Sängerikone im Interview

Nena: „Es war eine besondere Zeit“

17.10.2024, 12.02 Uhr
von Felix Förster
Nena blickt auf eine einzigartige Karriere zurück.
BILDERGALERIE
Nena blickt auf eine einzigartige Karriere zurück.  Fotoquelle: Sarah_Rechbauer/Laugh + Peas Entertainment + Lifestyle GmbH

40 Jahre nach dem Erscheinen ihres stilprägenden Debütalbums ist Nena auf großer Deutschlandtour. prisma hat mit der Musik-Ikone über die Zeit Anfang der 1980er-Jahre, ihren großen Erfolg und die aktuelle Tournee gesprochen.

Vor 40 Jahren wurde Euer Debutalbum veröffentlicht. Wie erinnerst Du Dich an diese Zeit?

Nena: Musikmachen fing für mich schon fünf Jahre vor dem Nena Debütalbum an. Ich war 17 und die Sängerin in meiner ersten Band The Stripes. Von Tag Eins im Proberaum bis zu unseren ersten Liveauftritten lagen nur wenige Monate. Wir spielten eigene Songs und ein paar Coverversionen von Lieblingsbands. Nach einem Auftritt in irgendeiner Schulaula, sprach sich dann plötzlich rum, dass es uns gibt. Die lokale Musikzeitung in unserer kleinen Stadt, wollte ein Interview mit uns und das landete auf magische Weise auf dem Schreibtisch der Chefetage einer Plattenfirma in Frankfurt. Es klingt ein bisschen fantastisch, war aber genauso. Alles kam wie von selbst angeflogen und wir waren auch komplett bereit, das alles zu erleben. Von dem Vorschuss, den man uns zahlte, kauften wir uns eine kleine PA und sind an jedem Wochenende durch die Lande getourt. Es gab so viele Möglichkeiten, Konzerte zu spielen. Unter der Woche trafen wir uns und schrieben unser erstes Studioalbum. Nach fast drei Jahren war dann der Schwung raus, das sollte es gewesen sein. Ich packte meine Koffer und weiter ging es für mich in Berlin. Ein völlig neues Universum tat sich auf. Neue Menschen, neue Visionen, neue Band, neue Musik und zwei gute Männer aus der Nina-Hagen-Band „Spliff“, die unser erstes Album produzieren wollten. Wir waren ein richtig guter, starker Haufen Menschen. Wir haben uns gegenseitig inspiriert. In dieser Energie ist das Debütalbum der Nena-Band entstanden. Und in jedem Song drückt sich genau der Geist aus, der uns damals zusammengehalten hat. Wir waren füreinander bestimmt, wie frisch verheiratet, alle genau am richtigen Platz.

Das Album kommt jetzt in einer Special Edition noch einmal neu auf den Markt. Was fühlst Du, wenn Du es Dir heute anhörst?

Nena: Ich habe mich mit meiner Musik aus dieser Zeit immer verbunden gefühlt. Das ist ein Teil von mir und ich spiele viele der „alten" Lieder mit Freude in meinen Konzerten. Vom Nena Debütalbum haben wir auf der diesjährigen Tour auch wieder mindestens fünf Songs im Programm.

Neben dem Album wird es eine zweite Scheibe mit B-Seiten, neuen Versionen der Songs und Livematerial geben. Wie war diese musikalische Zeitreise für Dich?

Nena: Vor allem war es spannend, unsere bisher unveröffentlichten Live-Mitschnitte von damals, 1984, zu hören. Mein Gefühl dazu: Wir hätten nichts besser machen können. Wir waren authentisch und mit vollem Einsatz dabei. Nichts Künstliches, alles echt. Das habe ich damals schon so empfunden und auch heute, 40 Jahre später, fühle ich das so. Wir waren einfach richtig gut, haben uns von niemandem reinquatschen lassen und wirklich unser Ding gemacht. Sind einmal um die Welt gerockt und irgendwann wieder gelandet.

Wie war diese Landung für Dich?

Nena: Für mich war diese Landung sanft und ohne Kompromisse. Ich bekam irgendwann eindeutige Signale aus der unsichtbaren Welt. Ich habe hingehört und bin dem Ruf gefolgt. Es sollte nun das geschehen, was ich schon in meiner Kindheit oft gesehen und ausgesprochen hatte: Dass ich eines Tages Mutter von fünf Kindern sein werde. Das war jetzt dran, also stieg ich aus allem aus und gründete eine Familie. Und heute sind meine wundervollen Kinder erwachsen, und ich bin Großmutter von sieben wundervollen Enkeln (lacht). Ich fühle mich reich beschenkt und danke Gott und meiner Familie jeden Tag dafür. Konzerte spiele ich immer noch und nichts kann mich davon abhalten. Es ist einfach das, was ich am Liebsten tue und jedes Konzert ist noch schöner als das davor.

Damals in den 80ern wollten alle Mädchen so sein wie Du und die Jungs waren gefühlt alle verliebt in Nena. International war Madonna das Pop-Idol, deutschlandweit Du. War dieser Look in irgendeiner Form geplant oder warst das einfach Du?

Nena: Ich habe das selber gemacht und mir immer von meiner besten Freundin alles absegnen lassen. 1978 kam ich so zum Beispiel zu meiner ersten Second Hand-Lederjacke, gefunden auf einem Flohmarkt für mein erstes Konzert. Und über meinen roten Minirock, den ich 82 bei unserem ersten Fernsehauftritt trug, hat danach ganz Deutschland gesprochen (lacht). Dass daraus eine Art Nena-Style wurde, hab ich erst viel später realisiert, als mir überall auf den Straßen Mädchen begegneten, die in Frisur und Kleidung so aussahen wie ich. Ich fand das sehr süß, aber das zu erleben, war auch ziemlich unwirklich.

Du bist damals quasi von 0 auf 100 durchgestartet, hattest dann auch international großen Erfolg. Warst Du auf diesen Rummel in irgendeiner Form vorbereitet?

Nena: Ich konnte ja nicht in die Zukunft schauen, auf was genau hätte ich mich also vorbereiten sollen? Und wenn ich gewusst hätte, dass wir, nach einem einzigen Fernsehauftritt mit „Nur geträumt“ direkt am nächsten Tag 40.000 Singles verkaufen würden, dass wir ein Lied in der Tasche hatten, das wenig später ein Welthit werden sollte, wir in Japan auf Tournee gehen und die japanischen Fans unsere Lieder auf Deutsch mitsingen, dass es für uns in allen Ländern goldene Schallplatten regnen würde und vieles mehr. Wie hätte ich mich auf all das vorbereiten sollen und warum überhaupt? Es ging rasant vom ersten in den zweiten Gang und immer so weiter. Wir haben alles in vollen Zügen angenommen und durchlebt und das meiste mit Humor genommen. Das war unsere Art mit diesen Ereignissen umzugehen. Es war eine sehr schöne und sehr besondere Zeit für uns.

„Nur Geträumt“, „Leuchtturm“, „99 Luftballons“ – diese Hits sind auch heute noch auf fast jeder Party zu hören. Wie fühlt es sich an, mit diesen unsterblichen, ikonischen Hits verbunden zu sein?

Nena: Bitte nicht „Irgendwie Irgendwo Irgendwann“ vergessen, „Fragezeichen“, „Liebe ist“, „Wunder geschehn“ und so weiter (lacht). Wie das für mich ist? Herrlich ist das. Ich liebe diese Lieder. Und solange ich auf der Bühne bin, wird es kein Nena-Konzert ohne die Luftballons geben.

Du bist bekannt dafür, eine enge Verbindung zu Deinen Fans zu haben. Was ist das Besondere an dieser Verbindung?

Nena: Ist es etwas Besonderes, mit Menschen in Verbindung zu stehen? Ich finde das ganz natürlich. In meinen Konzerten geht das sehr schön durchs gemeinsame Singen. Die meisten haben Lust darauf, andere hören auch gerne einfach nur zu. Jeder wie er möchte. Wenn man miteinander singt, strömt Herzenergie aus, in alle Richtungen und Herzenergie ist Liebe.

Du hast immer Deine Meinung vertreten, bist nicht zurückgewichen, bist dafür aber auch kritisiert worden. Eigentlich ein ganz normaler Vorgang in einer pluralistischen Gesellschaft. Würdest Du wieder so handeln oder hat Dich die teils heftige Kritik überrascht?

Nena: Zeige nicht mit dem Finger auf andere, fang bei dir selber an – aus der Welt komme ich. Vom Sofa aus in vermeintlicher Anonymität zu urteilen, so nach dem Motto „Sieht ja keiner“, ist auch ein Lebenskonzept, aber nicht meins. Ich stehe zu dem, was ich sage, denke, fühle und tue. Das tut mir gut. Manchmal ergeben sich daraus Konsequenzen, die herausfordernd sein können. Das ist es mir wert.

Du gehst jetzt wieder auf große Tour. Auf was können sich die Zuschauer da freuen?

Nena: Wir waren den ganzen Sommer unterwegs mit 24 Konzerte unter freiem Himmel. Jetzt geht es weiter mit dem herbstlichen Teil unserer Tour. Ab Oktober spielen wir in Hallen und ich werde dafür einige Wochen zusammen mit meiner Bandfamilie im Nightliner leben. Ich liebe das und freue mich sehr auf unser nächstes Abenteuer. Freut euch auf eine knackige Rockshow mit vielen lauten und leisen Gänsehaut-Momenten. Wir gehen auf eine Reise durch über 40 Jahre Nena Musik. Ich lade euch herzlich ein, gemeinsam mit uns zu singen, zu tanzen, zu lachen. Lasst uns gerade in dieser herausfordernden Zeit das Leben feiern.

Carlo Karges, der einige Hits wie „99 Luftballons“ mitgeschrieben hat, ist vor über 20 Jahren leider viel zu früh verstorben. Wie erinnerst Du Dich an ihn?

Nena: Carlo war es, der die Vision für die 99 Luftballons hatte, als wir mit der Band 1982 in einem Rolling-Stones-Konzert in Berlin waren und die Stones am Ende der Show Ballons hochsteigen ließen. Der Wind trug sie Richtung Mauer. Und Carlo hat sich bei diesem starken Bild damals die Frage gestellt, was alles passieren könnte, wenn das jemand falsch versteht. Noch in derselben Nacht schrieb er den Text, gab mir am nächsten Tag im Proberaum den handgeschriebenen Zettel und sagte grinsend: „Lies mal.“ Ich las laut vor: „Hast du etwas Zeit für mich, dann singe ich ein Lied für dich…“ Ich war unmittelbar berührt und in dem Moment wusste ich, dass das was Großes wird. Wir wussten es beide. Carlo und ich hatten von Anfang an eine „Das bleibt für immer“-Verbindung, eine, die sich im Herzen bis heute leicht und unkompliziert anfühlt. Seitdem er weitergegangen ist, habe ich meine intensivsten Momente mit ihm in meinen Konzerten. Da ist er oft dabei, das fühle ich. Wenn ich an Carlo denke, seh ich ihn jedes Mal lächeln. Meine Mundwinkel gehen dann auch sofort nach oben, egal in welcher Stimmung ich gerade bin.

Ist es nicht traurig, dass der Text von „99 Luftballons“ 40 Jahre nach Erscheinen immer noch aktuell ist?

Nena: Das Lied ist eine Friedensbotschaft, die von den Menschen bis heute auch so verstanden wird. Ob Lieder die Kraft haben, Frieden zu schaffen, weiß ich nicht, aber Lieder können Brücken bauen. Das können Waffen nicht. „Ich seh die Welt in Trümmern liegen“, so habe ich es früher gesungen, heute ist das für mich nicht mehr stimmig und ich singe: „Ich seh die Welt NOCH NICHT in Trümmern liegen“. Eine neue Zeit ist angebrochen. Die Welt, so wie wir sie kennen, verändert sich komplett. Ich bin voller Dank dafür, auch wenn der Weg, den wir alle gerade gehen, nicht leicht ist. Ich vertraue darauf, dass wir wieder zueinander finden und in diesem krassen Prozess, vor allem auch das Positive erkennen können. Ich bin zutiefst überzeugt, dass das, was hier geschieht, nicht sinnlos ist. Diese Aussage wird den ein oder anderen vielleicht verärgern. Das ist nicht meine Absicht. Ich spreche einfach frei aus, was ich empfinde. Wir gehören zusammen. Alles wird gut!

Nenas Tourdaten gibt es unter www.nena.de/live

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