Düsteres Szenario in ZDF-Talkrunde

Experten bei "Markus Lanz" über die Zukunft mit KI: "Wir reden von einer neuen Art von Religion"

05.04.2023, 13.00 Uhr
von Natascha Wittmann

In den letzten Jahren war es bereits eine Sisyphus-Aufgabe, gegen die Verbreitung von Fakenews vorzugehen. Doch das alles scheint noch gar nichts gewesen zu sein, wenn man die Zukunft mit KI betrachtet. Die künstliche Intelligenz war auch Thema in der ZDF-Talkrunde von Markus Lanz. Experten warnen, vor einer Technologie, die unsere Gesellschaft verändern wird, wenn jeder "glauben kann, was er will" und man nicht mehr zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden kann. 

Aufzuhalten ist der Siegeszug der Künstlichen Intelligenz wohl nicht mehr. Seit der Chatbot ChatGPT vorgestellt wurde, bekommen immer mehr Menschen eine Ahnung davon, wie tiefgreifend die technologische Revolution ausfallen könnte. Experten schlagen schon jetzt Alarm. Tech-Giganten wie Apple-Mitgründer Steve Wozniak und Tesla-Boss Elon Musk warnten vor Kurzem öffentlich vor einem drohenden Kontrollverlust "über unsere Zivilisation" durch Künstliche Intelligenz. Auch bei "Markus Lanz" diskutierten die Gäste am Dienstagabend angeregt über die neuste Entwicklung, die damit einhergehende Veränderung unseres Wahrheitsempfindens.

Chance auf mündige Bürger verpasst?

ZDF-Korrespondent Johannes Hano stellte aus New York zugeschaltet klar: "Bildung ist für mich da das ganz zentrale Element. Da müssen wir ansetzen. Ich glaube, wir müssen Leute zu selbstbewussten Individuen machen." Investigativ-Reporter Florian Flade blickt mit Sorge auf das Thema Fake News: "Der Spruch 'Irgendwas bleibt immer hängen' – das stimmt schon zum Teil. Es geht ein erhebliches Risiko mit KI einher. Mir machen da vor allem die kleineren Geschichten Sorge, die man nicht so schnell entlarven kann."

IT-Experte und Hacker Linus Neumann stimmte dem zu und ergänzte: "Ich glaube, wir haben es hier mehr mit einem gesellschaftlichen als mit einem technischen Phänomen zu tun. Ich fürchte, wir haben das in Deutschland zu lange nicht gepflegt, uns mithilfe der Bildung zu mündigen Menschen zu machen."

"In den USA kommen die Medien ihrer Aufgabe nicht mehr nach"

Besonders die kürzliche Anklage des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump und dessen Auftritt vor einem New Yorker Gericht am Dienstag sorgte bei "Markus Lanz" für gemischte Gefühle. ZDF-Korrespondent Johannes Hano sagte dazu nüchtern: "Dieser Prozess ist ein historisches Novum, aber ich glaube nicht, dass das Donald Trump schaden wird. Er wird trotzdem in der Lage dazu sein, seine Anhänger mit dem Verfahren aufzuheizen."

Eine Prognose, die auch Journalist Martin Knobbe mit Sorge erfüllte: "Das Business-Modell Trump funktioniert. Ich glaube, das wird jetzt noch mal aufflackern. Die Umfragen liegen gerade ganz gut für ihn." Der Hauptstadtbüroleiter des "Spiegel" weiter: "Was wir in den USA sehen, ist auch eine Krise der Medien. In den USA kommen die Medien ihrer Aufgabe nicht mehr nach."

Dies brachte Markus Lanz wieder zum eigentlichen Thema der Sendung: dem immer extremer werdenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz und den damit einhergehenden Gefahren. Der ZDF-Moderator wollte wissen: "Gibt es mittlerweile in den USA die Debatte darüber, wie man Fake News verhindern kann und wieder einen unabhängigen Journalismus etabliert?" Johannes Hano antwortete prompt: "Diese Debatte hat es während der Amtszeit von Donald Trump gegeben. Es gibt aber im Moment keine direkte Debatte darüber, was man im Bereich 'Artificial Intelligence' verändern muss."

Knobbe fordert schnellere Reaktion auf Fake und Hacker

Martin Knobbe sagte dazu am Dienstagabend: "Was ich erschreckend finde, ist, dass unsere Reaktion schon sehr lange dauert. Die Überlegung, wie wir auf Desinformation oder Hacker reagieren, dauert viel zu lange. Darauf müssen wir als wehrhafte Demokratie viel härter reagieren." Linus Neumann warnte in dem Zusammenhang jedoch davor, zu stark auf die Problemlösungsbereitschaft der Politik zu vertauen: "Es gibt ja politische Akteure, die Fake News gezielt vorantreiben."

Eine Aussage, der Markus Lanz voll und ganz zustimmte und Beispiele in aktueller russischer Propaganda lieferte. Dazu erwähnte er das jüngste Deepfake-Gespräch zwischen Franziska Giffey und einem falschen Vitali Klitschko, das landesweit für Verblüffung gesorgt hatte. Der ZDF-Moderator fragte in die Runde: "Wir waren bei gefälschten Texten, jetzt sind wir bei gefälschten Bildern und Fake-Interviews. Die Frage ist, wo hört das auf? Wann wird der Moment gekommen sein, an dem wir den Unterschied nicht mehr sehen?"

Während Johannes Hano auf den gesunden Menschenverstand vertraut, mahnte Investigativ-Reporter Florian Flade: "Gesunder Menschenverstand - damit fahren wir oft gut, aber manchmal eben auch nicht. Gesunder Menschenverstand hat in unserer Branche schon für ganz schlimme Dinge gesorgt. Es hat ja auch damit zu tun, ob ich das glauben will, was ich da sehe. Das wird immer schwieriger."

Menschen, die in Alternativwelten abdriften

IT-Experte Linus Neumann stellte daraufhin klar: "Es wird keine technischen Lösungen geben, die in der Lage sein werden, zu sagen, ob es Situationen wirklich gegeben hat oder ob sie aus einem Computer entstanden sind." Neumann ergänzte: "Bei der Masse wird der Aufwand der Überprüfung auch einfach irgendwann zu viel. Mit dem Gedanken müssen wir uns als Gesellschaft anfreunden. Ich sehe eine riesige Herausforderung, und in der Masse kann das echt schlimm sein."

Der IT-Experte und Hacker weiter: "Wenn wir in einer Welt leben, in der Donald Trump mit 34 Anklagepunkten vor Gericht steht und Menschen schon daran nicht glauben, haben wir doch bereits eine viel schlimmere Krise. Ich mache mir größere Sorgen darüber, was das mit einer Gesellschaft macht, die auf einmal glauben kann, was sie will."

Reporter Florian Flade stimmte nicht nur zu, er warnte bei "Markus Lanz" auch abschließend: "Wir reden hier von einer neuen Art von Religion. Ich glaube, da rutscht ein Teil der Gesellschaft ab. Es gibt ja Menschen, die bewusst in Alternativwelten leben wollen. Uns fehlen da aber die Instrumente, dem entgegenzusteuern. Das ist eine sehr, sehr brisante Entwicklung."


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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