Bei "Markus Lanz"

Joachim Gauck warnt: "Wir hatten eine braune Diktatur, eine rote und eine weitere wollen wir nicht"

19.07.2023, 09.17 Uhr
von Natascha Wittmann

Am Dienstagabend war Ex-Bundespräsident Joachim Gauck zu Gast in der Talkrunde von Markus Lanz. Dabei analysierte der 83 jährige, was hinter dem Wahlerfolgen der AfD steckt und warum er dennoch hoffnungsvoll in die Zukunft blickt.

Von 2012 bis 2017 war er der elfte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland – und auch heute gilt Joachim Gauck noch als bedeutsame politische Figur. Bei "Markus Lanz" gab er am Dienstagabend unter anderem seine Einschätzung ab, warum rechtspopulistische Parteien wie die AfD in der jüngsten Vergangenheit immer mehr an Zustimmung gewonnen haben, während traditionelle Parteien wie die CDU signifikant an Wählerstimmen verloren haben.

Joachim Gauck: "Diktatur können alle!"

Zunächst stellte Gauck klar, dass er seit seiner Antrittsrede als Bundespräsident im Jahr 2012 "etwas dazugelernt" habe. "Ich habe damals so einen Traum von politischer Wirkung und Gestaltung gehabt: Habe nur die richtigen Worte und ein menschenwürdiges, anständiges Ziel und du wirst alle Menschen gewinnen können", so Gauck. Im Gespräch mit Lanz erklärte er, dass er jetzt mit 83 Jahren wisse, dass "in jedem Land eine bestimmte Gruppe der Bevölkerung so gestrickt ist (...), dass sie stärker Führung sucht und nicht so sehr eigene Mitwirkung und Mitbestimmung." Laut Gauck sei demnach eine "längere Auseinandersetzung gerade mit Rechtspopulisten" notwendig, als er das damals noch gehofft habe.

Dies brachte Markus Lanz auf den Höhenflug der AfD und den vermeintlich steigenden Rechtsextremismus in Ostdeutschland zu sprechen. Dazu sagte Joachim Gauck: "Es gibt ja Leute, die sagen, wir sollen aufhören von Ossis und Wessis zu sprechen." Laut des ehemaligen Bundespräsidenten gebe es aber signifikante Unterschiede, denn: "Lange politische Ohnmacht bleibt nicht ohne Folgen." Joachim Gauck ergänzte gleichzeitig, dass es sich keineswegs um "Charaktermängel" handle, "die die Ossis da kollektiv haben". Er stellte klar: "Diktatur können alle!"

Glaube an die Demokratie

In dem Zusammenhang warnte Gauck davor, beim Höhenflug der AfD "nur auf die Ostdeutschen" zu blicken. Er forderte vielmehr, "diese Gefühle von Fremdheit gegenüber einer Moderne, die zu viel und zu schnell wandelt, als eine ganz enorme Herausforderung für fortschrittliche Politik zu sehen". Auf die Gründe für den Wahlerfolg der AfD angesprochen, sagte der ehemalige Bundespräsident, dass eine "signifikant hohe Anzahl" der Bürger "mit dieser offenen Gesellschaft" fremdle, die "zu vielfältig" sei und ein "ungeheuer großes" Maß an Verunsicherung auslöse. Er ergänzte, dass "in solchen Phasen" einer Krise "oft die traditionellen Parteien nicht die tröstenden Antworten" liefern, während Parteien am Rand auftauchen, die sagen: "Es geht viel zu weit mit der Moderne".

Um dem Aufschwung rechtspopulistischer Parteien entgegenzuwirken, forderte Gauck eine gewisse "Führungsstärke" der Regierung sowie eine "wertkonservative Politik". Lanz fragte daraufhin: "Ist die CDU gerade diese konservative Partei?" Gauck antwortete vorsichtig: "Sie ist im Moment ganz erkennbar auf der Suche." Dennoch glaube er nicht, dass die AfD eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie darstelle: "Diese Typen kommen bei uns nie an die Macht in Deutschland." Er erklärte weiter: "Deutschland ist doppelt geimpft. Wir hatten eine braune Diktatur, eine rote und eine weitere wollen wir nicht." Joachim Gauck sehe im Wahlprogramm der AfD zudem keinen großen Anlass zur Sorge: "Die haben zu wenig anzubieten. Die haben ein Programm für die Unzufriedenen, für die Heimatlosen."

Der ehemalige Bundespräsident ergänzte abschließend: "Wir haben viele gute Gründe, die AfD zu bekämpfen, (...) aber wir dürfen uns auch nicht einreden, dass alle, die diese Partei wählen, den Führer wieder haben wollen." Gauck fügte hinzu, dass er prinzipiell ein "zuversichtlicher Mensch" sei, der im Kern trotz der "vielen Erschütterungen" immer noch an die Demokratie glaube: "Die Demokratie macht Fehler, Menschen machen Fehler. Aber die Summe der Fehler überwiegt nicht die Summe der Möglichkeiten und der Erfolge." Lanz verabschiedete sich schließlich mit den passenden Worten: "So weit so bitter, aber auch so weit so inspirierend."


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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