Interview

Matthias Reim: "Zufriedenheit macht faul"

von Nadine Wenzlick

Matthias Reim blickt auf ein turbulentes Leben zurück. Der Schlagersänger war dreimal verheiratet, hat sechs Kinder von fünf Frauen. Mit seiner Debütsingle "Verdammt, ich lieb' dich" brach er 1990 etliche Rekorde, doch 2006 stand er vor einem millionenschweren Schuldenberg und musste private Insolvenz anmelden. Er kämpfte sich mühsam zurück – und erlitt vor zwei Jahren dann einen Kreislaufkollaps. Reim musste Konzerte absagen, einen Aufenthalt in einer Kurklinik hinter sich bringen und seinen Lebensstil ändern. Nun veröffentlicht der 60-Jährige sein neues Album "Meteor" (VÖ: 23.03.). "Ich will sagen können, ich hab' verdammt noch mal gelebt", singt er darauf – doch was seine Karriere betrifft, blickt Reim lieber nach vorne, wie er im Interview verrät.

prisma: Herr Reim, auf Ihrem neuen Album blicken Sie in einigen Stücken auf sich und Ihr Leben zurück. Sie sind im November 60 geworden. War es Zeit, Bilanz zu ziehen?

Matthias Reim: Ich muss zugeben: Als ich an meinem Geburtstag morgens wach wurde und dachte "jetzt bin ich also 60!", habe ich kurz geschluckt, in den Spiegel geschaut und dann aber gedacht: "Es geht noch! Also was soll's, blick nicht zurück und denk nicht, dass zwei Drittel des Lebens vorbei sind. Freu dich auf das, was vor dir liegt." Im Augenblick bin ich alles andere als jemand, der zurückschaut, sondern ich freue mich auf die Zukunft, auf die nächsten Jahre. Ich habe auch allen Grund dazu: Ich habe den schönsten Beruf der Welt und bin so erfolgreich, wie lange nicht mehr.

prisma: Was wollten Sie mit Ihrem neuen Album "Meteor" erreichen?

Reim: Ich wollte Matthias Reim wiederfinden. Ich wollte Geschichten erzählen, leiser werden, ohne aber die Menschen, die gerne mit mir feiern, zu enttäuschen. Darum gibt es auch typische Schlager-Partykracher wie "Meteor" oder "Der Himmel voller Geigen". Also Lieder, die leicht ins Ohr gehen, die man mitsingen kann und will. Solche Songs erwartet mein Publikum von mir. Aber die größte Freude habe ich an den Balladen, an den Liedern, in denen ich Geschichten erzähle. Lieder wie "Verdammt noch mal gelebt", "Niemals zu müde", oder "Gib mir noch eine letzte Chance".

prisma: Sie erzählen auf dem Album auch die Geschichte eines Chaoten. Sind das Sie?

Reim: Absolut, ich bin völlig verpeilt. Fragen Sie mal meine Freundin. Ich bin einfach immer ein bisschen durcheinander. Ich mache alles gleichzeitig und vieles nicht richtig. Ich will etwas machen und vergesse währenddessen, was es war, weil ich schon wieder etwas anderes angefangen habe. Neulich ging ich los, um Zucker zu kaufen, kam mit Reinigungsmittel für meine Motorradreifen nach Hause und fragte meine Freundin: "Was sollte ich noch mal besorgen?" So bin ich.

prisma: "Ich will sagen können, ich hab' verdammt noch mal gelebt", heißt es in "Verdammt noch mal gelebt". Gelebt haben Sie wirklich ...

Reim: Ja – und wie! Meine Vita liest sich schon ein bisschen abenteuerlich. Sechs Kinder von fünf Frauen. Ich weiß auch nicht, wie das gekommen ist. Es ist einfach passiert. Drei Mal war ich verheiratet – auch immer relativ lange. Ich bin keiner, der nach einem Jahr abhaut. Ich war stets auf der Suche nach der großen Liebe. Aber wenn es nicht funktioniert, dann lasse ich mich nicht emotional begraben. Riesige Erfolge, Pleiten – ich habe alles erlebt. Aber, und darauf bin ich ein kleines bisschen stolz: Ich bin immer wieder aufgestanden und habe mir alles, wovon ich geträumt habe und was ich verloren hatte, in noch stabilerer und größerer Dimension zurückgeholt. Die Titelseiten waren so furchtbar, dass man sich eigentlich hätte begraben können. Aber ein paar Jahre später stand ich vor 15.000 Menschen auf der Bühne, die zweieinhalb Stunden jedes Wort mitgesungen haben.

prisma: Gibt es Dinge, die Sie bereuen?

Reim: Ich würde viele Dinge anders machen, wenn ich Hellseher wäre. Bin ich aber nicht. Die Dinge, die mir widerfahren sind, waren zum Teil wie ein Warnschild: Da stand dann drauf: "Achtung – Umleitung." Letztendlich haben mich diese Umleitungen zu einem besseren Leben geführt. So gesehen, würde ich die Dinge vielleicht doch genauso machen. Das, was mir passiert ist, ist mir passiert, weil ich ein sehr gutgläubiger, freundlicher, offenherziger Mensch bin. Ich bin der perfekte Kandidat dafür, ausgenutzt zu werden. Auf der anderen Seite hat mir dieser Wesenszug so viele Türen aufgemacht und so viele Sympathien der Menschen geschenkt.

prisma: Sprechen Sie von Ihrer Insolvenz?

