"Tagesthemen"-Moderatorin

Aline Abboud: "Soziale Medien sind gefährlich für das eigene Wohlbefinden"

05.11.2022, 14.36 Uhr
von Eric Leimann

"Tagesthemen"-Moderatorin Aline Abboud stellt sich beim Dialogtag der ARD im Rahmen der Themenwoche "Wir gesucht" den Fragen der Zuschauerinnen und Zuschauer. Wie fühlt es sich an, als junge Frau mit Migrationshintergrund den Deutschen – derzeit viele schlechte – Nachrichten zu überbringen?

Aline Abboud, 34-jährige Journalistin aus Berlin, hat keinen einfachen Job. Als Moderatorin der "Tagesthemen" muss sie seit ihrem Karrieresprung im September 2021 vor allem schlechte bis katastrophale Nachrichten verlesen und dazu Interviews führen. Im Rahmen der ARD-Themenwoche "Wir gesucht – was hält uns zusammen" (6. bis 12. November) findet am Dienstag, 8. November, ein digitaler "Dialogtag" statt, bei dem sich bekannte Gesichter des Ersten wie sie den Fragen ihres Publikums stellen. Für die Tochter einer DDR-Apothekerin und eines libanesischen Fotografen, die 1988 kurz vor der Wende in Ostberlin zur Welt kam, ist der direkte Austausch mit dem Publikum ein besonderes Anliegen. "In der direkten Begegnung liegt unheimlich viel Potenzial", sagt sie. Im Interview spricht die Frau, die sich für "so was von deutsch" hält über ihr Talent zum cool Sein, den schwer zu ertragenden Hass in den sozialen Medien und warum sie sich niemals für ihre Karriere entschuldigen wird.

prisma: Sie engagieren sich in der ARD-Themenwoche "Wir gesucht! Was hält uns zusammen?". Was genau machen Sie da?
Aline Abboud: Ich bin am 8. November bei einem sogenannten "Dialogtag" dabei. Interessierte können da mit mir in Kontakt treten. Egal, ob es um berufliche, persönliche oder sonstige Fragen geht. Ich kann zum Beispiel erzählen, wie meine Arbeit bei den "Tagesthemen" funktioniert, was uns bei den Nachrichten beschäftigt. Es ist das Angebot, einen Blick hinter die Kulissen unseres Jobs zu werfen.

prisma: Haben Sie wegen der vielen schlechten Nachrichten, die Sie derzeit überbringen müssen, das Gefühl, Sie würden die Gesellschaft eher demoralisieren denn stabilisieren?
Aline Abboud: Es ist in der Tat ein Thema, das uns beschäftigt. Natürlich können wir die Nachrichten nicht ändern. Trotzdem kann man zum Beispiel an der Wortwahl arbeiten, um Dinge korrekt zu benennen, aber eben auch nicht zu dramatisieren. Unterschiedliche Worte lösen unterschiedliche Emotionen aus. Wenn ich zum Beispiel "Geflüchtete" sage, erzeugt das ein anderes emotionales Bild als das Wort "Flüchtlinge". An präziser Sprache können wir arbeiten. Und natürlich berichten wir auch über kulturelle oder wissenschaftliche Themen, die viel eher positive Akzente setzen als die notwendige Bearbeitung der Realitäten von Krieg, Pandemie oder Umweltkatastrophen.

prisma: Sie haben vor gut einem Jahr bei den "Tagesthemen" angefangen. Was wollen Sie erreichen, was wäre – in Ihren Augen – eine gute Sendung?
Aline Abboud: Ich möchte den Menschen Zusammenhänge verständlich erklären. Deshalb lege ich Wert auf einfache Sprache. Ich muss mich als Moderatorin immer wieder selbst in Sachverhalte einarbeiten, die teils sehr kompliziert sind. Von manchen Dingen, über die ich in der Sendung ein Interview führe, hatte ich vorher keine fundierte Kenntnis. Wir Nachrichten-Menschen sind keinesfalls allwissend. Wichtig ist das Einarbeiten und Dinge so zu vermitteln, dass keine Verständnishürden aufgebaut werden. Insofern ist eine ideale Sendung die, in der die Zuschauer verstanden haben, was wir ihnen mitteilen wollten.

prisma: Waren Sie sehr nervös, als Sie mit 33 Jahren Ihre erste "Tagesthemen"-Sendung hatten?
Aline Abboud: Natürlich gab es eine gewisse Anspannung vor der Sendung. Aber ich kann nicht sagen, dass ich völlig fertig war. Ich glaube, es ist Typ-Sache. Ich war nie besonders nervös vor der Kamera, obwohl ich keine Moderationsausbildung habe. In der Branche gibt es den Trick, dass man sich beim Blick auf den Teleprompter oder das schwarze Loch der Kamera einfach vorstellt, am anderen Ende säße die eigene Oma, der man etwas erklären möchte (lacht). So schafft man Natürlichkeit in einer – erst mal – unnatürlichen Situation.

prisma: Haben Sie ein Talent zum Coolsein oder wirken Sie nur so, als wären Sie cool?
Aline Abboud: Wirklich cool ist man nie bewusst. Die Frau im Studio, das bin zu einhundert Prozent ich. Ich führe keine Choreografie vor oder verstelle mich. Natürlich habe ich eine etwas andere Körperspannung und Stimme, wenn ich vor der Kamera stehe. Doch im Grunde bin ich nicht anders als sonst. Vielleicht liegt es auch an meiner tiefen Stimme, dass ich ruhiger wirke als andere.

