Thomas Loibl im Interview

"Die Reihenhaussiedlung hat etwas Gespenstisches"

von Maximilian Haase

Thomas Loibl porträtiert in der Jan-Weiler-Verfilmung "Kühn hat zu tun" die deutsche Reihenhaus-Realität. Wie er selbst aufwuchs, verrät der Theaterschauspieler und Metal-Fan im Gespräch.

Er spielte Macbeth und den Parzival, gab Tschechows Iwanow und begeistert aktuell an den Münchner Kammerspielen als "Der Spieler" von Dostojewski. Thomas Loibl, am Niederrhein geboren und an der Isar lebend, ist ein Paradebeispiel dessen, was man einen leidenschaftlichen Vollbluttheaterschauspieler nennen würde. Wie bekommt man nun so einen wie den Loibl vor die TV-Kamera? Einfacher als erwartet.

Die filmische Arbeit liegt ihm, das exaktere psychologischere Ausloten der Figuren – etwa als Unternehmensberater im umjubelten "Toni Erdmann", aber auch in diversen Fernsehfilmen und "Tatort"-Krimis. Mit Jan Weilers Romancharakter des Ermittlers und Familienvaters Kühn übernimmt Loibl, der in diesem Jahr 50 wird, nun in der Verfilmung "Kühn hat zu tun" im Ersten (Mittwoch, 30.1., 20.15 Uhr, ARD) eine auf seinen vor Präsenz und Gefühl strotzenden Leib geschneiderte Rolle.

prisma: Hatten Sie selbst schon das Vergnügen, in so einem bürgerlichen Neubau-Vorort zu leben wie Ihre Hauptfigur Kühn?

Thomas Loibl: Nicht ganz. Ich wuchs am Niederrhein in einer kleinen Gemeinde mit Einfamilienhäusern auf. Das Haus, in dem wir lebten, war allerdings schon das Haus meines Urgroßvaters – und auch nicht so gedrängt. Dennoch: Die Nachbarn, die Sozialisation dort, das war schon ähnlich. Ich wuchs auch mit derselben Musik auf, die Kühn früher hörte. Mit 13, 14 begeisterte mich etwa Heavy Metal oder Punk.

prisma: Kühn erinnert sich ja gern an seine Jugendmusik ?

Loibl: Zum einen Iron Maiden, zum anderen "Cheri, Cheri, Lady" (lacht). Deshalb brachte ich dem Team diese Platten auch als Geschenk mit, aus einem Münchner Plattenladen. Allein die Cover! Autor Jan Weiler schenkte ich eine Motörhead-Platte, "No Sleep Till Hammersmith". Wir werden demnächst sicher auch mal auf ein Heavy-Metal-Konzert gehen. Während des Drehs spielten sogar Iron Maiden in München – aber da schafften wir es nicht.

prisma: Klingt, als hätten Sie sich mit Jan Weiler, dem Autor der Romanvorlage, angefreundet?

Loibl: Wir kannten uns schon vorher, und hatten immer mal wieder Kontakt – auch über eine Schulfreundin. Außerdem: Zwei Rheinländer in München – da erkennt man sich anscheinend direkt wieder (lacht).

prisma: Dann hatten Sie sicher auch die Vorlage zum Film schon gelesen ?

Loibl: Genau. Ein Vorstadt-Gesellschaftsporträt in Form eines Krimis, der aber eigentlich keiner ist. Es steckt darin eine bestimmte Jan-Weiler-Ironie. Mit seinen Texten beleuchtet er ja auch die Lebenswelt einer Generation. Unserer Generation, wir sind ja ein Jahrgang. Wir sind in einer ähnlichen Gegend aufgewachsen, haben ähnliche Musik gehört. Wir waren in Düsseldorf auch in den selben Läden, wie wir irgendwann mal feststellten.

prisma: Sie werden in diesem Jahr 50. Ist das ein besonderer Abschnitt im Leben, den auch der Film thematisiert?

Loibl: Es ist ein bestimmter Lebensabschnitt, in dem sich schon biologisch einiges verändert. Bei Martin Kühn ist das so: Er nimmt auf einmal eine Überforderung wahr und kriegt das alles nicht mehr in den Griff. Die inneren Monologe werden endlos. Das hat sicher mit dem Alter zu tun – die Kinder in der Pubertät, haben neue Freunde und so weiter. Ich selbst habe ja leider keine Kinder, aber ich kann die Probleme nachvollziehen, die da aufkommen. Man ist schon angekommen im Beruf, und trotzdem muss man sich einer merkwürdigen Veränderung stellen. Eine Art: Was kommt jetzt noch? Zugleich kommt die Vergangenheit in vielerlei Hinsicht wieder hoch.

prisma: Ist das auch eine Art Metapher auf unsere Zeit? Dass wir uns nach dem unerschütterlichen Glauben an Fortschritt und Wohlstand jetzt mit den Geistern der Vergangenheit konfrontiert sehen?

Loibl: Das ist sicher eine bundesrepublikanische Realität. Man dachte in der Bundesrepublik, dass man dieses Erdreich erfolgreich abgetragen und bewältigt hatte. Dass der Boden jetzt wieder sauber ist. Das wird einerseits bewusst übersehen, andererseits ist es eine wiederkehrende Herausforderung, der man sich stellen muss.

prisma: Trägt auch die soziale Realität der Menschen dazu bei?

Loibl: Ich glaube, viel liegt an der prekären finanziellen Situation von Leuten, die in Arbeit sind. Die können oft den Kredit nicht mehr bedienen. Sie haben ganz normale Berufe, wie die Generation davor, bei der es aber stetig bergauf ging. In diesem Glauben sind wir aufgewachsen. Das wurde schon in der "Generation Golf" porträtiert. Jetzt merken unsere Generation und die nachfolgenden, dass das kein Selbstläufer ist, keine Selbstverständlichkeit. Man ist aufgefordert, sich diesen Sachen viel mehr zu stellen, sie noch mal zu bearbeiten. Dieses Unbehagen spüren wir – und das spürt man im Film. Die Reihenhaussiedlung hat etwas Gespenstisches.

prisma: Mussten Sie aus Ihrem Heimatort einst ausbrechen?

Loibl: Naja, man nimmt vielleicht die etwas härtere Musik mit – und geht dann einen anderen Weg, in meinem Fall war das, Schauspieler zu werden. Allerdings habe ich immer noch Kontakt zu Leuten aus meinem Heimatort, sogar aus Kindergartenzeiten. Die haben natürlich ganz andere, oft bürgerliche Berufe.

prisma: Sie lassen sich also auch bei Klassentreffen blicken?

Loibl: Sobald es die Zeit erlaubt. Das letzte habe ich leider verpasst, das war ein großes Jubiläum. Ich sah aber viele Fotos, das war auch lustig. Und ich schickte ein Video und sendete einen Gruß.

prisma: Ist es für Ihre ehemaligen Klassenkameraden etwas Besonderes, einen bekannten Schauspieler in den Reihen zu haben?

Loibl: Manchmal schon. Anderseits habe ich mit der Schauspielerei auch sehr früh begonnen. Mit acht Jahren begann ich bei uns im Dorf, Theater zu spielen, später in der Schule auch. Die wussten also immer, dass ich das mit Leidenschaft mache. Und die meisten finden es ganz toll, dass es für mich weiterging. Aber wenn man zurückkommt, wird man dann doch oft auf die anderen Sachen von früher reduziert (lacht). Da geht es dann um die alten Zeiten.

prisma: Als großen Theaterschauspieler nimmt man Sie auf dem Dorf wahrscheinlich ohnehin weniger wahr, wenn die Häuser, an denen Sie spielen, weit entfernt sind.

Loibl: Eine Präsenz im Fernsehen ist dafür natürlich besser kommunizierbar. Da sprechen einen die Leute auch an. Die meisten wissen nicht, dass man in München oder Köln am Theater gespielt hat.

prisma: Merkt man den Theater-Dünkel eigentlich noch?

Loibl: Es durchmischt sich viel mehr als vor ein paar Jahrzehnten noch. An den Kammerspielen fand ich es damals zwar auch toll, dass sich das Ensemble fast ausschließlich dem Theater widmete. Das ist heute nicht mehr so. Viele Theatermacher ermöglichen das mittlerweile, man kann schließlich auch ein breiteres Publikum ansprechen, wenn ein Schauspieler aus dem Fernsehen bekannt ist. Die Trennung gibt es nicht mehr. Im Fernsehen spielte ich auch schon während der Zeit an der Schauspielschule, danach ließ ich es aber für einige Jahre, weil ich nur Theater machen wollte. Als ich dann 1996 nach München kam, fing das wieder an, mit kleineren TV-Sachen.

prisma: Was reizte Sie am Drehen?

Loibl: In Film und Fernsehen hat man eine viel subtilere Spielweise als auf der Bühne. Es sind andere Erzählungen, eine andere Sprache. Mich interessiert das viel stärkere psychologische, feinere Arbeiten, auch das Technische mit der Kamera. Aber ich empfinde es als Privileg, Theater und Film machen zu dürfen. Beide Arbeitsweisen inspirieren sich bei mir gegenseitig.

prisma: War der Erfolg von "Toni Erdmann" bei Ihnen dahingehend eine Zäsur?

Loibl: Das war sicher ein besonderer Punkt für mich – es ist ein fantastischer Film geworden, der auch internationale Resonanz erfuhr. Ich durfte mit tollen Leuten wie Maren Ade, Peter Simonischek und Sandra Hüller arbeiten.

prisma: Inzwischen ist Jan Weilers Nachfolgeroman "Kühn hat Ärger" erschienen. Eigentlich ist Ihre Rolle doch prädestiniert für eine Reihe oder Serie.

Loibl: Ja, den Nachfolger las ich natürlich bereits. Ich weiß auch, dass Jan Weiler gerade am dritten Roman schreibt. Ich kann mir das gut vorstellen – und würde mich sehr freuen, wenn es weiterginge; auch weil die Zusammenarbeit mit Regisseur Ralf Huettner und den tollen Kollegen wirklich gut war.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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