Bei "Hart aber fair"

Dachdecker empört über Erhöhung des Bürgergelds: "Die arbeitende Bevölkerung kommt sich veräppelt vor"

14.11.2023, 08.36 Uhr
von Doris Neubauer

Lohnt sich Arbeiten überhaupt noch? Das Bürgergeld soll deutlich erhöht werden, während der Mindestlohn nur langsam steigt. Über das Thema diskutierten am Montagabend Moderator Louis Klamroth mit Experten wie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil.

"Was sagen Sie Ihren Mitarbeitenden: Lohnt sich Arbeit noch?": Hendrik Ambrus, Geschäftsführer eines Dachdeckerbetriebs, kam bei dieser Frage von "Hart aber fair"-Moderator Louis Klamroth am Montagabend sichtlich ins Stocken. "Es ist eine schwierige Sache", gestand er. "Die arbeitende Bevölkerung kommt sich veräppelt vor." Grund dafür sei die Erhöhung des Bürgergelds, das ab 1. Januar 2024 für Alleinverdienende um zwölf Prozent steigt, während der Mindestlohn sich bloß um 3.4 Prozent erhöht.

"Es ist immer günstiger, arbeiten zu gehen, das muss es auch sein"

Seine 34 Arbeiter und Angestellten entlohnt der Unternehmer besser: "Wenn ich Mindestlohn zahlen würde, hätte ich keine Mitarbeiter in der Firma", meinte er. Dieses Schicksal könnte anderen Unternehmen drohen, berichtete Ronja Ebeling (Journalistin, Autorin "Work Reloaded"). Innerhalb von neun Monaten hätte ein Bäckereifachwerksbetrieb wegen der Anhebung des Bürgergelds fünf Kündigungen erhalten. "Für viele Leute im Mittelstand lohnt sich Arbeit nicht", erklärte sie, "oder es ist wichtiger, Zeit mit der Familie zu verbringen".

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) konnte diese Reaktion nicht nachvollziehen: "Jemand, der so bescheuert ist, wegen des Bürgergelds zu kündigen, kriegt erstmal kein Bürgergeld, sondern eine Sperre beim Arbeitslosengeld", kritisierte er. Das Bürgergeld wäre kein bedingungsloses Grundentgelt, sondern diene zur Existenzsicherung. Sich darauf zu verlassen, hätte negative Folgen für den Rentenbezug. "Es ist immer günstiger, arbeiten zu gehen, das muss es auch sein", bekräftigte Prof. Michael Hüther (Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft).

"Haben Sie sich über den Tisch ziehen lassen?"

Allerdings wäre ein Lohnabstand von 2,48 Euro pro Stunde, wie er ab 2024 für einige der Fall sein könnte, kaum Arbeitsanreiz. Aufgrund der mit dem Bürgergeld verbundenen bargeldlosen Sonderleistungen entstünde eine Schieflage. Das läge vor allem daran, dass die Erhöhung des Mindestlohns zu niedrig ausgefallen wäre, meinte Heil. Den Vorwurf von Hüther, dass die Regierung interveniert und so einen Konsens verhindert hätte, ließ er hingegen nicht auf sich sitzen. Andernfalls wäre der Lohnabstand noch geringer ausgefallen, spielte Heil den Ball weiter an die Sozialpartnerschaft: "Diese Lohnfindung ist keine Aufgabe des Gesetzgebers, sondern der Mindestlohnkomission."

Mit Christiane Benner saß eine Vertreterin eben dieser ebenfalls auf dem Podium: Geschont wurde die neue Vorsitzende der IG Metall und erste Frau in der Position nicht: "Haben Sie sich über den Tisch ziehen lassen?", stellte Moderator Klamroth eine provokante Frage. Der Mindestlohn wäre eine Notlösung, von denen acht Millionen Menschen profitiert hätten, wich sie aus. Ziel sei, mit mehr Unternehmen Tarifverträge abzuschließen, ein besseres Einkommen, Kaufkraft und somit soziale Gerechtigkeit zu schaffen.

Die Tarifverhandlungen in der Stahlindustrie hatte die IG Metall an eben diesem Montag gestartet. Gefordert werden eine 32.5 Stunden-Woche und ein Lohnplus von 8.5 Prozent. Für Christiane Benner sollte das einerseits das Image der Industrie verbessern, andererseits die durch umweltbedingten Technologiesprünge erwarteten Rationalisierungseffekte der Branche ab 2026 abfedern. Würde die Forderung durchgesetzt, entspräche das laut Klamroth einem "sehr sportlichen" Lohnplus von 17 Prozent.

