"Tatort" Köln: Ein klassisches Gangsterpaar

Ruby O. Fee und Rick Okon dominieren einen starken Kölner Tatort. Patrick Abozen setzt interessante Akzente. Die Kommissare geraten ans Laufen.
Will man dem neuen Kölner Tatort Kartenhaus gerecht werden, kann man sich auf drei Aspekte konzentrieren. Erstens, das Gangsterpärchen Laura & Adrian. Zweitens die Kölner Kommissare Max & Freddy. Drittens, den dritten Kommissar. Tobias Reisser heißt er. Normalerweise leistet er Stalldienst und zaubert die tollsten Infos über Verdächtige aus dem Computer. Diesmal darf er aktiv mitmachen.
Auf der Flucht vor sich selbst
Laura & Adrian (Ruby O. Fee und Rick Okon) kommen einem so vertraut vor, als handle es sich um die Fortsetzung eines bekannten Stückes. Sie sind auf der Flucht wie Thelma & Louise, wie Jesse und Monica in "Atemlos", wie "Bonnie und Clyde", wie Mallory und Mickey in Oliver Stones "Natural Born Killers". Und sie sind, das spricht für die Kölner Version von Jürgen Werner (Buch) und Sebastian Ko (Regie), auch auf der Flucht vor sich selbst, vor ihren Eltern, vor ihrer Vergangenheit, vor ihrer Zukunft.
Multi-Task-Flüchtlinge. Das Wort gibt es nicht und wird es hoffentlich auch nie geben, aber auf Laura & Adrian trifft es zu.
Laura, ein verwöhntes Töchterchen aus, nein, nicht bestem Hause, sondern aus reichem Hause, hat ihrem neuen Disko-Freund Adrian gesteckt, dass ihr Stiefvater sie missbraucht habe. Nun ist Adrian von einem unkontrollierbaren Gerechtigkeitsvirus befallen und macht folgerichtig das, wozu er sich, wie sich später herausstellen wird, schon einmal hat hinreißen lassen: Er schafft das Übel aus der Welt. In diesem Fall mit einem Küchenmesser, das er Lauras Stiefvater in den Bauch rammt.
Von da an wird geflüchtet. Laura & Adrian im Hotelzimmer, mit Flugkarten für eine Zukunft in der Sonne, Laura & Adrian im Fernsehen (sie werden inzwischen gesucht), Laura & Adrian im gestohlenen Cabrio. Sie sind immer unterwegs und kommen doch nie über Köln hinaus, was auch als Metapher für die Aussichtslosigkeit ihrer Flucht verstanden werden kann.
Sex ist der gemeinsame Nenner
Er hat eine Kindheit im Elend erlebt, sie das Elend endloser Wunscherfüllung, das sie in üppigem Luxus hat verwaisen lassen. Er sucht in ihr auf Gedeih und Verderb die große Liebe. Sie sucht seinen Schutz und bekommt Weinkrämpfe, wenn er mal kurz den Raum verlässt. Das Wort Verantwortung könnte sie nicht mal buchstabieren, von Liebe zu schweigen. Sex ist der gemeinsame Nenner, davon haben sie reichlich, bis sich der Kreis der Verfolger unerbittlich zuzieht.
Muss man es erwähnen? Beide, Ruby O. Fee und Rick Okon, spielen großartig. Sie tragen den Film, der auf diese Weise zu einem richtig guten Tatort wird.
Selbst Max & Freddy sind nicht ganz wie immer. Jürgen Werner hat, nehmen wir mal an, die prisma-Kritik gelesen, wonach die beiden zu Salzsäulen ihrer selbst geworden seien, unbeweglich und matt.
Matt sind sie immer noch, aber gerannt wird dafür umso mehr, Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) haben wir seit Jahren nicht mehr derart außer Puste gesehen. Selbst Schenk (Dietmar Bär) befleißigt sich für Augenblicke eines forcierten Bewegungsablaufs.
Einmal allerdings schlendern sie wie deplatzierte Touristen auf eine Disko zu, "Oxygen" heißt sie, sie schlendern gefühlt zwei Minuten lang (tatsächlich sind es 17 Sekunden), aber es kommt dem Zuschauer wie eine Ewigkeit vor. Warum, lieber Regisseur Sebastian Ko, wird das in einem sonst auf Tempo bedachten Film so langatmig gezeigt? Schauspielerisch tendiert dieser Gang gegen lachhaft. Wenn Behrendt und Bär über die Düsseldorfer Kö gingen, weil sie für ihre Frauen Pelzmäntel erstehen müssten, wären sie nicht langsamer.
Der Dritte im Bunde, Patrick Abozen als Tobias Reisser, darf diesmal mit raus zu einem Einsatz, was ihm infolge früherer Erlebnisse offenbar nur sehr bedingt zugemutet werden kann. Interessant ist die Szenenfolge aus einem anderen Grund. Es geht um eine Observierung, aus der leicht ein Zugriff werden kann, und der Zugriff würde aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ohne den Gebrauch von Schusswaffen vonstattengehen.
Hoher Gewohnheitswert
Solche Augenblicke haben im endlosen Fluss der Tatort-Folgen mittlerweile einen hohen Gewohnheitswert, sie sind selbstverständlich geworden. Dass jemand Kopf und Kragen riskiert, geht im Comic-Charakter der meisten Krimis unter. Die Guten gewinnen eh, unverwundbar wie sie sind.
Abozens Spiel macht deutlich, wie viel Überwindung dazu gehört, sich Gefahrenmomenten wie diesen zu stellen und dabei, was vom Zuschauer stillschweigend vorausgesetzt wird, klaren Kopf zu bewahren.
Tatort-Vielschreiber Jürgen Werner ("Schimanski", fünf Dortmund-Folgen, eine Lena-Odenthal-Folge) hat wieder mal ganze Arbeit geleistet. Da wollen wir ihm nachsehen, dass er sich, siehe oben, bei etlichen Filmklassikern bedient hat.
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