Jana Pareigis im Interview

"Ich schreibe bis zur letzten Minute an der Sendung"

von Sarah Kohlberger

Seit 2018 ist Jana Pareigis das Gesicht des ZDF-"Mittagsmagazins". Neben der Arbeit als Moderatorin beschäftigt sich die 38-jährige Journalistin auch intensiv mit den Themen Migration und Rassismus.

Das ZDF-"Mittagsmagazin" (montags bis freitags, 13.00 Uhr) liefert zuverlässig zur Mittagszeit die wichtigsten Informationen des Tages – und das seit genau 30 Jahren: Die allererste Sendung wurde am 2. Oktober 1989 ausgestrahlt. Das aktuelle Gesicht des Magazins ist Jana Pareigis, die seit April 2018 die Hauptmoderation innehat. Die gebürtige Hamburgerin präsentiert den Zuschauern eine ausgewogene Mischung aus Politik, Sport, Gesellschaft – und begrüßt dabei auch prominente Gäste. Wie sie sich auf diese vorbereitet und wie sie auch bei emotionalen Themen neutral bleiben kann, erklärt die lebensfrohe 38-Jährige im Interview. Außerdem berichtet sie, worum es in ihrem Dokumentarfilm "Afro.Deutschland" (2016) geht und wie sie mit rassistischen Bemerkungen umgeht.

prisma: Sie sind noch nicht sehr lange beim "Mittagsmagazin" – bis Juli 2018 haben Sie das "Morgenmagazin" im ZDF moderiert. Wann müssen Sie jetzt aufstehen?

Jana Pareigis: Später! (lacht) Jetzt läutet der Wecker zu einer sehr humanen Zeit, so um 6.30 Uhr. Früher war es dann eher 1.30 Uhr. Wahnsinn, oder?

prisma: Oh ja! Was hat sich sonst noch für Sie verändert?

Pareigis: Beim "Morgenmagazin" kam ich mitten in der Nacht zur Arbeit, wenn sich in der deutschen und der europäischen Politik meist nicht viel tut. Ich habe die Anmoderationen geschrieben und bin in die Sendung gegangen. Jetzt komme ich um 8.00 Uhr morgens zur Arbeit, wenn das ganze Nachrichtengeschehen schon in vollem Gange ist und ständig Meldungen reinkommen. Das wirkt sich auch auf die Vorbereitung aus. Ich muss die Anmoderation laufend aktualisieren.

prisma: Das "Mittagsmagazin" besteht seit 30 Jahren – eine lange Zeit. Was ist das Erfolgsrezept?

Pareigis: Dass wir eine gute Mischung haben, die nicht oft im Fernsehen vorkommt. Zum einen ernste Politik, aber zum anderen auch Geschichten, die berühren oder den Zuschauer schmunzeln lassen. Dann haben wir natürlich noch einen prominenten Gast, das Wetter und den Sport. Nach dieser Stunde ist man sehr gut informiert.

prisma: Wie werden die Themen der Sendung gewichtet – geht es mehr um Brisanz oder um Aktualität?

Pareigis: Es ist eine Mischung aus beidem. Natürlich geht es darum, dass man politische Themen auf die Auswirkungen auf die Menschen abklopft. Was bedeutet das konkret für jeden Einzelnen? Aber es ist auch immer wichtig zu sagen: Warum haben wir das Thema gerade an diesem Tag? Wir haben morgens Konferenzen, in denen wir besprechen, wie die Sendung aussieht. Meistens laden wir erst an dem Tag die Politiker zu Interviews ein und erfahren erst um 11.30 Uhr, ob er oder sie zum Interview ins Studio kommt.

prisma: Das ist sehr spontan! Haben Sie Angst, dass Sie mal keinen Gast haben?

Pareigis: Nein. Das "Mittagsmagazin" ist seit 2018 in Berlin, und da finden wir eigentlich immer sehr hochkarätige Gäste. Klar, es gibt immer ein Sommerloch. Das war aber dieses Jahr nicht so groß, weil es sehr viele Debatten und auch die Landtagswahlen gab, da haben wir fast immer jemanden bekommen.

prisma: Sie fangen nun um 8.00 Uhr an. Wie geht es dann weiter?

Pareigis: Wenn ich reinkomme, haben wir schnell die erste Konferenz. Dann bereite ich meistens als erstes das Interview mit dem prominenten Gast vor. Manchmal habe ich mich am Abend vorher schon damit auseinandergesetzt. Wenn es zum Beispiel ein Schriftsteller ist, das Buch gelesen, wenn es ein Schauspieler ist, den Film geguckt, oder wenn es ein Musiker ist, die Lieder gehört. Das macht mir großen Spaß, weil man noch mal tiefer in das Thema eintaucht. Man darf auch nicht vergessen, die Moderation ist nur das Ende von einem langen Prozess. Wir Moderatoren verbringen viel Zeit mit Lesen und Recherchieren. Das Stehen vor der Kamera ist eigentlich der kleinste Teil des Ganzen, quasi das Sahnehäubchen. (lacht)

prisma: Und wie geht es danach weiter?

