Christian Olah im Interview

Olympia Breakdance-Experte: "Geld fürs Training – so etwas kannte man bei uns nicht"

07.08.2024, 09.31 Uhr
von Eric Leimann

Bei den Olympischen Spielen in Paris kämpfen am 9. und 10. August B-Boys und B-Girls erstmals um Medaillen. ARD-Experte Christian Olah erklärt, wie aus der Kunstform Breaking eine olympische Disziplin wurde und welche Herausforderungen dies mit sich bringt.

Breakdance bei Olympia

Christian Olah ist Tänzer und Breaking-Aktivist. Für die Olympischen Spiele von Paris engagierte das Erste den 30-Jährigen als Experten. Schließlich kämpfen am 9. und 10. August erstmals in der Geschichte von Olympia B-Boys und B-Girls um Gold, Silber und Bronze. Doch wie funktioniert das Ganze? Lässt sich die Qualität von Kunst messen? Wer sind die Favoriten, wie gut ist die deutsche Szene aufgestellt? Olah erklärt, warum es Breaking und nicht Breakdance heißt, weshalb viele Athleten bis vor kurzem weder Verein noch Trainer hatten und wie lange man diese halsbrecherischen Bewegungen überhaupt ausführen kann.

prisma: Wie übersetzt man eine Kunstform, in der das Wort "Freestyle" großgeschrieben wird, in eine olympische Sportdisziplin?

Christian Olah: Ja, das war gar nicht so einfach (lacht). Ob es gut ist, darüber streitet die Szene. Fest steht aber: Der Wettbewerb, der Competition-Gedanke, ist Teil des Ursprungs vom Breaking. Schon immer wird darüber geurteilt, welcher Tänzer – wir nennen sie B-Boys und B-Girls – der oder die bessere in einem sogenannten Battle war.

prisma: Aber wie wurde Breaking olympisch?

Olah: 2018 fand eine Jugend-Olympiade statt, wo Breaking erstmals im Rahmen der fünf Ringe auftauchte. Dafür haben sich schlaue Köpfe unserer Szene zusammengetan und für ein Jury-System gesorgt, das nun zur Bewertung angewendet wird. Es nennt sich Trivium und funktioniert ein wenig anders als normale sportliche Bewertungssysteme, nämlich holistisch. Man muss Breaken als Ganzes verstehen und kann es nicht komplett logisch in seine einzelnen Bestandteile zerlegen. So funktioniert Kunst eben nicht, selbst wenn sie – wie bei uns – sehr athletisch ist.

"Mittlerweile gibt es eine Art Nationalmannschaft"

prisma: Wie kann man sich dieses Bewertungssystem vorstellen?

Olah: Beim Breaken treten immer zwei B-Boys oder B-Girls gegeneinander in einem Battle an. Jedes Jurymitglied hat eine Art Mischpult, auf dem nach Kriterien wie "Technique", "Execution", "Originality", "Musicality" und "Performance" Crossfader spontan in die ein oder andere Richtung bewegt werden können. Das System misst diese Ausschläge und errechnet ein Ergebnis. Ich würde sagen, in der Szene sind mittlerweile etwas mehr als 50 Prozent für diesen sportlicheren Weg, da er uns mehr Aufmerksamkeit und Fairness durch Transparenz verschafft.

prisma: Aber es gibt auch Nachteile durch den Sport-Gedanken? Welche Kröten mussten Sie schlucken, um olympisch werden zu dürfen?

Olah: Es mussten Strukturen gegründet werden, die es vorher nicht gab. Leute, die zusammen tanzen und rumhängen, nennen sich Crews. Die waren aber nicht immer wie Vereine oder Verbände organisiert. Mittlerweile gibt es auch einen Bundeskader, also eine Art Nationalmannschaft. Auch das war uns natürlich vorher fremd. Wir müssen mit dem DTV, also dem Deutschen Tanzsportverband, zusammenarbeiten – weil Breaking dort eingeordnet wurde. Das Ganze bringt Vorteile wie zum Beispiel Fördergelder für die Künstler. Das kam manchen in dieser sehr freiheitsliebenden Szene ein wenig seltsam vor. Es ist aber durchaus berechtigt und willkommen, wenn man bedenkt, wie viel Zeit wir in unser Training stecken (lacht).

prisma: Lohnt sich denn der ganze Aufwand, nur um zwei Tage mit Breaking im Fernsehen und im Sportschau-Stream zu sein?

