"Einfach Nina": Ein Kind, das seien möchte, was es ist
Der achtjährige Niklas fühlt sich als Mädchen. Doch das der Umwelt begreiflich zu machen, ist nicht einfach für das Kind. Es beginnt ein Kampf mit seinen eigenen Gefühlen, um die Liebe seiner Eltern und um Akzeptanz. Warum auch nicht. Was ist schon normal?
"Be my sister, be my brother. Love will safe you when you call." – Liebe wird dich retten, egal ob du meine Schwester oder mein Bruder bist. So könnte man diesen Vers des Songs, der den Freitagsfilm im Ersten durchzieht wie ein roter Faden, wohl interpretieren. Es ist nicht der einzige vielschichtige Satz in "Einfach Nina". Der achtjährige Niklas Glasewald (Arian Wegener) summt und tanzt seinen Lieblingssong unentwegt. "Willst du nicht etwas singen, das zu dir passt?", fragt sein Papa Martin (Ulrich Brandhoff) völlig genervt von den Mädchen-Allüren seines doch eigentlich so kumpelhaften Sohnes. Jungs tänzeln nicht – und schon gar nicht in Mädchenklamotten. Niklas aber eben schon – denn, was seine Familie noch nicht weiß: Er ist doch eigentlich gar kein Junge. Bei der Geburt muss ein Fehler unterlaufen sein, Niklas fühlt sich im falschen Körper geboren ...
Toleranz von Kindern lernen
Eines Nachts fasst sich das mutige Kind ein Herz, zieht flugs ein Kleid seiner besten Freundin an, macht sich zwei Zöpfe und konfrontiert seine Familie mit seinem wahren Ich: "Ich bin Nina. Ich war schon immer Nina", erklärt sie selbstbewusst. Was für die Grundschülerin so selbstverständlich ist, stellt das Leben der Glasewalds gründlich auf den Kopf.
Ninas Mutter, Simone (Friederike Becht), flüchtet sich in Verleumdung, Ninas Vater kämpft indes mit Geschrei und Gebrüll dagegen an und ihr Bruder Ben (Ludwig Samuel Ott) distanziert sich mehr und mehr ... Nur die Gleichaltrigen scheinen mit der "Situation", wie es die Eltern ihrer Mitschüler mit hochgezogener Augenbraue nennen, kein Problem zu haben. Die Eltern hingegen sehen in Nina eine Gefahr für ihre eigenen Kinder. Na, wenn das kein Konfliktpotenzial birgt ... Es geht drunter und drüber in dem dann doch erstaunlich heiteren 90 Minüter, der erstmals im TV zu sehen ist.
Ein Spiegel der Gesellschaft
Schauspielerin Becht erklärt: "Nina problematisiert ihre Identität nicht, sie ist nun mal 'einfach Nina'." Die Schauspielerin von "So laut du kannst" fasst die zentrale Thematik, auf die der Film fußt, zusammen: "Das Problem, nicht ident mit seinen angeborenen Geschlechtsmerkmalen zu sein, entsteht hauptsächlich im Außen, in ihrer Umwelt, der Wahrnehmung unserer Gesellschaft."
Die Autorinnen Angela Gilges und Karin Heberlein kreieren also gemeinsam mit Christopher von Delhaes eine ebenso überraschend lebensnahe wie schockierende Alltagsgeschichte rund um die zentralen Themen Diversität und Toleranz. Mit anderen Worten: Sie halten der Gesellschaft schonungslos den Spiegel vor. Wie kann es sein, dass Kinder wesentlich toleranter als Erwachsene sind? Ist es der Generationenkonflikt, die Angst vor dem Unbekannten oder die knallharte Realität, die Zynismus und Intoleranz provoziert? Das alles sind Fragen, auf die die Filmemacher versuchen, Antworten zu finden.
"Einfach Nina" beruht nach Angaben der Filmemacher auf einem realen Hintergrund und sei durch weitere Recherche zu einer einzigen fiktiven Familiengeschichte verdichtet worden. "Unser Ausgangspunkt war in diesem Fall nicht eine fertige Idee, sondern vielmehr ein Bedürfnis, den in unserem Umfeld gehörten Erlebnissen eine Stimme zu geben", erklären die Drehbuchautoren.
Ein Film, der zum Nachdenken anregt
Regisseurin Heberlein inszeniert daher eine schauerlich schöne Geschichte rund um ein Kind, das irgendwie auch stellvertretend für die aktuellen gesellschaftspolitischen Veränderungen steht. Nachwuchsschauspieler Wegener verkörpert die innerlich zerrissene Nina, die die Welt mit den großen hoffnungsvollen Augen eines Kindes betrachtet und für ihre Träume kämpft, sehr authentisch. "Ich hatte auch nichts dagegen, Kleider zu tragen, die sind ja auch bequem", erklärt er im Interview vorab. Er scheint das alles ganz nüchtern zu betrachten ...
Warum auch nicht! Denn: Was ist schon normal? Diese Frage hallt in den Ohren nach, wenn sich Simone im Film unter Tränen für ihr Kind einsetzt. "Ist diese Idee einer Norm, die unsere Gesellschaft prägt, nicht eher ein Hindernis für Akzeptanz und Öffnung? Wozu diese Norm?", fragt Becht. Sie sorge doch so oft für Ausgrenzung, Hass und Gewalt. "Ein Mensch, der transgeschlechtlich ist, sollte sich öffnen können, ohne sich ständig gegen eine Welle von Vorurteilen schützen oder rechtfertigen zu müssen." – Eine Moral, die wohl nicht jedem schmecken wird, aber auf jeden Fall zum Nachdenken anregt.
"Einfach Nina" – Fr. 06.10. – ARD: 20.15 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH