Thema Freiheit.

2019 ist ein besonderes Jubiläumsjahr für die Bundesrepublik Deutschland. Das Grundgesetz ist 70 Jahre alt geworden, und der Mauerfall jährt sich zum 30. Mal. Just am symbolträchtigen Tag der deutschen Einheit reiste Jochen Breyer für eine neue ZDF-Reportage durch Deutschland. Sein Auftrag: Stimmen einholen und Stimmungen ausloten: Was bedeutet Freiheit? Welche Freiheit ist am wichtigsten? Und fühlen sich die Deutschen in ihrer Freiheit womöglich sogar eingeschränkt? All das sind Fragen, die den 36-Jährigen im Rahmen der sechsten Folge der Reihe "Am Puls Deutschlands" (Donnerstag, 3. Oktober, 19.30 Uhr) beschäftigen. Im Interview spricht der Moderator über die besondere Begegnung mit einem AfD-Wähler, Versäumnisse des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und über ein folgenreiches Interview mit Jürgen Klopp.

prisma: Sie waren 1989 erst sechs Jahre alt. Haben Sie dennoch eine Erinnerung an diesen großen Moment in der deutschen Geschichte?

Jochen Breyer: Die Erinnerung ist auf jeden Fall, dass ich mit vor dem Fernseher saß. Außerdem habe ich noch die Bilder im Kopf von den Menschen, die damals nach dem Mauerfall über die Mauer geklettert sind. Wir hatten einige Bekannte im Osten von Deutschland. Die haben wir oft mit der Familie besucht. Die stundenlange Warterei an der Grenze und natürlich auch die bewaffneten Wachmänner, die unser Auto gefilzt haben, habe ich nicht vergessen. Das hat einen großen Eindruck hinterlassen.

prisma: Ihre neue Reportage läuft unter dem Schlüsselbegriff "Freiheit". Was bedeutet für Sie Freiheit?

Breyer: Freiheit bedeutet für mich, so zu leben, wie ich möchte. Ein selbstbestimmtes Leben heißt auch, entscheiden zu können, wo und wie ich lebe, wie ich liebe und welchen Beruf ich ergreife. Das hat natürlich Grenzen, sobald man in die Freiheit des anderen eingreift.

prisma: Hat sich Ihre Wahrnehmung durch die Arbeit an der Sendung verändert?

Breyer: Definitiv. Ich habe gemerkt, wie viele Menschen sich noch immer in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen. Wir leben in einem der freiesten Länder der Welt, und wir haben in Deutschland eine gute Mischung hinbekommen zwischen Sicherheit und Freiheit. Trotzdem sind Menschen immer wieder in der Situation, zu sagen: "Meine Freiheit ist nicht komplett gegeben." Solche Leute habe ich unter anderem für den Film getroffen.

prisma: Zum Beispiel?

Breyer: Ich habe mit einer Frau gesprochen, die im Körper eines Mannes geboren wurde. Doch sie hat sich als Frau gefühlt und wollte deswegen ihr Geschlecht verändern. Sie meinte, dabei werden einem von den Behörden noch immer viel zu viele Steine in den Weg gelegt. Von der Arbeitsagentur wurde sie als vermittlungsuntauglich beschrieben. Oder ein Mann, der an Krebs erkrankt ist, von der Dialyse abhängig ist und sagt, er will irgendwann einmal selbst entscheiden können, wann er stirbt. Er will auf keinen Fall zum Pflegefall werden und im Pflegeheim vor sich hin vegetieren. Deswegen ist er für die aktive Sterbehilfe.

prisma: Sie wollen mit Ihrer Reportage also auch kritisch an den Freiheitsbegriff herangehen?

