Schauspieler im Interview

Marcus Mittermeier: "Diese Rolle hat sich nicht von selbst gespielt"

von Sarah Kohlberger

Mit viel Witz und Charme löst Schauspieler Marcus Mittermeier seit 2014 als Kriminaloberkommissar Harald Neuhauser in der ZDF-Reihe "München Mord" spannende Fälle. Für die diesjährige Weihnachtszeit schlüpfte der 51-Jährige allerdings in eine gänzlich andere Rolle: In "Alle Nadeln an der Tanne" (Donnerstag, 17. Dezember, 20.15 Uhr, ZDF) spielt er einen Mann mit einer unkontrollierten Persönlichkeitsstörung. Starker Tobak für einen Weihnachtsfilm.

Warum die Tragikomödie mit Anna Loos und Simon Schwarz trotzdem so gut zu Weihnachten passt und welche Schwierigkeiten die Rolle mit sich brachte, erklärt der dreifache Vater im Interview. Außerdem blickt Mittermeier zurück auf seinen letzten "München Mord"-Film, in dem er sich als Fan des FC Bayern München mitten unter 1860-München-Fans begeben musste, und er verrät, wie sich das Weihnachtsfest seiner Familie in den letzten Jahren verändert hat.

prisma: Wie feiern Sie Weihnachten?

Marcus Mittermeier: Ich finde es toll, wenn die Familie zusammen ist, auch wenn wir jetzt ohnehin sehr oft zusammen sind. Ich habe sonst im Herbst meist viel zu drehen, dann ist es wahnsinnig schön, an Weihnachten zu Hause zu sein. Dann wird gemeinsam mit den Kindern etwas Gutes gegessen. Allerdings hat sich da im Laufe der Zeit viel geändert.

prisma: Zum Beispiel?

Mittermeier: Beim Essen gibt es inzwischen nicht immer Fleisch. Gerade die Kinder achten sehr darauf, dass auch immer etwas Vegetarisches auf den Tisch kommt. Wir haben auch einen Weihnachtsbaum, aber der fällt inzwischen jedes Jahr kleiner aus. Wir haben nicht mehr die großen Tannen, die wir früher hatten, sondern kleine, manchmal auch krumme Bäume, einfach mit Rücksicht auf die Natur. Da haben sich unsere Traditionen den heutigen Zeiten angepasst.

prisma: Wie blicken Sie in die nächsten paar Wochen?

Mittermeier: Ich hoffe, dass wir hinsichtlich Corona bald Zahlen bekommen, die eine Entspannung vermuten lassen. Vor ein paar Wochen kam die Meldung, dass es einen Impfstoff mit einer ziemlich hohen Wirksamkeit geben wird. Das ist natürlich für alle, die berufsbedingt stark unter COVID-19 leiden müssen, ein Hoffnungsschimmer – in erster Linie für die Hochrisikogruppen, aber auch für Schauspieler und Musiker, alle anderen Betroffenen aus der Abendunterhaltung, also für Restaurants, Kneipen, Bars und Clubs. Ich glaube fest daran, dass wir bald wieder die Möglichkeit haben, normal arbeiten zu können.

prisma: Wie beurteilen Sie die Maßnahmen des zweiten Lockdowns?

Mittermeier: Es ist ein wichtiger Schritt, dass wir Teile unseres Lebens runterfahren. Das ist sinnvoll und ohne Alternative, um Bevölkerungsgruppen zu schützen. Wenn wir aber in der Lage sind, Flug- und Reisegesellschaften mit Milliarden-Beträgen zu unterstützen, wäre es auf der anderen Seite von der Politik auch ein gutes Signal, den Künstlern nicht zu sagen, sie können Hartz IV beantragen. Das ist eine Demütigung, das kann man nicht bringen.

prisma: Wie wichtig ist die Kunst- und Kulturbranche für die Gesellschaft?

Mittermeier: Wir Menschen sind soziale Wesen. Das Virus hat uns an einer existenziellen Stelle für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt angegriffen. Es wird schwierig, für uns als Gesellschaft zu überleben, wenn jeder zu Hause bleibt. Da denke ich auch an die jungen Leute.

prisma: Warum das?

Mittermeier: Junge Menschen sitzen häufig vor dem Computer und ziehen sich Serien rein, weil es ihnen nicht mehr gestattet ist, sich zu treffen. Es ist ganz wichtig, dass das wieder passiert. Und dazu gehören der Abend und Einrichtungen wie Restaurants, Kinos oder Clubs. Sie bieten eine Möglichkeit, dass die Menschen zusammenkommen und sich austauschen.

prisma: Ihr letzter "München Mord"-Film lief sehr erfolgreich. Wie war es für Sie mitten im 1860-München-Fanmilieu?

Mittermeier: Das hat sich natürlich relativ schnell rumgesprochen, dass ich als Bayern-Anhänger bei einem 60er-Spiel mitten unter den Fans drehe. Das war ein Diskussionsthema! Aber auch eines mit Augenzwinkern. Ich glaube, ich habe meine Aufgabe gut erfüllt und habe den blauen 60er-Fan auch mit voller Verve hochgehalten. Ich glaube, das kann mir keiner vorwerfen.

prisma: Sie sind Bayern-München-Fan?

Mittermeier: Ja, ich bin immer schon ein Roter, weil auch mein Vater immer schon Bayern-Fan war. Fußball-Fan ist man von Geburt an, bei mir ist das zumindest so. Mein Vater hat mich Ende der 70er-Jahre mitgenommen, ich habe Sepp Maier noch im Stadion gesehen! Wenn ich mir das vorstelle ... Das ist echt eine Ewigkeit her.

prisma: Wie war die Resonanz auf den Film?

Mittermeier: Es gab Leute, denen hat es nicht so gut gefallen, dass die Sechziger als schräges Publikum dargestellt wurden. Aber es gab auch viele, denen sehr gut gefallen hat, wie liebevoll der Verein gezeichnet wurde. Ich würde sagen, die Aufteilung war 70 zu 30 – aber auf jeden Fall 70 Prozent Zustimmung.

prisma: Ihr neuer Film "Alle Nadeln an der Tanne" ist auf den ersten Blick kein klassischer Weihnachtsfilm, er hat auch viele tragische Momente. Warum ist er trotzdem für die Weihnachtszeit geeignet?

Mittermeier: Als ich das Drehbuch gelesen habe, war mir sofort klar, dass diese Figur eine Erlöserfigur ist. Diese Figur verbringt eine gewisse Zeit in einer Familie, die in irgendeiner Form feststeckt. Ihre gemeinsame Zeit ist nicht einfach, und es gibt viele Probleme, aber am Ende wird alles aufgelöst. Wie im Märchen. In der Rückschau ist dieser Film wie eine Parabel für dieses so verrückte Jahr mit Corona: Das Leben ist ohnehin schon nicht einfach, dann kommt auch noch Moritz.

prisma: Obwohl die Szenen nicht alle im Winter gedreht wurden ...

Mittermeier: Richtig. Es war der erste Film von den abgebrochenen Produktionen, der fortgesetzt wurde. Wir haben im März angefangen, als noch Winter war, und im Juni fiel die letzte Klappe, also im Sommer. Das ist natürlich extrem. Einige Szenen sind im Sommer gedreht worden, als es draußen 28 Grad hatte und wir mit Winterpullis rumlaufen mussten.

prisma: Ihre Figur Moritz erlitt bei einem Unfall ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, das eine unkontrollierte Persönlichkeitsstörung zur Folge hat. Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet?

Mittermeier: Ich bin zuerst auf einen Selbsthilfeverein gestoßen, in dem Patienten mit erworbener Schädel-Hirn-Verletzung betreut werden. Sie haben mir den sehr erfahrenen Arzt Dr. Gerhard Weber in Regensburg empfohlen, der lange Zeit Leiter einer Klinik für Neurorehabilitation war. Mit ihm bin ich Schritt für Schritt das Drehbuch durchgegangen. Ich konnte es zuerst nicht fassen, dass alles, was beschrieben wird, tatsächlich ein Patient ist!

prisma: Warum das?

Mittermeier: Es gibt im Film viele Szenen mit verschiedenen Ausfallerscheinungen. Ich hatte den Verdacht, dass die Autoren aus der Fundgrube der neurologischen Auffälligkeiten etwas zusammengestellt haben. Der Facharzt meinte allerdings, dass das hervorragend recherchiert und typisch für Unfall-Opfer sei. Die Stimmungsschwankungen, die depressiven Schübe, die schnelle Müdigkeit, die Ausfälle der Sinne, die Unbeweglichkeit, bis hin zum epileptischen Anfall ... – Ich habe mir genau erklären lassen, was im Körper und vor allem emotional passiert.

prisma: Haben Sie auch mit Betroffenen gesprochen?