Reim: Auch das. Ich war ja nicht jemand, der das mit Ferraris und Eros-Centern verzockt hat, sondern ein naiver Musiker und Beamtensohn, der auf Nummer sicher gehen wollte. Und das ging massiv schief. Wissen ja viele, brauchen wir heute gar nicht mehr drüber zu reden. Ist lange her. Aber das hat mir den nötigen Druck gegeben. Ich bin ein Mensch, der den Druck braucht. Du willst weiterkommen? Dann musst du arbeiten. Wenn ich vor einer Herausforderung stehe, meistere ich die auch. Das ist halt einfach mein Stolz.

prisma: Zurück zu "Verdammt noch mal gelebt". Der Titel erinnert sehr an Ihren ersten großen Hit "Verdammt, ich lieb' dich". Eine bewusste Hommage?

Reim: Ach, das hat sich einfach so ergeben. Aber das Wort verdammt haben schon mein Vater und Großvater ständig benutzt, sonst hätte ich es gar nicht auf dem Schirm gehabt. Das ist ein richtiges Familienwort der Reims. Aber es ist verrückt, was für eine Dimension ich mit diesem Wort und diesem Satz geschaffen habe. Neulich war ich in Berlin und sah ein Plakat von Condor, auf dem stand: "Verdammt, ich flieg dich". Die hätten mich auch mal anrufen und fragen können! (lacht)

prisma: Was bedeutet Ihnen der Song heute?

Reim: Dieser Song ist der größte Glücksfall meines Lebens und hat mich immer wieder gerettet. Er ist eine unfassbare Kreditkarte. Nicht nur finanziell – er ist auch meine Verbindung zu den Menschen. Wenn ich ihn bei Konzerten spiele, toben alle Generationen. Dieser Song wird nicht alt, und ich werde ihn bei meinen Konzerten spielen, so lange ich lebe.

prisma: Das klingt nicht nach Rente, und auch auf Ihrem neuen Album singen Sie in "Niemals zu müde", dass es nie langweilig wird, auf der Bühne zu stehen. Warum nicht?

Reim: Weil es faszinierend ist. Auf Tour ist man oft leer und platt. Du verbringst den ganzen Tag mit Reisen und Warten. Du marschierst wie eine Maschine durch den Tag und kurz vor dem Auftritt bist du oft so fertig, dass du nicht weißt, wo du die Kraft hernehmen sollst. Aber dann gehen die Scheinwerfer an, der Blutdruck geht hoch und nach 20 Sekunden auf der Bühne ist all das vergessen, und du hast das, worauf du dich gefreut hast. Endorphine, Adrenalin – all das.

prisma: Und wann kommen die Momente des Zweifelns, die Sie in dem Song auch besingen?

Reim: Die hast du als Musiker immer. Natürlich fragt man sich: War ich gut genug? Werde ich weiter so erfolgreich sein? Was machst du als Nächstes? Ich habe immer davon geträumt, mal vor 15.000 Zuschauern zu spielen. Letztes Jahr habe ich das erreicht. Ich war so glücklich und es war ein sehr emotionales Konzert. Voller Freude und mit einem Lächeln im Gesicht fährst du ins Hotel und dann blickst du in den Spiegel und fragst dich: Was jetzt? Mein Management und meine Plattenfirma meinten, das machen wir jetzt jedes Jahr! Aber dann fragst du dich: Kommen die Leute noch mal? Sind meine neuen Songs gut genug? Aber ich glaube, ein Musiker muss solche Zweifel haben.

prisma: Weil sie wie ein Antrieb wirken?

Reim: Ja, denn wenn man glaubt, dass man Gott ist, fängt man an, Mist zu machen. Selbstzweifel erden einen. Ich glaube, selbst sogenannte Superstars kennen das. Sobald dieser Rausch vorbei ist, fragt man sich: Wo willst du hin? Zufriedenheit macht faul. Das kannst du dir als Musiker nicht leisten. Aber mal abgesehen davon, dass ich es mir nach meinem finanziell bewegten Leben noch nicht leisten kann, mich zurückzulehnen, brauche ich meine Arbeit auch. Es käme mir nicht in den Sinn, jetzt mit 60 einen Gang runterzuschalten. Ich würde mich zu Tode langweilen. Ich kann ja nicht den ganzen Tag Motorrad fahren oder auf meinem Boot sitzen!

prisma: Die 15.000 Zuschauer haben Sie geschafft. Was ist Ihr nächstes Ziel? Ein Konzert im Stadion?

Reim: Ich weiß gar nicht, ob ich so viel erfolgreicher werden will, als ich jetzt bin. Dann müsste ich mir ja immer stärker die ultimative Frage stellen: Und was kommt danach? Irgendwann kann es dann nur noch nach unten gehen.? Aber wenn ich so überlege: Eine Stadion-Abschiedstournee mit 85 – das wäre schon was. Um festzustellen, dass ich das Geld, das ich jetzt verdiene, in meinem Leben gar nicht mehr ausgeben kann. Dann hole ich alle meine Kinder zu mir und sage ihnen: Ich habe euch jetzt alle noch mal glücklich gemacht!


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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