Kaminer in Neuschwanstein

Das Schloss eines Tagträumers

23.08.2021, 07.35 Uhr
von Sarah Schneidereit
Der Schriftsteller durfte Neuschwanstein fast allein besichtigen.
Der Schriftsteller durfte Neuschwanstein fast allein besichtigen.  Fotoquelle:  ZDF & Nadja Kölling

Wladimir Kaminer begibt sich für das 3sat-Format "Kaminer Inside" auf die Spuren des Märchenkönigs und erkundet Schloss Neuschwanstein. Wir haben mit ihm über seine Entdeckungstour gesprochen.

Sie haben Dramaturgie studiert, sind als Schriftsteller erfolgreich und kein klassischer Historiker. Wie sind Sie zu "Kaminer Inside" gekommen?

Das war nicht meine Idee, sondern die des Senders. Für so ein Format braucht man einen Fachfremden, der einen frischen Blick mitbringt. Ich war schon immer ein Fremder. Damals in der Sowjetunion war ich wegen meiner jüdischen Abstammung nie ganz zugehörig, und auch in Deutschland war ich dann als Fremder unterwegs. Ich mag es besonders, wenn ich zu einer Sache, mit der ich mich nicht auskenne, meine Expertise dazugeben kann.

Ist das nicht ein Widerspruch? Expertise, obwohl man sich nicht auskennt …

Ich versuche, ohne Vorurteile und mit einem frischen Blick die Dinge zu erfassen und neu über sie nachzudenken. Ein gutes Beispiel, dass das funktioniert, ist ein Schachcomputer. Es gibt einen, der mehr als 100.000 Partien der besten Spieler gespeichert hat. Und dennoch verliert er gegen einen anderen Schachcomputer, der mit einem anderen Algorithmus arbeitet und dem nur die Spielregeln beigebracht wurden.

Haben Sie in der Schule das Fach Geschichte gemocht?

Literatur, Geschichte und Musik – das waren die drei Fächer, in denen ich am besten war. Geschichte ist davon das interessanteste. Menschen produzieren nichts Gescheiteres als Geschichten. Alles andere vergeht: Gebäude werden zu Staub, Autos zu Schrott …

Interessieren Sie sich für eine spezielle Epoche?

Nicht direkt, ich finde Geschichten an sich spannend. Schloss Neuschwanstein sticht insofern heraus, da es keine historischen Wurzeln hat. Es hat nichts direkt mit Deutschland zu tun, sondern ist vielmehr ein Drama, eine Tragödie eines träumenden Königs – das Schloss eines Tagträumers. Schon allein seine Lage ist so besonders – hoch oben auf dem Berg und nicht von allen Seiten zu sehen. Es wirkt wie von Außerirdischen zurückgelassen. Als hätten sie ein Stück Schoko-Obst-Torte auf die Welt geworfen.

Was gefällt Ihnen an dem Schloss?

Dass es keinen Nutzen hat. Nehmen wir als Beispiel den Kölner Dom. Er wurde wahrscheinlich so groß und prächtig gebaut, damit Gott ihn auch vom Himmel aus sieht. Das Brandenburger Tor steht für die preußische Herrschaft, die goldene Else für den Sieg über die Franzosen. Schloss Neuschwanstein hingegen steht im Kontrast zur deutschen Bodenständigkeit. Der König hat sich damals ein Denkmal gesetzt.

Haben Sie vor "Kaminer Inside" schon mal Schloss Neuschwanstein besucht?

Nein, so wie wahrscheinlich ganz viele Deutsche auch. Aber ich kannte es von einem Puzzle meiner Kinder. Es wurde aber nie fertiggestellt, da unsere Katze ein paar der Teile gefressen hat.

Was war Ihr Eindruck vor Ort?

Es war beeindruckend. Vor allem war ich nahezu allein in den Gemächern des Königs. Der letzte, der da vor mir mit so wenigen Menschen war, war der König persönlich. Ich hatte nur zwei Kameraleute und eine Regisseurin dabei. Natürlich waren auch noch verschiedene Restaurateure vor Ort, die aktuell noch Arbeiten durchführen. Ich habe sogar beim Ab- und Auseinandernehmen der Kronleuchter helfen dürfen. Ich denke, der König wäre mit alldem sehr zufrieden.

Wieso das?

Schloss Neuschwanstein wurde nie ganz zu Ende gebaut, dabei wollte Ludwig II. immer ein vollkommenes, perfektes Schloss haben.

Gibt es ein Detail, das Ihnen besonders gefallen hat?

Obwohl es nach außen hin so prunkvoll ist, lebte der König selbst recht bescheiden. In seinem Gemach steht ein recht kleines Bett. Und er hatte die erste automatische Klospülung Europas. Was recht seltsam ist: In der Küche stehen 30 bis 40 Töpfe. Ich meine – was will ein König mit so vielen Töpfen?

Welches Schloss oder welches andere historische Gebäude würden Sie gerne auf eine ähnliche Weise kennenlernen?

Natürlich gibt es unzählige weitere Schlösser in Europa. Aber ich würde sagen, dass keins davon an Neuschwanstein herankommt. Ich reise sehr oft und stoße dabei auf viele Geschichten. Mal sehen, welche davon sich für einen Film eignen könnte.

TV-TIPP

  • "Kaminer Inside: Schloss Neuschwanstein"
  • Samstag, 28. August 2021, 20.15 Uhr
  • 3sat

Über Neuschwanstein: Touristenattraktion mit Weltruf

Als der sogenannte Märchenkönig Ludwig II. von Bayern die Neue Burg Hohenschwangau plante, schrieb er in einem Brief an Richard Wagner von einem Schloss "im echten Styl der alten deutschen Ritterburgen". Und genau solch eine mittelalterliche Anlage der Extraklasse erwartet die Besucher bei Füssen im Allgäu. Vor der Pandemie kamen um die 1,5 Millionen Gäste jährlich, um das Prunkschloss zu besichtigen. Mittlerweile ist es wieder für Führungen geöffnet. Die Kapazitäten sind jedoch reduziert, und laut Ticketanbieter kann es zu erheblichen Wartezeiten kommen. Der Eintritt kostet 15,50 Euro für Erwachsene, Kinder bis 17 Jahre zahlen 2,50 Euro. Eintrittskarten für Schloss Neuschwanstein gibt es ausschließlich online. www.hohenschwangau.de

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