Pareigis: Irgendwann muss ich in die Maske. Dann setze ich mich an die politischen Themen, schreibe die Anmoderationen sowie die Fragen für die Interviews mit Politikern und Experten. Ich schreibe bis zur letzten Minute an der Sendung. Nach der Sendung haben wir noch mal kurz Mittagspause, dann haben wir wieder Konferenz. Man kann das immer schlecht sagen, ich arbeite etwa achteinhalb Stunden, also ungefähr bis 16.30 Uhr. Abends bereite ich mich dann noch vor: auf die Gäste auf der Couch, aber auch auf die Nachrichten. Ich lese noch mal eineinhalb Stunden die Tageszeitungen, die am Abend vorher online erscheinen, schaue Nachrichtensendungen, wie das "Heute Journal". Am Tag, wenn man die Anmoderation schreibt, kommt man nicht dazu, die langen Artikel zu lesen. Das muss man schon parat haben.

prisma: Fällt es Ihnen schwer, bei manchen Themen, die Sie berühren, neutral und objektiv zu bleiben?

Pareigis: Nein, das ist einfach mein Job. Wir ordnen nur ein. Bei Politikinterviews nehmen wir auch die Gegenposition ein, aber da geht es darum, dass der Zuschauer einen Erkenntnisgewinn hat. Wir wollen, dass der Zuschauer am Ende Argumente dafür und dagegen hat und sich ein Bild machen kann. Meine persönliche Meinung spielt keine Rolle. Das merke ich immer daran, dass die Fragen, die ich Politikern stelle, nicht automatisch die Fragen sind, die Jana Pareigis als Privatperson vielleicht stellen würde. Es sind die, bei denen ich denke, dass sie interessant für den Zuschauer sind.

prisma: Sie hatten auf der Couch schon Gäste wie Roland Kaiser oder Denzel Washington. Sind Sie bei solchen Gästen noch aufgeregt?

Pareigis: Ich muss sagen, bei Denzel Washington war das schon etwas Besonderes (lacht). Der ist ja wirklich ein großer Hollywoodstar, und seine Filme kenne ich, seit ich ein Kind bin. Er war sehr nett und unglaublich entspannt. Allerdings war er auch recht plauderig: Als er da war, war ich gerade schwanger. Ich erzählte ihm kurz vorher, dass es ein Junge wird, allerdings wusste das sonst noch keiner. Vor der Kamera schlug er dann vor, das Kind "Denzel" zu nennen, weil es ein Junge wird. Ich bin so rot geworden! (lacht)

prisma: Vor ein paar Jahren haben Sie den Dokumentarfilm "Afro.Deutschland" gedreht, in dem sie über Ihre Erfahrungen mit Rassismus sprechen. Wie war die Resonanz auf diesen Film?

Pareigis: Wahnsinnig gut. Der Film ist Anfang 2017 erschienen, und ich kriege bis heute E-Mails und Nachrichten aus aller Welt von Menschen, die den Film gesehen haben. Letztens war ich in Barcelona, und plötzlich lief eine Frau auf mich zu: "Sie sind doch die aus der Doku 'Afro.Deutschland!" Daran merkt man, dass das Thema viele Leute berührt.

prisma: Warum, glauben Sie, ist der Film so besonders?

Pareigis: Er erzählt von rassistischen Erfahrungen anhand von persönlichen Biografien, und ich glaube, dass so die Leute gut erreicht werden können, weil das nicht so abstrakt ist. So merken sie zum Beispiel, dass manche Wörter bei einigen Personen etwas auslösen, worüber sie vielleicht noch nie nachgedacht haben. Es ist wichtig, zu sehen, was andere Leute erleben und was es für Auswirkungen hat, wenn wir nicht gegen Rassismus vorgehen.

prisma: Gab es denn Erlebnisse, die Sie besonders berührt haben?

Pareigis: Ich treffe in dem Film viele unterschiedliche Leute mit Erfahrungen mit Rassismus, und alle sind auf eine Weise berührend. Es kommen bekannte Leute wie der Musiker Samy Deluxe oder die Künstlerin Grada Kilomba zu Wort, aber auch ein Geflüchteter zum Beispiel, der erzählt, wie er von einem Rechten angegriffen und zusammengeschlagen wurde. Indira Paasch ist in der DDR groß geworden und erzählt davon, dass sie und ihre Geschwister in der Kita nicht mit den anderen Kindern zusammen den Mittagsschlaf machen durften, sondern in einem anderen Zimmer liegen mussten und dass ihre Haut immer gerubbelt wurde, damit die Farbe abgeht. Das ging mir sehr nahe, weil sie rassistische Ausgrenzung bereits so früh im Kindergarten erlebt hat.

prisma: Beschäftigen Sie solche Erlebnisse, die Sie erzählt bekommen, dann auch länger?

Pareigis: Es sind ja Geschichten, die mir, was den Rassismus betrifft, nicht fremd sind. Ich finde es aber sehr bedrohlich, dass wieder viel darüber diskutiert wird, wie Deutsche auszusehen haben, um als Deutsch wahrgenommen zu werden, und dass der rassistische und rechte Hass zugenommen haben. Da geht es wirklich ans Fundament. Wenn man beschimpft und bedroht wird, ist das einfach nicht akzeptabel. Ich habe Gott sei Dank noch keine Morddrohungen bekommen, aber ich kriege natürlich auch Hass-Nachrichten, die fast immer auf meine Hautfarbe abzielen. Das ist keine konstruktive Kritik, sondern es geht einzig und alleine darum, dass ich schwarz bin. Wenn man deswegen beschimpft wird, ist das ein Problem für eine demokratische Gesellschaft.

prisma: Wie reagieren Sie, wenn Sie solche Nachrichten bekommen?

Pareigis: Wenn Leute mir so etwas schreiben, dann antworte ich darauf nicht. Ich will meine Zeit nicht mit Beschimpfungen und mit diesem Hass verbringen. Ich schreibe lieber Zuschauern, mit denen es einen respektvollen Austausch gibt. Aber ich glaube, wenn man Rassismus erlebt, ist es wahnsinnig wichtig, dass man mit Leuten darüber spricht und sich austauscht. So weiß man, dass man damit nicht alleine ist. Wenn die Leute einen ausgrenzen wollen, dann darf man sich nicht ausgrenzen lassen. Wir sind alle Teil dieser Gesellschaft, und wir müssen gucken, wie wir gemeinsam Deutschland gestalten und nicht gegeneinander.

prisma: Sie haben für die Neuübersetzung des Buches "Nach der Flut das Feuer" von James Baldwin, in dem es um Rassismus geht, ein Vorwort geschrieben. Warum können Sie das Buch empfehlen?

Pareigis: James Baldwin hat die wirklich herausragende Fähigkeit, politische Analyse mit persönlichen Erlebnissen zu verbinden. Er ist analytisch unglaublich scharf, kann mit wenigen Worten ganz klar Dinge ausdrücken und schafft das aber auch auf einer persönlichen Ebene. Einer der Essays ist ein Brief an seinen Neffen, in dem er ihm erklärt, wie man sich vor Rassismus schützen kann. Der ist sehr berührend. James Baldwin hat einmal gesagt: "Es gibt keine Neger." Die Frage ist, warum er von Weißen erfunden wurde, welche Funktion diese Figur erfüllen soll. Wir sind alle Menschen. Wenn einen jemand so beschimpft, dann hat das eigentlich nichts mit einem selber zu tun. Die Leute kreieren eine Figur, um zu unterdrücken. Es ist besorgniserregend, dass das Buch bis heute noch so wahnsinnig aktuell ist und sich so gut auf Deutschland anwenden lässt.

prisma: In einem Interview mit der "Welt" haben Sie erzählt, wie eine dunkelhäutige Dame Ihnen schrieb, dass sich ihre Kinder dank Ihnen nun auch für einen Job im Fernsehen bewerben können. Was geht in ihnen vor, wenn Sie solche positiven Geschichten hören?

Pareigis: Mich freut das sehr! Als ich klein war und meine Eltern die großen TV-Nachrichtensendungen schauten, gab es eigentlich niemanden, mit dem ich mich visuell identifizieren konnte. Es war schnell klar, dass ich Journalistin werden wollte, und da hörte ich schon mal: "Geh doch zu einem Musiksender! Da passt du ja rein!" Es gab oft Moderatoren, die aussahen wie ich, die dann "Madonna"-Videos angesagt haben. Das ist völlig okay, aber es war einfach nicht mein Fokus. Ich finde es wichtig, dass schwarze Kinder wissen, dass sie alles machen können, was sie wollen, und dass nicht die Hautfarbe entscheidend sein sollte, sondern das, was jemand kann. Wir sind eine vielfältige Gesellschaft und das muss sich auch im Journalismus, das muss sich auch bei den Nachrichtensendungen zeigen. Es ist wichtig, dass es JournalistInnen mit Migrationserfahrung gibt, JournalistInnen mit Behinderungen, so wie es heute selbstverständlich ist, dass Frauen Hauptstadtstudios leiten. Das war ja auch nicht immer der Fall.

prisma: Sie schlossen zunächst ein Studium der Politologie und Afrikastudien ab. Wie kamen Sie anschließend zur Moderation?

Pareigis: Das hat sich ehrlich gesagt so ergeben. Es war immer klar, ich möchte Journalistin werden. Schon bei N24, als ich als Assistentin des damaligen Chefredakteurs in die Arbeit von Parlamentsredakteuren reinschnuppern konnte, fand ich das wahnsinnig spannend. Am Ende meines Volontariats bei der Deutschen Welle musste jeder mal vor die Kamera. Da wurde schnell klar, dass Nachrichten inhaltlich mein Bereich sind und dass es mir sehr viel Spaß gemacht hat. Man muss ja auch Freude an dem Beruf haben und das auch ausstrahlen. Ein paar Monate später habe ich mit dem Moderieren angefangen.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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