Olah: Ja, das ist eine gute Frage. Zumal Breaking für die nächsten Olympischen Spiele 2028 schon wieder gestrichen wurde. Wir hoffen ein bisschen, dass die Performance in Paris so toll wird, dass man über diese Entscheidung noch mal nachdenkt. Immerhin haben wir noch die Jugend-Olympiade 2026. Da wird es auch noch mal Breaking geben. Aber klar, es musste sich einiges ändern für Olympia. Nicht nur die Vereinsgründungen, sondern auch so etwas, dass nun jeder einen Coach benötigt. Auch so etwas war ungewohnt für die B-Boys und B-Girls.

"Wer sich als erster auf den Boden geschmissen hat, kann ich leider nicht genau sagen"

prisma: Also hat sich Breaking durch Olympia klar verändert?

Olah: Ich würde eher sagen, dass sich eine neue Säule entwickelt hat. Es ist wie beim Skateboard. Auch da gibt es nun eine Olympische Richtung, aber auch andere Bewegungen, die damit wenig zu tun haben. Der DOSB, der über die olympischen Fördertöpfe entscheidet, zieht sich nun wahrscheinlich nach und nach zurück vom Breaking. Ist ja nachvollziehbar. Warum sollte man einen Sport fördern, der nicht mehr olympisch ist? Dennoch hat das Geld ein bisschen was in der Szene bewirkt. Man bekam plötzlich Geld für sein Hobby, seine Leidenschaft und konnte sich mit größerer Intensität darauf konzentrieren. Es war für viele eine tolle Sache, die dafür sorgte, dass man künstlerisch und sportlich einen großen Schritt nach vorn machen konnte. Geld fürs Training – so etwas kannte man bei uns nicht.

prisma: Warum heißt es eigentlich Breaking und nicht Breakdance, wie es die Älteren hier in Deutschland noch im Kopf haben?

Olah: Man will sich vom alten Bild aus den 80-ern abgrenzen, als in Deutschland Eisi Gulp tanzte und es vor allem darum ging, wie ein Move aussieht. Damals wurde Breaking einfach als Breakdance vermarktet. Eigentlich ist aber es die Original-Bezeichnung dieser fordernden, sportlichen Kunstform. Durch die Korrektur der Terminologie ist uns eine neue Aufmerksamkeit gelungen. Wir werden ernster genommen!

prisma: Damals, in den 80-ern, hat man diesen etwas merkwürdigen Tanzstil zum ersten Mal gesehen. Wer kam überhaupt auf die Idee, sich so zu bewegen?

Olah: Breaking ist eine fundamentale Säule der HipHop-Kultur. Es war einfach ein Impuls, sich zur Musik des DJs zu bewegen. Er entstand in der Black- und Latino-Community der Bronx in New York. In der Funk Music, aus der HipHop entsprang, sind rhythmische Breaks fester Bestandteil eines Songs. Da gibt es immer einen vom Schlagzeug dominierten Solopart, den Break, in dem die Musik so ein bisschen verrückt spielt. Es geht dabei um Ekstase. Wenn ein Drummer einfach loslegt, dann fließt da eine krasse Art von Energie. Diese Energie haben die Breaker spontan in Bewegungen übersetzt – daher kommt dieser Tanzstil. Wer sich als Erster auf den Boden geschmissen hat und so etwas sauber performen konnte, kann ich leider nicht genau sagen.

"Die Qualifikationswettbewerbe waren ein ziemliches Massaker"

prisma: Wie viele Athletinnen oder Tänzer treten beim olympischen Wettbewerb an?

Olah: Es sind nur 16 B-Girls und 16 B-Boys. Bis zu zwei Tänzer oder Athleten, wie wir nun sagen müssen, können pro Land dabei sein. So kommt es, dass die starken Break-Nationen wie USA oder Japan gleich mit jeweils zwei B-Boys und B-Girls vertreten sind. Die Athletinnen und Athleten stellen sich in einem Eins-gegen-eins gegenüber und tanzen es abwechselnd vor neun Juroren im Rundensystem aus. In der Gruppenphase geht es natürlich darum, diese Runden zu gewinnen, aber auch Votes zu sammeln. Also einzelne Juroren mehr zu überzeugen als der jeweilige Konkurrent in der Runde. Die zwei besten dieser Gruppenphase qualifizieren sich für die Top-8 – und von da ab ist es ein K.O.-System.

prisma: Wer sind die Favoriten?

Olah: Ich denke, man sollte bei den Männern auf jeden Fall die Amerikaner im Blick haben. Aber auch ein Franzose und ein Niederländer sind sehr gut. Der älteste Teilnehmer ist 38 oder 39 Jahre alt und kommt aus Südkorea – ein sehr besonderer, legendärer Tänzer. Bei den B-Girls dominieren die Japanerinnen, sie sind die Top-Favoritinnen. Aber auch eine Niederländerin und eine Amerikanerin könnten überraschen.

prisma: Wie sieht es mit deutschen B-Boys und B-Girls aus?

Olah: Die Qualifikationswettbewerbe waren ein ziemliches Massaker. Die Leistungsdichte ist sehr hoch, und es konnten sich eben nur wenige Tänzerinnen und Tänzer qualifizieren. Unsere Hoffnungsträgerinnen Jilou und Pauline, beide deutsche Meisterinnen, haben es leider ganz knapp nicht geschafft. Man hatte da auch Pech bei der letzten Quali-Runde. Breaking kann stark von der Tagesform abhängig sein. Außerdem weiß man nie, welche Musik gespielt wird.

prisma: Es ist also nicht wie bei einer Eislauf-Kür, wo man die Bewegungen vorher exakt auf die Musik abstimmen und trainieren kann ...

Olah: Nein. Die DJs spielen natürlich Break-lastige Musik und keine Mozart-Sinfonien. Trotzdem sollen beide Athleten die gleiche Chance haben, indem sie sich spontan auf die Musik einstellen müssen. Ohnehin geht es im Breaking viel mehr um Spontanität als bei einer klassischen Tanzkür. Die DJs kommen selbst aus der Szene, oft sind sie auch Produzenten und wissen, wie das Ganze funktioniert.

Die "Dirty Thirties" von damals sind jetzt die "Naughty Forties"

prisma: Gibt es Figuren oder Moves, die von der Jury erwartet werden? Die man draufhaben muss, so wie bestimmte Dreifach- oder Vierfach-Sprünge im Eiskunstlauf?

Olah: Nein, das ist das Schöne am Breaking. Es gibt keine Vorgaben, es zählt nur der Gesamteindruck, der in dieses holistische Bewertungssystem übersetzt wurde. Im Prinzip könnte man den Auftritt so absolvieren, dass man sich einfach nur mit verschränkten Armen hinstellt. Macht natürlich niemand, aber wenn man dies sehr überzeugend gelänge, könnte auch das in die Bewertung einfließen (lacht). Grundsätzlich ist es immer besser, eigen und originell zu sein. Originalität schlägt gut ausgeführte Kopien bekannter Moves. Manche sind Spezialisten in "Footwork", also der Beinarbeit, die man auf allen Vieren ausführt. Dann gibt es "Powermoves", sehr dynamische Bewegungen, wenn man sich zum Beispiel auf dem Kopf dreht oder hoch auf eine Hand springt. Schließlich die "Toprocks", also das oben Tanzen und die "Freezes", das Einrasten von Formen.

prisma: Wie lange kann man diesen Sport ausüben?

Olah: Früher war es mal eine sehr junge Kunstform. Das ändert sich natürlich mit der mehr als 40-jährigen Geschichte des Breakings. Früher, in meinen Teenager-Jahren, gab es die "Dirty Thirties". Das waren die Aktiven über 30, zu denen ich jetzt auch gehöre. Man fand es damals unglaublich, dass die das noch hinkriegen (lacht). Doch die "Dirty Thirties" von damals haben einfach weitergemacht und sind jetzt die "Naughty Forties". Eine Japanerin, die zu den Besten der Szene gehört und sich auch für Olympia qualifiziert hat, ist 42 Jahre alt.

prisma: Aber dann dürfte irgendwann definitiv Schluss sein, oder?

Olah: Es gibt Juroren über 50, Veteranen der Szene, die bei Olympia auch noch mal kurz bei der Vorstellung ihren Style repräsentieren. Wenn man früher mit einer Breaking-Verletzung zum Arzt kam, sagte der Arzt: "Hört auf zu Breaken". Mittlerweile gehen die Breaker zu Ärzten, die selbst in der Szene aktiv waren oder sind – die haben dann die richtigen präventiven Tipps drauf. Es verändert sich gerade viel in der Tanzszene – in Bezug darauf, wie man mit Alter umgeht. Genau das passiert auch beim Breaken.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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