Drama mit Lily Collins

Netflix in der Kritik: Verharmlost "To the Bone" Magersucht?

von Anke Waschneck

"Du bist so krank", lacht Ellen im Spaß. Sie sitzt im Restaurant und fügt ihrem Gegenüber zugewandt hinzu: "Sind wir beide!" Es ist kein ernster Moment im Spielfilm "To the Bone", der ab Donnerstag, 14. Juli, bei Netflix zu sehen sein wird.

Nicht nur Ellen ist sich bewusst, dass sie die Wahrheit ausspricht, sondern auch der Zuschauer weiß es bereits: Dieses Mädchen, beinahe erschreckend grandios gespielt von Phil Collins' Tochter Lily Collins, ist todkrank. Sie leidet an Magersucht, sämtliche Therapien scheitern, auch, weil Ellen gar keinen Erfolg möchte. Der letzte Versuch ist eine ungewöhnliche Methode, bei der die Patienten unter der Aufsicht von Dr. Beckham (Keanu Reeves) verinnerlichen sollen, dass und warum sie krank sind. Mit "To the Bone" widmet sich Netflix dem Tabu-Thema Anorexie und steht schon vor der Ausstrahlung in der Kritik.

Es ist nicht das erste Mal, dass Netflix ein heißes Eisen anpackt und damit für Debatten sorgt. Zuletzt musste sich der Streaming-Dienst für die Serie "Tote Mädchen lügen nicht" rechtfertigen, die vom Selbstmord einer Schülerin erzählt. Kritikerstimmen wurden laut, die Reihe würde zum Nachahmen anstiften und bräuchte zumindest einen Warnhinweis.

Kein klassisches Opfer

Ähnlichen Vorwürfen muss sich nun das Drama "To the Bone" stellen, denn schon vor der Ausstrahlung hagelt es Vorwürfe, der Film würde die Magersucht verharmlosen, falsch darstellen und womöglich zur Nachahmung der Protagonistin verleiten. Denn Ellen ist eine sympathische Hauptfigur, mit der man sich durchaus identifizieren kann - flotte Sprüche und die gewisse Dosis Schlagfertigkeit inklusive. Sie ist kein klassisches Opfer, sondern weiß genau, was sie ihrem Körper antut.

Schon die Besetzung der Hauptrolle ist ein Aufreger: Die britische Schauspielerin Lily Collins litt in ihrer Jugend an einer Essstörung und nahm für das Drama erneut ab. Im Interview mit "Vogue" erklärt die 28-Jährige, sie wünschte, sie hätte "solch einen Film gesehen während ich jene Zeit durchlebte".

In Nahaufnahme ist zu sehen, wie sich die dünne, blasse Haut über die Wirbelsäule spannt und die Rippen ungesund hervorstehen. Es wird nicht weggeblendet, sondern genau fokussiert und hingeschaut: "To the Bone" zeigt Magersucht so authentisch und für den gesunden Zuschauer so abschreckend wie möglich. Allerdings erklärt der Film die Krankheit nicht oder zeigt eine Genesung, viel mehr skizziert er einen kurzen Ausschnitt aus einem langen Prozess.

Es geht darum, Tabus zu brechen

Die Agenda des Films ist aber vor allem eine: Tabus brechen. Das macht auch Regisseurin Marti Noxon klar, die auf ihrer Twitter-Seite schreibt, der Film solle als Konversationsbeginn dienen, "für ein Thema, das zu oft verschleiert wird durch Verschwiegenheit und Irrglauben". Rückendeckung bekommt sie auch von der Hauptdarstellerin. Der Filmprozess sei für sie fast schon therapeutisch gewesen, verrät Lily Collins der "Vogue": "Ich finde es verrückt, dass es vorher keine Filmprojekte dazu gegeben hat, die das Thema in den Vordergrund stellen."

Wer eine derart sensible Problematik wie Anexorie anspricht, trägt eine gewisse Verantwortung. Ob die Regisseurin dieser gerecht geworden ist, darin sind sich die Kritiker uneinig. Allerdings hat der Film eine Diskussion heraufbeschworen und, gut für Netflix, der Produktion so schon vorab Aufmerksamkeit verschafft.


Quelle: teleschau – der mediendienst

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