"Boom! Boom! The World vs. Boris Becker"

Neue TV-Doku über Boris Becker: Die Tennis-Legende aus internationaler Perspektive

05.04.2023, 17.24 Uhr
von Eric Leimann

Schon oft wurde die Geschichte von Boris Becker vor die Kamera gebracht. Doch die neue Apple TV+ Doku "Boom! Boom! The World vs. Boris Becker" beleuchtet die Tennis-Legende aus einer internationalen Perspektive. Dafür begleitete der Oscar-Preisträger und Dokumentarfilmer Alex Gibney den Sportstar über drei Jahre lang und konnte für seinen Film tolle Gesprächspartner gewinnen (ab Freitag, 7.4. Apple TV+).

Über Boris Becker, den Deutschland am 7. Juli 1985 im Alter von 17 Jahren adoptierte, wie es im Film des amerikanischen Oscar-Preisträgers Alex Gibney heißt, gibt es bereits mehrere Filme. Leider kennt man vor allem jene aus Deutschland. Zum Beispiel eine Edel-Doku der ARD zum 50. Geburtstag ("Boris – Der Spieler") oder das RTL-Biopic "Der Rebell" (2021). Nicht, dass diese Filme schlecht wären, doch sie zeigen eben eine deutsche Perspektive auf jenen Mann, der eben mehr als nur deutsch ist. Boris Becker ist einer der faszinierendsten und schillerndsten Sportstars aller Zeiten, das machen die beiden "Triumph" und "Desaster" benannten Teile der Doku ""Boom! Boom! The World vs. Boris Becker", die ab Karfreitag bei Apple TV+ zu sehen sind, deutlich: Boris Becker gewann an jenem 7. Juli 1985 als erster ungesetzter Spieler, als erster Deutscher und als bis heute jüngster männlicher Spieler das Finale des wichtigsten Tennisturniers der Welt: Wimbledon. In der ganzen Welt kannte man sein Gesicht, spürte seine Aura und seinen besonderen Charme, und man schätzte seine spektakuläre Spielweise.

Steuerskandal und Haftzeit

Natürlich muss der 69-jährige Alex Gibney (Dokumentarfilm-Oscar 2008 für "Taxi zur Hölle") auch den Steuerskandal und die Haftzeit Boris Beckers in seinem Film erzählen. Tatsächlich führte er sein letztes Interview mit dem in einer Szene weinenden Protagonisten zwei Tage vor der Londoner Urteilsverkündigung. Doch obwohl die Geschichte und Details des in finanzielle Schieflage geratenen Ex-Multimillionärs in übersichtliche 20 oder 25 Minuten verpackt werden, ein Großteil des Films beschäftigt sich mit anderen Fragen. Mit der Psychologie des Tennissports als Allegorie des Kampfes Mann gegen Mann. Einem Sport, in dem alle physisch-martialischen, aber auch psychologischen Register gezogen werden.

Dass dabei Musik aus Western-Klassikern die Spielszenen untermalt und Kombattanten wie John McEnroe, Björn Borg, Mats Wilander oder Novak Đoković, den Becker trainierte, eben auch wie Westernhelden auf Kinoplakaten eingeblendet werden, hört sich beim Lesen vielleicht etwas albern an. Im Film selbst erzielt es zusammen mit den spektakulären Spielszenen jedoch seine Wirkung. "Boom! Boom! The World vs. Boris Becker" zeigt nicht nur großes Tennis, der Film erklärt "großes Tennis" auch so gut, wie es vielleicht noch nie erklärt wurde.

Treffer und Fehlschläge

"Tennis ist ein binäres Spiel", heißt es an einer Stelle in Gibneys Off-Kommntar. "Treffer und Fehlschläge. Einsen und Nullen. Auf dem Platz wusste Boris mit den Zahlen perfekt umzugehen. Außerhalb des Platzes konnte er sich auf sie keinen Reim machen." Natürlich wird an dieser Stelle auf Boris Beckers Problem mit dem Geld verwiesen.

Ex-Manager Ion Țiriac, noch so ein großartiger, charismatischer Gesprächspartner – wie übrigens auch Beckers Ex-Frau Barbara -; ist mittlerweile 83 Jahre alt. Sein Vermögen wird auf zwei Milliarden Dollar geschätzt. Er, der Becker wohlwollend gegenübersteht, vielleicht weil man sich schon vor Jahrzehnten trennte, sagt im Film: "Hätte Boris sein Vermögen zur Bank gebracht und es mit zwei Prozent verzinst, hätte er sich nie mehr Sorgen machen müssen." Doch Boris wollte leben, wie er gespielt hatte: mit grenzenloser Power, schmerzhaften Becker Hechten auf harte Böden (was außer ihm niemand gemacht hat) oder der Spekulation auf Netzroller.

"Der Luxus war einfach da"

Tiriac erzählt im Film, wie er Boris als blutjungem Erfolgsspieler beibrachte, keine Kreditkarte bei sich zu tragen und auch kein Bargeld in der Tasche zu haben. "Weil die Leute alle von ihm profitieren wollten: "Boris selbst hingegen kann sich als aktiver Spieler nicht daran erinnern, einmal in seiner Karriere zu einem Bankautomaten gegangen zu sein. Der Luxus war einfach da. Man bezahlte mit seinem "guten Namen".

Warum er bankrott gegangen sei, will Alex Gibney im letzten Gespräch mit Becker zwei Tage vor dessen Verurteilung wissen. Eine einfache Frage. "Eine gute Frage", sagt Boris. "Tatsächlich wurde sie mir bisher kaum gestellt" – man wundert sich. Danach kommt aus Beckers Mund die (längst bekannte) Erkenntnis, dass viele Sportstars nach dem Ende ihrer Karriere den Lebensstil nicht rechtzeitig an die neuen Gegebenheiten anpassen würden. Dazu kommen bei ihm großzügige Deals, teure Scheidungen und viel Unterhalt, falsche Freunde, schlechte Geschäftsmodelle. Eigentlich langweiliger Niedergangs-Kram, der jedoch im zweiten Filmteil "Desaster" noch mal sauber und transparent in allen Schritten erzählt wird.

Der ewige Kampf mit den Dämonen

Noch besser denn als Investigativ-Film ist Alex Gibneys "Boom! Boom! The World vs. Boris Becker" als psychologischer Sportfilm. Bevor die Tennisspieler in Wimbledon den Centre-Court betreten, natürlich wurde auch hier viel gedreht, müssen sie unter einem Schriftzug hindurch, der lautet: "If you can meet with triumph and desaster / and treat those two imposters just the same". Auf deutsch: "Wenn du Triumph und Unglück aushältst / Und beide Schwindler gleich behandeln kannst." Die Zeilen stammen aus Rudyard Kiplings 1895 veröffentlichtem Gedicht "If".

Boris Becker war zu seiner aktiven Zeit ein Star auf dem Niveau Michael Jacksons oder Madonnas. Auch das macht dieser "internationale" Film klar. Er war und ist aber auch ein Star, der sein Leben lang – bis heute – mit den Dämonen Sieg und Niederlage zu kämpfen hat.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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