"Das ist untragbar"

Veronica Ferres kritisiert Gesundheitssystem scharf

von Anke Waschneck

Veronica Ferres hat dunkle Augenringe, zerzauste Haare und sieht gestresst aus. So verkörpert sie perfekt die Rolle der Annett im ZDF-Drama "Tod auf Raten" (Donnerstag, 9. August, 22.30 Uhr). Berührend wird hier die Geschichte einer Frau erzählt, deren Ehemann (gespielt von Oliver Stokowski) sein Kurzzeitgedächtnis verloren hat, aber nicht die angemessene Pflegestufe bekommt. Seine Ehefrau geht an den Strapazen der Pflege und der Geldnot langsam zugrunde.

Beim Interviewtermin erinnert Veronica Ferres gar nicht an ihre Figur: Sie ist gelassen, strahlt in einem weißen Outfit und verrät, dass sie es genießt, sich in der Maske manchmal "hässlich" schminken zu lassen. Außerdem findet die Schauspielerin klare Worte zu unserem Gesundheitssystem. Die 53-Jährige hätte da schon einige Vorschläge zur Verbesserung ?

prisma: Annett, die Frau, die Sie in "Tod auf Raten" verkörpern, ist psychisch und physisch total am Ende. Schaffen Sie es, eine so komplizierte Rolle am Set zu lassen?

Veronica Ferres: Nein. Man kann eine solche Rolle nicht so einfach wegschieben, wenn man nach Hause geht. Aber das ist die Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Wir Schauspieler sollten ja selbst nicht betroffen sein und uns wichtig nehmen, sondern es geht um die Geschichte, die wir zu erzählen haben. Da müssen wir uns eher zurücknehmen und hinter die Story stellen. Das ist bei einem berührenden Film wie "Tod auf Raten" besonders schwierig.

prisma: Wie gelingt es, sich am Set perfekt in die Rolle einzufinden?

Ferres: Das Thema und die Zusammenarbeit waren besonders, weil ein großer Rückhalt da war. Ich bin mit Oliver Stokowski, aber auch mit dem Regisseur Andreas Arnstedt befreundet. Das Drama zeigt die Lebensgeschichte von Andreas' Vater. Dieser Hintergrund macht es einem leichter, sich seelisch total zu öffnen und sich vollkommen in die Vision des Regisseurs zu stellen. Außerdem waren wir nur ein Team aus zwölf Leuten, das hat sehr geholfen.

prisma: Sie konnten sich Tipps zur Rolle von Andreas Arnstedt holen?

Ferres: Er hat viel Insiderwissen geteilt. Außerdem war ich oft mit einer Freundin im Heim, deren demente Mutter dort wohnt. Sie erkennt ihre Tochter einfach nicht wieder. Dann spürt man eine Hoffnungslosigkeit, die beängstigend ist.

prisma: Haben Sie selbst Angst vor so einem Schicksalsschlag?

Ferres: Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich glaube, dass man in solchen Situationen ungeahnte Kräfte besitzt. Im Film war es uns wichtig, zu zeigen, dass Menschen mit dieser Krankheit einfach vergessen werden. Sie werden alleine gelassen von der Pflege- und der Krankenversicherung. Vom System werden nur Voraussetzungen wie "Können sich die Menschen alleine anziehen, rasieren oder waschen?" geprüft. Das können diese Patienten aber, die sind fit, nur wissen sie nicht mehr, wo sie sind. Sie verhalten sich wie Kinder, die man nicht alleine auf die Straße lassen kann. An dieser untragbaren Situation muss sich ganz schnell etwas ändern. Die Politik muss eingreifen.

prisma: Sie halten also nicht viel von unserem Gesundheitssystem?

Ferres: Nein. Ich würde sehr viel Geld investieren, um alle Krankenhäuser wieder staatlich zu machen, und sie zu blühenden Stätten der Genesung verwandeln. Pfleger und Krankenpfleger müsste man mit sehr viel höheren Gehältern ausstatten, denn sie sind extrem wichtig für die Gesellschaft. All das muss in großen Maßen subventioniert werden.

prisma: Haben Sie selbst schon Erfahrung mit schlechten Zuständen im Krankenhaus gemacht?

Ferres: Ich erlebte es kürzlich bei einem Freund mit, der im Krankenhaus war. Es ging nur darum, wie viele Schultern, Knie oder Hüften noch operiert werden. Ich bin mir sicher, dass einige Eingriffe überflüssig waren. Aber das sind heutzutage Fabriken, die eine gewisse Anzahl Operationen erfüllen müssen, denn sonst ist es nicht rentabel. Ich finde, das ist untragbar.

prisma: Ist man hinsichtlich eines Krankheitsfalls etwas ruhiger, wenn man zumindest weiß, dass man finanziell abgesichert ist?

Ferres: Ja, man kann ruhiger schlafen, wenn man weiß, dass man frühzeitig für Notsituationen vorgesorgt hat.

prisma: Brauchen wir mehr Filme im deutschen Fernsehen, die sich trauen, so ernste Themen in aller Härte zu zeigen?

Ferres: Ja! Andreas Arnstedt ist dankbar, weil er sagt: Veronica, du bist die erste Schauspielerin, die so ein Thema angreift. Und wir arbeiten auch schon am nächsten Projekt ...

prisma: Apropos Projekt: Wollen Sie auch weiter Ihre Karriere in Hollywood verfolgen?

Ferres: In Hollywood drehe ich seit über 20 Jahren. Mein erstes Projekt war 1995 mit Catherine Zeta-Jones in "Katharina die Große". Seitdem war ich in mehr als 20 englischsprachigen Kinoproduktionen zu sehen. Ich freue mich riesig, wenn ich auch dort drehe. Im Herbst erscheint "Intrigo – Tod eines Autors" mit Sir Ben Kingsley, Benno Fürmann und mir. Gerade habe ich "Berlin, I love you" mit Helen Mirren und Keira Knightley gedreht. So anders ist die Arbeit dort gar nicht, ich bin nur ein bisschen aufgeregter. Aber Hollywood ist nur mein Hobby. Mein Hauptaugenmerk liegt auf Deutschland.

prisma: Wenn man sich die Hollywood-Filme anschaut, hat man oft das Gefühl, dass alles immer bombastischer werden muss. Eine beängstigende Entwicklung?

Ferres: Es ist schwieriger für kleine Produktionen, sich durchzusetzen. Die amerikanischen Studios setzen immer mehr auf die Verfilmung von bekannten Namen und Marken. Die Zukunft unserer Branche liegt sicherlich in der Serie.

prisma: Sehen Sie Netflix, Amazon und Co. nicht als Gefahr für das lineare deutsche Fernsehen?

Ferres: Nein. Ich sehe die Streaming-Dienste als Herausforderung. Die Sender sind so klug, sich mit den neuen Angeboten zu verbinden. Es gibt viele Koproduktionen wie zum Beispiel "Babylon Berlin". Außerdem bauen ZDF und ARD fleißig ihre Mediatheken aus und haben auf keinen Fall den Anschluss verpasst. Die jungen Leute erreicht man über das Internet, und ich finde es großartig, dass sich die Sender öffnen.

prisma: Vor drei Jahren feierten Sie Ihren 50. Gefeiert. Begann da für Sie ein neuer Lebensabschnitt?

Ferres: Ich erinnere mich gerne an das wundervolle Fest zurück, aber ich fühle mich immer noch wie 17. Natürlich hoffe ich, dass ich das noch lange beibehalte, zumindest mental.

prisma: Wenn die Zeit fortschreitet, fällt es dann leichter oder schwerer, sich für einen Film auch mal hässlich machen zu lassen?

Ferres: Es gibt für mich nichts Schöneres, als wenn man sich Augenränder schminken lassen darf. Einerseits sitzt man nur kurz in der Maske, andererseits kann niemand zu dir sagen: "Oh, du hast aber Augenringe." Das gehört ja dann zur Rolle. Außerdem bin ich sehr uneitel.

prisma: Haben Sie denn überhaupt noch Privatsphäre?

Ferres: Manchmal erschleiche ich mir Privatsphäre, indem ich mir Perücken aufsetze, wie zum Beispiel beim Oktoberfest. Oder auch als ich mal in die Strafjustiz gegangen bin: Da habe ich mich allerdings leider dumm angestellt und wurde entlarvt. Ich saß in der zweiten Reihe und habe für die Dokumentation des Drehs fotografiert. Der Richter sagte sofort: "Wer fotografiert da? Raus aus dem Saal!" So haben alle Menschen gesehen, wie ich verwiesen wurde. (lacht)

prisma: Finden Sie genug Zeit für die Familie?

Ferres: Es sieht immer so aus, als ob mein Zeitplan so voll wäre, aber die Drehtage sind komprimiert. Es gibt vor jeder Rolle eine Familiensitzung, in der wir entscheiden, ob ich das Angebot annehme oder ablehne. Meine Tochter ist jetzt 17. und ich war nie länger als eine Woche von ihr getrennt. Bei größeren Projekten ist sie mitgekommen und zum Teil auch im Ausland auf die Schule gegangen. Ansonsten pendle ich immer nach Hause.

prisma: Was ist mit Ihrem Mann, Carsten Maschmeyer: Tauschen Sie sich mit ihm über das Filmgeschäft aus?

Ferres: Wir trennen das sehr klar. Ich verstehe nichts von dem, was er tut, und ich mache mein Ding. Ich habe ihm nur zugeredet bei der Gründershow "Höhle der Löwen" mitzumachen, weil das ein tolles Projekt ist.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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