Die Vorteile einer 4-Tage-Woche

Den Vorwurf der Arbeitgeberseite wies Benner zurück. Die Reduktion von 35 auf 32.5 Wochenstunden würde "nicht ab 1.1. nächsten Jahres schlagartig, sondern sukzessive und sehr vernünftig" erfolgen, argumentierte sie mit einer Flexibilität, die die Kumpels in der Corona-Pandemie bewiesen hätten. Als "Ausgleich dafür" wollte Benner die Kürzung der Arbeitszeit bei erhöhtem Lohn aber nicht verstanden wissen. Auch als Klamroth einwarf, dass die Wegrationalisierung und das Gewinnen neuer Arbeitskräfte ein Widerspruch wären, ging sie nicht darauf ein. Mit "selbstbestimmter Arbeitszeit kann die Industrie attraktiver" werden, betonte sie hingegen – insbesondere für junge Menschen und Frauen, die ungewollt in Teilzeitpositionen steckten.

Tatsächlich hätte das Modell einer 4-Tage-Woche bei mittelständischen Unternehmen, die es ausprobierten, einen Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt geschaffen. Das berichtete Ronja Ebeling aus Ihrer Beratungs-Erfahrung. Auch weniger Krankmeldungen wurden verzeichnet. Was für einzelne Unternehmen funktioniert, sollte aber nicht als allgemeine Regel umgesetzt werden. Eine generelle Kürzung der Arbeitszeit von 20 Prozent "gehe sich volkswirtschaftlich nicht aus", warnte Wirtschaftsexperte Hüther.

Für sich selbst konnte er sich eine verkürzte Arbeitszeit genauso wenig vorstellen wie die anderen Diskussionsteilnehmenden ("Ich habe Verantwortung für 400 Beschäftigte", meinte er, Heil entgegnete: "Ich für 80 Millionen Deutsche, ich kenne das."). Auch das Ergebnis einer Untersuchung der Hans-Boeckler-Stiftung im Mai ließ an der Umsetzbarkeit einer Arbeitszeitreduktion auf 32 Wochenstunden zweifeln: Knapp 74 Prozent der Vollzeitbeschäftigten wären dafür – vorausgesetzt, der Lohn bliebe gleich. "Es wundert mich, dass es nicht 100 Prozent sind", konnte sich Klamroth einen trockenen Kommentar nicht verkneifen.

Hubertus Heil: "Die Deutschen sind kein faules Volk"

Gelächter hingegen erntete ein TikTok-Video, in dem eine junge Frau den "größten Nervenzusammenbruch" im Bewerbungsprozess schilderte und endete: "Lass mich in Ruhe mit deinem 36.000 Euro und scheiß auf frisches Obst im Büro!" Dieses Video wollte Heil nicht als Bestätigung des "Schablonenklischees" der arbeitsunwilligen Jungen gewertet wissen. Vielmehr betonte er, dass die Generation auch eine Chance wäre, den Arbeitskräfte- und Facharbeitermangel zu bewältigen.

"Uns gehen Menschen durch die Lappen, die arbeitsfähig sind. 1.6 Millionen Menschen sind ohne berufliche Erstausbildung", erläuterte der Bundesarbeitsminister. Neben Bildungsmaßnahmen sprach er sich für eine Berufsorientierung ab der 6. oder 7. Klasse aus, denn "viele junge Menschen wissen nicht, dass sie in Handwerksberufen gut Geld verdienen". Diese abzuholen und mithilfe von flexiblen Arbeitszeitmodellen auf den Arbeitsmarkt zu bringen, müsse gemeinsames Ziel sein.

Denn auch wenn die Bundesrepublik in einer Studie des Roman Herzog Instituts mit 52.600 Arbeitsstunden den vorletzten Platz belegte. Es gehe um den Trend, wies der Politiker auf 2.3 Milliarden ("nicht Millionen") Stunden mehr Arbeitsvolumen als noch vor 10 Jahren hin. Kurz: "Die Deutschen sind kein faules Volk", zeigte sich Heil überzeugt.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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