Neue Rolle in "Bruder – Schwarze Macht"

Sibel Kekilli: "Ich weiß, wie es ist, unter Beschuss zu stehen"

von Eric Leimann

In der dreistündigen Mini-Serie "Bruder – Schwarze Macht" spielt Sibel Kekilli eine Polizistin zwischen den Welten.

2002 wurde Sibel Kekilli, gelernte Verwaltungsfachangestellte, auf der Straße von einer Casterin angesprochen, ob sie in einem Film des Regisseurs Fatih Akin mitmachen wolle. Er hieß "Gegen die Wand" und schrieb Geschichte. Kekilli, damals Anfang 20, gewann unter anderem den Deutschen Filmpreis als Beste Hauptdarstellerin. Dieses Kunststück wiederholte sie 2010 mit "Die Fremde", von Regisseurin Feo Aladag.

Von 2011 bis Sommer 2017 verkörperte sie "Tatort"-Kommissarin Sarah Brandt in Kiel. Einem großen, internationalen Publikum ist Sibel Kekilli als Shae aus der Über-Serie "Game of Thrones" ein Begriff. Die neue Rolle der 37-Jährigen ist vergleichsweise "nieschig", aber durchaus kontrovers. In der ZDFneo-Serie "Bruder – Schwarze Macht" (ab Sonntag, 29. Oktober 2017, 21.45 Uhr) spielt sie eine Hamburger Polizistin mit türkischen Wurzeln, deren kleiner Bruder zum radikalen Islamlisten mutiert.

prisma: "Bruder – Schwarze Macht" ist eine sehr prominent besetzte, deutsche Serie, die bei einem kleinen Sender läuft. Wie kommt das?

Sibel Kekilli: ZDFneo ist zwar noch ein kleinerer Sender, aber er ist gerade in Sachen Serie sehr ambitioniert. Da laufen viele tolle, mutige Projekte. Ich glaube, für einen Schauspieler ist es nicht das Wichtigste, wo ein Film oder eine Serie läuft. Viel wichtiger ist, dass man eine interessante Rolle in einer spannenden Geschichte spielen darf.

prisma: Die Serie ist besonders, weil sie den Prozess einer Radikalisierung von innen zeigt. Man sieht Ihren Film-Bruder und dessen Verwandlung vom jungen Hallodri zum Islamisten. Auf realistische Weise?

Sibel Kekilli: Die Gründe und den Prozess der Radikalisierung finde ich realistisch und schlüssig dargestellt. Vielleicht geht es etwas zu schnell, um komplett realistisch zu sein – denn wir haben nur viermal 45 Minuten Zeit.

prisma: Was sind die Gründe für die Radikalisierung?

Sibel Kekilli: Es geht dabei sehr viel um Frust. Ich werde niemals Gewalt rechtfertigen. Trotzdem ist es natürlich so, dass es schwer ist, sich zu integrieren, wenn man nicht die Möglichkeit dazu erhält. Wenn man als Ausländer keine Wohnung in deutschen Gegenden bekommt, nicht in Clubs hereingelassen wird oder eben im Beruf besser sein muss als der deutscher Kollege – das alles führt zu Frust und Trotzreaktionen, die den Betroffenen natürlich selbst auch schaden. Die sagen dann: Okay ihr wollt mich nicht, dann gehe ich in eine türkische oder arabische Disko. Oder ziehe in einen Kiez, wo man untereinander bleibt. Islamistische Radikalisierung in Deutschland ist in vielen Fällen auch eine extreme Form dieser Trotzreaktion.

prisma: Was wünschen Sie sich als Reaktion auf "Bruder – Schwarze Macht"?

Sibel Kekilli: Dass man den Druck der beiden Hauptcharaktere nachvollziehen kann. Den des Bruders, der sich radikalisiert, und den der Schwester, die alles im deutschen Sinne richtig machen will. Noch einmal, ich will nichts und niemanden entschuldigen, der Gewalt ausübt. Dennoch ist es für uns alle wichtig, auch emotional zu verstehen, was in solchen Fällen eigentlich passiert.

prisma: In der Serie sind Sie eine Deutsch-Türkin, eine Polizistin sogar, die sich zwischen zwei Kulturen mit unterschiedlichen Ansprüchen zu zerreiben droht.

Sibel Kekilli: Genau, diese Situation kenne ich sehr gut. Den Anspruch, dass man es besser machen muss als die anderen, die vielleicht zu einhundert Prozent Deutsch sind.

prisma: Sie schlagen schnell eine Brücke zwischen der Rolle und Ihrer Situation. Sie kennen dieses Gefühl also?

Sibel Kekilli: Ja, durchaus. Ich weiß, wie es ist, von der türkischen Seite aus unter Beschuss zu stehen. Und ich glaube ebenfalls, dass ich versuchen muss, besser zu sein als andere Schauspielerinnen, die rein deutsch sind, wenn es um neutrale Rollen geht.

prisma: Gibt es in Deutschland zu wenige Hauptrollen für Schauspieler mit Migrationshintergrund?

Sibel Kekilli: Ich finde, schon. Schauen Sie sich den Deutschen Filmpreis an. Natürlich bin ich glücklich darüber, die "Lola" zweimal gewonnen zu haben. Andererseits gibt es fast keine anderen deutschen Schauspielerinnen oder Schauspieler mit Migrationshintergrund, die auch nur nominiert worden wären. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass diese Schauspieler oft gar keine Chance erhalten, solche Rollen zu spielen. Es klafft eine Lücke zwischen unserer Gesellschaft und wie sie in Filmstoffen abgebildet wird.

prisma: Was wünschen Sie sich?