Mittermeier: Das war der zweite Schritt. Ich habe mir eine große Fachklinik, die Neurorehabilitationsklinik in Bad Aibling, empfehlen lassen, wo aus ganz Deutschland Menschen hinkommen, die diese Ausfallerscheinungen haben. Dort konnte ich mit Psychologen und Ärzten sprechen, aber auch mit Patienten und Angehörigen.

prisma: Und?

Mittermeier: Das war ein unglaublicher Schub für die Vorbereitungen. Ich habe genau gesehen, was mit den Betroffenen, aber auch mit den Angehörigen passiert. Wie erleben sie das? Wie belastend ist die Situation? Mit diesem kleinen Paket an Informationen bin ich ans Set und habe die Rolle gespielt.

prisma: Hat diese Rolle Sie mehr gefordert als andere?

Mittermeier: Ja. Ich habe gemerkt, dass ich für diese Rolle unfassbar viel Zeit und Aufmerksamkeit brauchte, sowohl von der Regisseurin, als auch von meinem Umfeld und meinen Kollegen. In manchen Situationen wurde es für uns alle anstrengend, zu klären, was kann der Mensch, und was kann er nicht. Das war das Besondere an der Rolle: Sie hat sich nicht von selbst gespielt. Diese Figur war in allen Belangen kompliziert. Ich musste ständig fragen, geht das, was ich hier spiele überhaupt? Kann er das, was er macht? Würde er so reagieren, oder doch ganz anders? Das hat die Dreharbeiten ziemlich verkompliziert, und es hat dazu geführt, dass die Kommunikation am Set nicht so spaßig und viel ernster war, als bei einer Komödie sonst üblich.

prisma: Maria, Ihre Schwester im Film, besprüht Wände, um aus dem Alltag auszubrechen. Was machen Sie, um Dampf abzulassen?

Mittermeier: Ich gehe Laufen. Mit Sport geht's mir immer besser. Gerade nach anstrengenden Drehtagen mache ich oft sehr viel Sport, einfach um den Kopf freizukriegen. Manchmal verhärtet man sich in schlechten Gedanken oder in Konflikten, da hilft die Bewegung, den Druck und die Verkrampfungen abzubauen.

prisma: Mit welchen Gefühlen blicken Sie nun auf das Jahr 2021?

Mittermeier: Das Jahr 2020 fing wahnsinnig schlecht an, mit dem Buschfeuer in Australien, dann folgten die Pandemie und die Attentate ... Es kam eine Katastrophe nach der anderen. Ich glaube, 2021 wird auch kein einfaches Jahr. Allerdings gibt es ein paar Silberstreifen am Horizont.

prisma: Die da wären?

Mittermeier: Zum Beispiel die Präsidentschaftswahl in den USA. Ich glaube, mit dem neuen Präsidenten Joe Biden wird es zumindest in der Art der Auseinandersetzung und der Art der Kommunikation einfacher. Ich hoffe, man bekommt nicht mehr jedes Mal einen dicken Hals, wenn man die Zeitung aufschlägt, weil sich die USA unter Trump nicht mehr um den Rest der Welt kümmern. Und ich hoffe, dass mit dem Impfstoff der Umgang mit der Pandemie leichter werden wird, auch in unserer Branche. Die Dreharbeiten sind wahnsinnig kompliziert geworden.

prisma: Sie müssen sich wahrscheinlich häufig testen lassen, oder?

Mittermeier: Ja. Wir werden jeden zweiten Tag getestet, damit auch wirklich nichts passieren kann! Das ist sehr aufwendig und natürlich auch eine Investition. Das Geld für die Filme muss zwar bezahlt werden, aber landet letztlich nicht im Film. Aber ich hoffe, dass 2021 ein besseres Jahr werden wird als 2020. Persönlich interessiere ich mich schon seit langer Zeit nicht mehr für Prognosen oder Hoffnungen, weil ich gemerkt habe, dass das Leben viel zu komplex ist, gerade in meiner Branche und in meinem Job. Das Leben lässt sich nicht auf eine Planung ein.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Das könnte Sie auch interessieren