Serie auf Netflix

Zweite Staffel von "Stranger Things" wirkt austauschbar

von John Fasnaugh

In der zweiten Staffel von "Stranger Things" gibt es neue Mysterien, kinoreife Bilder und erneut ein gekonntes Spiel mit der Sci-Fi- und Horror-Ikonografie der 80er-Jahre. Die Duffer-Brüder sollten sich dennoch zügig von ihrer Serie verabschieden.

Vor zwei Jahren kannte die Duffer-Brüder niemand. Seit einem Jahr gehören sie dank "Stranger Things" zu den angesagtesten Kreativköpfen der Filmbranche. Viel ist über sie nicht bekannt, außer dass sie aus North Carolina stammen, schon als Schüler kleine Filmchen drehten und später Film studierten. Vor allem besuchten die Zwillinge Matt und Ross an der Hochschule wahrscheinlich Kurse über das Kino der 80er-Jahre. Und bestimmt lagen schon in ihren Kinderzimmern viele VHS-Kassetten herum. Zumindest musste man davon ausgehen, wenn man im vergangenen Jahr ihre Netflix-Serie "Stranger Things" sah – ein grandioses Retro-Spektakel, das die 80er nicht nur detailliert abbildete, sondern sich bisweilen tatsächlich so anfühlte, als wäre es in dieser Zeit entstanden. Ein solches Konzept birgt allerdings auch Risiken, was die Duffers beim Dreh der zweiten Staffel, die ab 27. Oktober 2017 zu sehen ist, womöglich selbst erkannt haben.

Fünf Minuten, bevor Staffel eins endete, hätte man sich noch gut vorstellen können, das dies tatsächlich das Ende der Geschichte ist. Der kleine Will war wieder zu Hause, die menschlichen und unmenschlichen Monster waren besiegt – es wäre ein gutes Ende gewesen. Dann gingen die Duffers auf den allerletzten Metern doch noch ein paar Schritte und streuten diverse Hinweise auf eine Fortsetzung. Wie es weitergehen würde, war völlig offen, weshalb Fans im zurückliegenden Jahr die abenteuerlichsten Spekulationen anstellten. Dass es weitergehen würde, war am Ende aber klar. Nun wird sich also fast jeder, der früher Poster von "E.T.", "Die Goonies" oder "Poltergeist" im Zimmer hatte, wieder bei Netflix einloggen und gerne in die unscheinbare US-Kleinstadt Hawkins zurückkehren.

Zwischen Flashbacks und Visionen

Man sieht dort gleich zu Beginn eine Arcade-Spielhölle, man hört "Whip It" von Devo und ist spätestens dann wieder in dieser perfekt ausgestatteten 80er-Kulisse angekommen, wenn Will (Noah Schnapp) und seine Nerd-Freunde ihre Ghostbusters-Kostüme anlegen. Halloween steht vor der Tür. Und dann, über ein Jahr nach den seltsamen Ereignissen aus Staffel eins, geschehen wieder seltsame Dinge in Hawkins, Indiana. Über Nacht verfaulen alle Kürbisse. Will wird zunehmend geplagt von albtraumhaften "Episoden", die ihn immer wieder in die schleimige, wüste Spiegelwelt zurückwerfen, die man bereits aus den alten Folgen kennt. Sind es Flashbacks, wie die Ärzte behaupten? Oder doch Visionen von einem großen Unheil, das den Bewohnern von Hawkins noch bevorsteht?

Natürlich verschimmeln die Kürbisse nicht einfach so, und natürlich steht Hawkins ein großes Unheil bevor. Der Zuschauer weiß inzwischen, wie die Dinge in "Stranger Things" laufen. Da ist wieder etwas aus dieser dystopischen anderen Welt, das seinen Weg in die Realität von Hawkins gefunden hat, und es wird bald zu einem Riesenproblem. Generell gilt: In Staffel zwei wird alles eine Nummer größer. Damit gehen die Duffers, die ja schon mit dem Auftakt Serienunterhaltung im Kinoformat lieferten, einen naheliegenden Schritt. Die Geschichte um ein verheerend aus dem Ruder gelaufenes, bislang weitestgehend vertuschtes Experiment zieht mit neuen Schaupläzen immer weitere Kreise, während Will in seinen Tagträumen ein kolossales Monstrum sieht. Es wird in dieser zweiten Staffel mehrere Szenen geben mit überwältigten Menschen, die mit offenem Mund irgendetwas Großes anstarren.

Vor dem TV-Gerät aber will sich die ganz große Begeisterung diesmal nicht mehr einstellen. "Stranger Things" ist aufgrund der Bilder, des Soundtracks, der wendungsreichen Mystery-Geschichte und der sagenhaft guten Darsteller (unter anderem Winona Ryder) immer noch ein Format, das Spaß macht, aber die Serie ist nichts Besonderes mehr. Als Eleven (Millie Bobby Brown), das verschüchterte Mädchen mit telekinetischer Sonderbegabung, etwa in der Mitte der ersten Staffel zum ersten Mal ihre wahre Kraft offenbarte und Regierungsautos durch die Gegend fliegen ließ, war das ein kinoreifer Gänsehaut-Moment – es gab ein paar solcher wuchtiger Szenen, in denen die Duffers auf Spielbergs Spuren wandelten und ihr großes Talent als Geschichtenerzähler demonstrierten. In Staffel zwei fliegen nun ziemlich früh sehr viele Sachen durch die Gegend – der Zuschauer nimmt es nurmehr achselzuckend zur Kenntnis.

Was bleibt, wirkt austauschbar

Der Eindruck, die Duffers hätten die Lust an ihrem eigenen Produkt verloren, entsteht nie. Aber es scheint doch, als hätten sie sich in etwas verrannt. Als hätten sie ohne langfristigen Plan eine Geschichte fortgesetzt, die kein neues Level erreichen kann. Womöglich haben sie das irgendwann während der Entstehung der neuen Folgen selbst realisiert. Matt und Ross Duffer führten nur noch bei vier der insgesamt neun Episoden selbst Regie. Und obwohl sie immer noch gekonnt mit Formeln des 80er-Jahre-Kinos spielen, rücken diese Referenzen im Lauf der Staffel spürbar in den Hintergrund. Was dann bleibt, wirkt bisweilen austauschbar, aber so vermeiden die Duffers es immerhin, dass man ihre Schöpfung und damit auch sie zu sehr auf den Retro-Spaß reduziert.

Ob "Stranger Things" in zwei Jahren noch ein so großes Thema sein wird wie zuletzt, darf nach dieser Fortsetzung bezweifelt werden. Und wenn die Duffers mittelfristig dort landen wollen, wo sie hingehören, nämlich im Kino, sollten sie sich von dieser Serie zügig verabschieden.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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