Sibel Kekilli: Dass man bei Rollen, die hierzulande geschrieben werden, die Herkunft dieser Menschen nicht immer gleich rechtfertigen muss. Es gibt so viele Charaktere, wo es gar keine Rolle spielt, ob sie nun einen Migrationshintergrund haben oder nicht. Trotzdem ist es so, dass es bei der Besetzung eine große Rolle spielt. Okay, bei Sarah Brandt aus dem Kieler "Tatort" oder bei "What a Man" mit der Rolle der Nele war es anders. Da spielte ich einfach eine Deutsche. Sonst ist es fast immer so, dass es im Drehbuch thematisiert werden muss, wenn eine Rolle nicht mit einem deutsch-deutschen Schauspieler besetzt wird.

prisma: Nun sind Sie auch schon eine Weile dabei. Die deutsche Gesellschaft heute noch mehr Multikulti als 2004, als Sie "Gegen die Wand" drehten. Hat sich die Rollensituation für Schauspieler mit Migrationshintergrund seitdem verbessert?

Sibel Kekilli: Ich glaube, nicht. Es gibt heute mehr Filme, in denen der Migrationshintergrund thematisiert wird. Es müsste aber mehr Filme geben, in denen er einfach keine Rolle spielt. Das wäre ein Fortschritt. Das deutsche Fernsehen ist in dieser Hinsicht nicht besonders mutig. Eigentlich sogar sehr konservativ. Vielen Leuten, selbst Filmschaffenden, ist das gar nicht so bewusst. Wenn ich erfahrene Regisseure frage, welche Hauptrollen sie in den letzten 20 Jahren mit Schauspielern besetzt haben, die familiär einen ausländischen Hintergrund besitzen, denken sie lange nach und geben mir am Ende eigentlich leider oft recht.

prisma: Sie haben die Rolle der Sarah Brandt im Kieler "Tatort" trotzdem aufgegeben – obwohl das ja eine jener Rollen war, die Sie sich wünschen.

Sibel Kekilli: Das hatte verschiedene Gründe. Ich habe damals gesagt, dass ich nicht mehr so gerne Rollen spielen möchte, wo ich die Quotentürkin bin. Diese Vorgabe erfüllte die Sarah Brandt-Rolle tatsächlich. Ich spielte sieben Jahre lang im "Tatort", was eine lange Zeit ist. Irgendwann kann man auch mal wieder etwas Neues anfangen. Hinzukommt, dass nicht alle Autoren sorgsam mit dem Charakter umgegangen sind. Es gab immer wieder unrealistische Brüche, denen sich die Figur unterwerfen musste, einfach weil das den Autoren oder auch manchen Regisseuren so in dem Kram passte. Mal war sie von der taffen Sorte, dann wurde sie wieder zum Mädchen. Der Charakter war einfach nicht plausibel geführt. Ich wusste das, sagte das, aber kam nicht dagegen an. Also stieg ich auch unter anderem deshalb aus.

prisma: Sie spielten vier Staffeln lang in "Game of Thrones", der wahrscheinlich wichtigsten und erfolgreichsten Serie der letzten Jahre. Die wird auf der ganzen Welt gesehen und geliebt. Hat Sie Ihre internationale Karriere befördert?

Sibel Kekilli: Meine internationale Bekanntheit ist bei Fans und Castern sicherlich größer geworden. Und im Zuge dessen gab und gibt es natürlich viele verschiedene, sehr interessante Angebote und Casting-Anfragen.

prisma: Und bislang war nichts dabei?

Sibel Kekilli: Ich spiele jetzt in einer internationalen Serie, die wir in Finnland, Belgien und Georgien drehen. Es ist eine englisch-finnisch-deutsche Koproduktion. Mehr kann ich dazu leider noch nicht sagen.

prisma: Drehen Sie auch in der Türkei?

Sibel Kekilli: Einmal, im Jahr 2006, habe ich das getan. Ich sollte dieses Jahr einen weiteren Film drehen, aber letztlich habe ich mich jedoch unter anderem aus politischen Gründen leider dagegen entscheiden müssen.

teleschau: Wenn Sie auf Ihre bisherige Karriere zurückschauen, kommt Sie Ihnen nicht auch ein wenig märchenhaft vor?

Sibel Kekilli: Es war ein harter Weg. Ich bin sehr hoch eingestiegen. Das ist sowohl als Mensch wie als Schauspielerin nicht einfach. Man muss damit klarkommen, von jetzt auf gleich im Mittelpunkt zu stehen. Wenn man derart hoch einsteigt, kann es danach eigentlich nur noch bergab gehen. Ich habe mir nach "Gegen die Wand" erst mal Zeit gelassen und mir dann "Winterreise" ausgesucht, ein kleiner, aber für mich bedeutender Film. Ich bekomme seit 13 Jahren immer wieder Beschimpfungen, meistens von Menschen mit türkischem Hintergrund. Dazu kommen sexuelle Belästigungen, sogar Morddrohungen. Mein Leben war alles andere als märchenhaft. Ich weiß natürlich sehr wohl, dass auch eine Portion Glück zu einer Karriere dazu gehört. Manchmal geht es mir wie der Polizistin in "Bruder – Schwarze Macht". Wenn man zu gut integriert ist, haben viele Leute auch damit ein Problem.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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