Breyer: Ein Ziel der Sendung war es, zu überprüfen, ob wir denn wirklich so frei sind. Dazu kommt auch eine ganz aktuelle Debatte. In der Diskussion um das Klima spielt das Thema Freiheit auch eine große Rolle. Die Frage dabei ist, inwieweit wir unsere Freiheit einschränken müssen, um den Planeten zu retten. Also kein Fleisch mehr, weniger fliegen, keine SUVs mehr fahren – das ist für viele Menschen ja auch Freiheit.

prisma: Für "Am Puls Deutschlands" haben Sie über die sozialen Medien aufgerufen, an der Sendung zu partizipieren. Wie war die Resonanz?

Breyer: Die Rückmeldung war mit mehreren Tausend Zuschriften großartig. Die Nachrichten und Kommentare waren auch fast alle sehr differenziert, was mich gefreut hat. Natürlich gab es auch einige Abweichungen, insbesondere zur Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit. Da waren einige Menschen auch etwas radikaler unterwegs. Trotz alledem waren die Anliegen großteils in einem sehr angenehmen Ton vorgetragen. Bei dieser Reportagereihe war es uns wichtig, dass wir Leute mit einer anderen Meinung ernst nehmen und so in einen Austausch kommen. Gerade weil ich das Gefühl habe, dass wir immer mehr eine Spaltung in der Gesellschaft erleben und beide Seiten gar nicht mehr richtig miteinander in Dialog kommen.

prisma: Die Spaltung wird nicht nur gesellschaftlich, sondern auch politisch durch immer extremer werdende Positionen sichtbar. Gibt es überhaupt einen Puls Deutschlands?

Breyer: Einen Puls gibt es sicherlich nicht, aber viele verschiedene. Wir wollen mit der Sendung ein Meinungsbild zusammentragen und kein Ergebnis präsentieren nach dem Motto "Deutschland denkt, die Freiheit ist eingeschränkt". Wir wollen ein großes Mosaik anbieten mit den Meinungen, die es in diesem Land gibt. Bei dem Streit um Meinungen gerät es oft in Vergessenheit, dass es viele unterschiedliche Auffassungen gibt und eben nicht die eine richtige.

prisma: Kann eine solche Sendung Zweifler am Prinzip des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wieder zurück ins Boot holen?

Breyer: Ich hoffe, dass uns das gelingt. Wir hatten das Gefühl, Vertrauen zurückgewinnen zu müssen und gleichzeitig gar nicht genau zu wissen, warum wir es verloren haben. Das hat mich auch persönlich betroffen gemacht. Viele Bürger fühlen sich ja gar nicht mehr abgebildet und sagen: "Ihr vertretet einen politischen Mainstream und wenn man anders denkt, seht ihr einen gar nicht mehr." Das war für uns ein Anstoß, nicht über, sondern mit den Menschen zu reden. Damit können wir denen, die sich ungehört fühlen, eine Plattform bieten und eine Stimme geben.

prisma: Haben sich nach den bisherigen Sendungen Menschen bei Ihnen gemeldet, die das Gefühl hatten, dass sich durch "Am Puls Deutschlands" etwas geändert hat?

Breyer: Besonders bewegt hat mich ein Moment während der letzten Reportage zum Thema "Was mich im Osten stört". Da habe ich mich mit einem Mann getroffen, der die AfD wählt, und der Meinung war, dass die Medien in Deutschland mittlerweile so gleichgeschaltet seien wie in der DDR. Dieser Satz hat mich richtig umgehauen. Dann haben wir uns auf ein Bier getroffen, und am Ende des Gesprächs meinte er, er würde manche Dinge nun differenzierter sehen. Gleichzeitig haben auch mich einige seiner Positionen zum Nachdenken gebracht. Die Wahrheit liegt eben immer irgendwo in der Mitte. Dieser Fall hat mich besonders berührt, weil ich für diesen Mann ja ein Vertreter der Lügenpresse war. Am Ende hat er aber ein Stück Vertrauen zurückgewonnen.

prisma: Hat Ihre Reportage gewissermaßen einen Vorbildcharakter für bürgernahes Fernsehen?