prisma: Ist es ein Unterschied, wie viele Menschen zusehen, wenn man Nachrichten vorliest oder ein wichtiges Interview führt?
Aline Abboud: Für mich ist es kein großer Unterschied. Der Trick mit der Oma klappt wohl ganz gut bei mir (lacht). Als ich beim ZDF anfing, Nachrichten zu verlesen, habe ich gemerkt, dass ich nicht wirklich nervös bin, dass ich mich im Fernsehstudio wohlfühle und mit der Situation gut klarkomme. Es ist wichtig, das zu spüren, sonst sollte man sich besser einen anderen Job suchen. Wenn man sich nur herumquält, kriegen das die Zuschauer auch irgendwie mit.

prisma: Wenn man das Angebot bekommt, "Tagesthemen"-Moderatorin zu werden, wie läuft so etwas ab?
Aline Abboud: In meinem Fall war es so, dass ich einen Anruf des Chefredakteurs von "ARD aktuell" bekommen habe. Er hat gefragt, ob ich mir das vorstellen kann. Ich habe mir Bedenkzeit erbeten, aber auch schnell gemerkt, dass ich es gerne machen will.

prisma: Viele Leute waren überrascht, weil man Sie zuvor vielleicht nicht auf dem Zettel hatte ...
Aline Abboud: Na klar, für einige war ich zu jung oder sonst irgendwie nicht richtig. Aber ganz ehrlich: So jung ist 33 nicht, und ich bin ja bereits etliche Jahre im Job. Es gibt ja das Imposter-Syndrom, bei dem man massive Selbstzweifel hat und sich als Hochstapler fühlt, weil man etwas erreicht hat. Diese Schiene werde ich nicht bedienen. Natürlich hatte ich Glück, Zufälle spielen im Leben immer eine wichtige Rolle. Trotzdem habe ich viel und hart dafür gearbeitet, um da zu sein, wo ich jetzt bin. Es hat Gründe, wenn Leute denken: Die kann das!

prisma: Wie hat sich Ihr Leben im letzten Jahr verändert?
Aline Abboud: Ein wichtiger Unterschied ist, dass ich nicht mehr nach Mainz, sondern nach Hamburg pendele, was von Berlin aus deutlich kürzer ist. Das ist sehr angenehm und erspart mir eine Menge Stress. Natürlich bekomme ich auch mehr Aufmerksamkeit als Person – sowohl positive wie auch negative.

prisma: Wie sieht die "negative Aufmerksamkeit" aus?
Aline Abboud: Ich werde mit Hetze und Hass konfrontiert. Das hatte ich zwar schon beim ZDF, aber es ist mehr geworden. Wenn man eine Frau ist, Migrationshintergrund hat und beim Öffentlich-Rechtlichen arbeitet, muss man eigentlich gar nichts mehr machen, um zur Zielscheibe zu werden.

prisma: Wo findet die Hetze gegen Sie statt?
Aline Abboud: Vor allem in den Sozialen Medien. Natürlich gibt es auch immer noch klassische Zuschauerpost und Mails, aber das wird meistens an anderer Stelle abgefangen, nehme ich an. Auf Twitter oder Instagram ist es anders. Da steht man persönlich gerade und muss sich tatsächlich schützen. Es nutzt auch nichts, wenn auf zehn nette Kommentare ein einziger Hass-Kommentar folgt. Am Ende des Tages denkt man nur über das negative Feedback nach. So sind wir Menschen gestrickt. Deshalb sind Soziale Medien auch so gefährlich für das eigene Wohlbefinden.

prisma: Wie gehen Sie mit dieser Erkenntnis um?
Aline Abboud: Ich halte mich beim Konsum zurück und poste eher lustige, aufmunternde Dinge. Gerade Twitter empfinde ich als sehr anstrengendes Medium. Da schaue oder poste ich dann lieber Hundevideos statt in stressige Debatten einzusteigen. Ich verstehe auch nicht, warum viele Kollegen gegen andere Medienmenschen schreiben, denn das hilft keinem weiter und sorgt eher für noch mehr Spaltung in der Gesellschaft, womit wir wieder bei der Themenwoche wären.

prisma: Sollte man Kritik unter Kollegen bleiben lassen?
Aline Abboud: Nein, nein – man darf kritisieren, aber sollte sachlich bleiben. Ich mag es nicht, wenn Menschen persönlich angegangen werden, was leider weit verbreitet ist. Ich finde, Kritik muss professionell und respektvoll bleiben. Nur dann erreicht sie etwas Positives. Ich mag es sehr, mit Menschen in Dialog zu treten, nur sollte er eben beidseitig respektvoll sein. Ich kann zum Beispiel nicht darüber diskutieren, ob ich Ausländerin bin, denn ich bin so was von deutsch, dass sich diese Frage einfach nicht stellt.

prisma: Was müsste passieren, damit wir wieder einen größeren Zusammenhalt in der Gesellschaft haben und ein "wir" finden?
Aline Abboud: Wir müssen mehr Dialog führen und das auf Augenhöhe. Es ist natürlich schwierig, wenn man Nachrichtenredakteurin ist und bei der Arbeit in ein schwarzes Kameraloch blickt. Deshalb glaube ich, wir sollten aus den Dialogtagen eher Dialogwochen oder noch besser Monate machen. Wir müssen uns regelmäßig miteinander treffen und unterhalten. Über persönliche Gespräche lassen sich viele Hürden, Stereotype und Vorurteile überwinden, weil die Menschen so andere Lebenswelten kennenlernen. In der direkten Begegnung liegt unheimlich viel Potenzial.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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