In der Talkrunde von Anne Will

Jens Spahn wehrt sich im Asyl-Streit gegen den Begriff "Haft"

12.06.2023, 13.43 Uhr

In der Diskussion um die Asylrechtsreform der Europäischen Union gerieten vor allem der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn und die freie Journalistin Franziska Grillmeier in der Sendung von Anne Will aneinander.

Die Asylrechtsreform der Europäischen Union sorgt seit Tagen für Diskussionen: "Das ist ein historischer Erfolg", twitterte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nach den Verhandlungen am Donnerstag. Andere, darunter auch die Grünen-Chefin Ricarda Lang, kritisierten das Abkommen bisweilen scharf.

Auch bei "Anne Will" gingen die Meinungen stark auseinander: Es sei "ein wichtiger Schritt auf europäischer Ebene", lobte der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Jens Spahn. Es gebe mit Blick auf die Flüchtlingsaufnahme eine Grenze des Machbaren, sagte Spahn. Ob das verschärfte Asylrecht für eine verbesserte Verteilung und Organisation von Geflüchteten in Europa sorgen wird, bezweifelte er aber: Faeser habe sich am Ende lediglich in die Mehrheitsverhältnisse "gefügt", behauptete er und monierte weiter, dass die Beschlüsse "nur für ein Viertel aller Verfahren" gelten würden: "Das heißt, für Dreiviertel, also den Großteil der irregulären Migration gibt es im Grunde eben noch keine Lösung."

"Es hat sich bei den humanitären Organisationen eine Angst breit gemacht"

Anders sah es Franziska Grillmeier: Die freie Journalistin beschäftigt sich seit Jahren mit der europäischen Migrationspolitik. Die nun beschlossene Reform habe "kaum etwas mit der Realität vor Ort zu tun", kritisierte sie: "Es ist kein großer Paradigmenwechsel, im Gegenteil. Wir haben jetzt schon Zustände, die Schnellverfahren zum Teil durchwinken. Wir haben Menschen jetzt schon in haftähnlichen Situationen. Wir haben Menschen, die schon jetzt nach der Ankunft direkt inhaftiert werden." In den Camps, so fuhr sie fort, gebe es "massive Rechtsbrüche, die nicht geahndet werden".

Die Verwendung der Wörter "haftähnlich" und "inhaftiert" irritierten wiederum Jens Spahn: "Ich finde den Begriff der Haft echt schwierig, und den sollten wir hier auch nicht verwenden", schimpfte er. Stattdessen bevorzuge er den Begriff "Reiseeinschränkung": "Man kann nicht weiter in die EU einreisen, aber man kann natürlich jederzeit aus der EU ausreisen und zurückgehen in die Länder, auch die Zwischenländer, die nicht EU sind, aus denen man gekommen ist." Diese Unterscheidung sei gerade in einer so polarisierenden und emotionalisierenden Debatte wichtig.

Grillmeier hielt dagegen: "Wir haben eine Situation, wo Menschen feststecken. Das hat zu dem Konzept Moria geführt, das hat zu mehr Leid und Chaos geführt." Sie selbst habe mit Menschen in Abschiebelagern gesprochen, "die zum Teil keinen Zugang zu medizinischem Beistand haben", berichtete sie. Auch die journalistische Arbeit vor Ort, so schilderte sie später in der Sendung, sei seit dem Brand in Moria eingeschränkt: "Ich komme kaum noch an die Menschen ran, die sind ins Verborgene gerutscht. Ich weiß kaum mehr, was passiert. Es hat sich bei den humanitären Organisationen eine Angst breit gemacht: Was darf man noch sagen?"

Esken lobt gefundenen Kompromiss

Zustimmung bekam Jens Spahn vom Professor für Soziologie und Migrationsforschung Ruud Koopmans: Die Asylreform könne nur Erfolg haben, wenn es gelinge, die Zahl der Flüchtlinge "sehr stark zu reduzieren". Dafür aber bräuchte es ein Abkommen mit Drittstaaten wie Tunesien, wonach diejenigen Menschen, die aus oder über Tunesien in die EU kämen, auch wieder dorthin zurückgeführt werden können.

Erste Gespräche mit dem nordafrikanischen Staat fanden bereits statt. Teil eines solchen Abkommens müsste es sein, "Tunesien zu einem sicheren Drittstaat zu erklären", erklärte Koopmans: "Dann muss Tunesien natürlich auch die Bedingungen dafür erfüllen." Wenn das gelänge, könne die Zustromrate über das Mittelmeer stark reduziert werden, was letztlich "alle Parteien interessieren müsste, weil das die tödlichste Route ist".

Vergleichsweise bedeckt hielten sich die anwesenden Vertreter der Regierungsparteien: "Das ist kein historischer Erfolg", sagte der Grünen-Chef Omid Nouripour: "Das ist kein Grund zu jubeln, aber wir sind das erste Mal einen Schritt vorangekommen. Viele weitere werden folgen müssen." Auch zeigte er Verständnis für diejenigen Mitglieder seiner Partei, die die Beschlüsse scharf kritisieren. Die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken bezeichnete den gefundenen Kompromiss als einen "große Schritt". Nun müsse die Reform allerdings weiter ausgearbeitet werden.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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