Breyer: Ich fände es anmaßend, mir selbst oder meinem Format Vorbildcharakter zu unterstellen. Ich hoffe aber, die Sendung kann dazu beitragen, dass die Menschen das Gefühl haben, gehört zu werden. Es ist wichtig, dass wir nicht nur mit Experten, Politikern und Wissenschaftlern sprechen, sondern auch mit den Menschen selbst. In den letzten Jahren haben wir das vielleicht ein wenig vernachlässigt.

prisma: Durch die sozialen Medien stehen Sie als Journalist einer ganz anderen Kritikerschaft gegenüber, als es noch vor einigen Jahren der Fall war. Fühlen Sie sich durch die Angst vor einem Shitstorm in Ihrer Arbeit eingeschränkt?

Breyer: Nein, auch wenn wir unter vermehrter Beobachtung stehen. Das ist aber auch etwas Schönes, weil das gleichzeitig bedeutet, dass die Meinung gehört wird, die wir äußern. Natürlich müssen wir Journalisten aufpassen, dass wir nicht immer und überall unsere eigene Meinung verbreiten, sondern dass wir dazu da sind, die Willensbildung der Menschen zu unterstützen, indem wir die verschiedenen Positionen aufzeigen. Ich sehe es kritisch, wenn manche Journalisten über die sozialen Medien im Dauermodus ihre eigene Meinung verbreiten. Das halte ich nicht für richtig, und da verwechseln wir unsere Rollen. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, Haltung zu zeigen.

prisma: In Ihren Anfängen als Champions-League-Moderator mussten Sie wegen einer Bemerkung gegenüber Jürgen Klopp selbst heftige Kritik einstecken. Wie sehr hat Sie das Ausmaß überrascht?

Breyer: Das hat mich schon sehr getroffen. Ich war damals sehr jung und zum ersten Mal auf der ganz großen Bühne. Da geht einem ohnehin ordentlich die Düse. Wenn man dann plötzlich auf der ersten Seite der "Bild"-Zeitung landet und von BVB-Sympathisanten in den sozialen Netzwerken niedergemacht wird, dann geht das nicht spurlos einem vorbei. Mir hat das einige schwere Tage beschert. Andererseits gehört das auch zu diesem Job dazu, und es erfordert eben manchmal eine dicke Haut. So ein Shitstorm zieht auf, regnet sich ab und ist wenige Tage später auch wieder weg. Eine andere Sache macht mich eher nachdenklich.

prisma: Nämlich?

Breyer: Uns Sportjournalisten wird oft vorgeworfen, mit den Spielern und Trainern zu sehr auf Kuschelkurs zu gehen. Wenn aber dann einmal so etwas passiert wie das Interview mit Waldi Hartmann und Rudi Völler oder das berühmte "Eistonnen"-Interview mit Per Mertesacker und es zu einer Streitigkeit vor laufender Kamera kommt, dann werden ganz oft die Moderatoren niedergemacht. Das passt nicht zusammen. Da müssen wir uns fragen, welche Art von Journalismus wir wollen. Wollen wir kritischen Journalismus? Dann dürfen wir aber nicht auf die draufhauen, die sich auch kritische Fragen zutrauen. Oder wollen wir einfach nur Harmonie und 0815-Fragen? Dann können wir das gerne haben, aber das hat mit Journalismus wenig zu tun.

prisma: Mit 36 Jahren haben Sie schon eine beeindruckende Karriere hingelegt. Welche Ziele haben Sie für die Zukunft?

Breyer: Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann, dass ich den Sportstudio-Rekord von Dieter Kürten breche. Der liegt bei 33 Jahren. Ich habe bislang sechs – fehlen also nur noch schlappe 27. (lacht) Ehrlich gesagt sind meine beruflichen Pläne bisher immer von der Realität überholt worden. Was bisher geklappt hat, davon hätte ich gar nicht gewagt zu träumen. Deswegen habe ich gar keine Ziele und mache einfach das, was mir im Moment Spaß macht. Gerade diese Kombination aus Politik und Sport ist extrem spannend, und diesen Weg würde ich gerne weitergehen.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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