Die rauen Sechziger
"Hildejaad" darf aufs Gymnasium: Doch in den frühen 60-ern ist das für die Tochter von einfachen Arbeitern nicht das Ende, sondern vor allem der Anfang vieler Probleme.
"Wenn de Mädche Flause im Kopf hat, laufe de Kerls fort." Die Weltordnung der Großmutter (Barbara Nüsse) ist einfach, aber weit verbreitet in den 60er-Jahren in Deutschland. Ein gutes katholisches Mädchen muss kochen können, den Haushalt führen und für ihren Mann sorgen. Sie braucht auf jeden Fall nicht aufs Gymnasium zu gehen, geschweige denn studieren. Doch genau das ist es, was Hilla (Anna Fischer) möchte – sie will die Universität in Köln besuchen, trotz aller Steine, die ihr in den Weg gelegt werden.
Beim Kostümfilm "Aufbruch" (Erstauasstrahlung 2016) wird das Publikum gefordert. Nicht etwa, weil die Handlung zu kompliziert ist, um sie auf Anhieb zu verstehen, sondern eher, weil die meisten Figuren sprechen, wie ihnen eben der Schnabel gewachsen ist, dort, zwischen Düsseldorf und Köln. Doch man kann sich hineinhören in die dortige Mundart, und das lohnt sich. So ist das Publikum nah dran an der Armut, der Mentalität und den Emotionen der Figuren.
Raus aus dem ärmlichen Haus, rein in die Katastrophe
Eines hat Hilla bereits geschafft: Sie darf das Aufbaugymnasium besuchen und Abitur machen, da die Pfarrei ihr Schulgeld bezahlt. Worüber heute jedes Helikopter-Elternpaar frohlocken würde, sind Hillas Vater (Ulrich Noethen) und ihre Mutter (eindrucksvoll: Margarita Broich) eher weniger begeistert. Skeptisch beäugen der einfache Arbeiter, die Putzfrau und die im Haushalt helfende Großmutter, dass das Kind nur noch Hochdeutsch spricht, die meiste Zeit im Buchladen verbringt und sogar Nachhilfestunden für Mathematik besucht. Was soll aus dem Kind mit all "ihren Flausen" nur mal werden?
Hilla will vor allem eines, raus aus dem ärmlichen Haus, dahin, wo sie mit Gleichgesinnten verkehren darf. In einer Buchhandlung lernt sie Godehard van Keuken (Daniel Sträßer), von Beruf Geologe und Erbe, kennen. Die beiden sind bald schon Freund und Freundin und Godehard öffnet ihr ganz Aschenputtel-mäßig die Tür zu einer anderen Welt. Eines Abends kommt es für Hilla aber zu einer Katastrophe ...
Fortsetzung von "Teufelsbraten"
Die Degeto-Produktion "Aufbruch" basiert auf dem gleichnamigen Roman von Ulla Hahn. Der Film erzählt von dem Kampf der Hilla Palm, als Frau ein Recht auf Bildung und Selbstverwirklichung zu bekommen – eben von einem Aufbruch in eine neue Zeit. Der Kostümfilm ist die Fortsetzung des Zweiteilers "Teufelsbraten", der nach dem ebenfalls autobiografischen Roman "Das verborgene Wort" im Jahr 2007 ausgestrahlt und unter anderem mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde.
Ganz so brillant wie der Vorgänger ist der Nachfolge Film indes nicht, Anna Fischer schafft es nicht wirklich, das Publikum für Hilla zu erwärmen. Es lohnt sich trotzdem einzuschalten und in diese andere, von heute aus betrachtet, so ferne Welt einzutauchen. Gerade der deutliche Gegensatz zwischen dem Leben der Arbeiter und dem der gehobenen Klasse, das "Hildejaad" allmählich kennenlernt, berührt auf eigenartige Weise. Wohl, weil man sich heute schlichtweg nicht vorstellen kann, wie wenig manche damals tatsächlich hatten. Regisseurin Hermine Huntgeburth: "Ich denke, man muss immer wieder daran erinnern, wie schwierig es ist, sich nach oben zu arbeiten. Und das machen wir mit unserem Film."
Aufbruch – Mi. 16.08. – ARD: 20.15 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH