Moderator im Interview

Mitri Sirin über ein "Moma" im Ausnahmezustand: "Es ist ein Blindflug"

25.02.2022, 08.54 Uhr
von Frank Rauscher

Am Donnerstagmorgen begann der Krieg in der Ukraine. Für die Macher des "Morgenmagazins" eine besondere Herausforderung. "Es herrschte der absolute Ausnahmezustand", berichtet Moderator Mitri Sirin.

"Krieg in der Ukraine: Präsident Putin hat Angriff befohlen": Ein Schriftzug, der sich liest wie aus einem dystopischen Fiction-Plot, prägte für Millionen TV-Zuschauer den Start in den Donnerstag. Im "ZDF Morgenmagazin" war an diesem denkwürdigen 24. Februar die eigentlich schwer erträgliche Schlagzeile zu allen Live-Schalten mit Korrespondenten, Politikern und Experten eingeblendet. Sie entsprach der Realität: Die Krise wurde zum Krieg, aus Drohungen wurden Fakten, die Welt hält den Atem an, und das TV-Publikum suchte Halt und Orientierung. Das um 5.30 Uhr beginnende "Moma" war kurzerhand zur Breaking-News-Sendung umfunktioniert und um 90 Minuten verlängert worden und führte nachdrücklich vor Augen, warum das öffentlich-rechtliche Fernsehen alternativlos ist.

Es war ein "Moma" im Ausnahmezustand, das in erstaunlicher Frequenz immer neue Stimmen, Fakten, Hintergründe und Analysen zur Lage in der Ukraine generierte – fraglos eine Sternstunde des Nachrichtenjournalismus. Moderator Mitri Sirin (50), der gemeinsam mit Harriet von Waldenfels auch am Freitag, 25. Februar, durch ein bis 10.30 Uhr laufendes "Morgenmagazin" führt, beschreibt im Interview, wie es ihm vor, während und nach der Sendung erging.

prisma: Konnten Sie heute nach der Sendung schon etwas Schlaf finden, Herr Sirin?

Mitri Sirin: Ehrlich gesagt nicht. Ich habe es versucht, aber es ist wahnsinnig schwer, zur Ruhe zu kommen. Die letzten Stunden, die ganze Situation – das ist einfach zu aufwühlend. Ich bin noch voller Adrenalin.

prisma: "Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht": So hat es am Donnerstagvormittag Außenministerin Annalena Baerbock in ihrer Rede formuliert. Sie waren da schon ein paar Stunden auf Sendung ... Wie genau starteten Sie in den Tag?

Sirin: Mein Wecker klingelte wie immer, wenn ich "Moma" moderiere, um 3.30 Uhr. Natürlich hatte ich sofort die Nachricht auf dem Handy, dass die Separatisten in der Ost-Ukraine den russischen Präsidenten um militärischen Beistand gebeten haben. Das ließ nichts Gutes befürchten, und wenig später kam tatsächlich die Eilmeldung, dass Putin eine Militäroffensive angeordnet hat. Dann ging es Schlag auf Schlag – und es war klar, dass dies kein normaler Morgen werden würde.

prisma: Was war in der Redaktion los?

Sirin: Es herrschte der absolute Ausnahmezustand. Alle regulären Beiträge, alles, was wir geplant hatten, wurde über Bord geworfen. Es war klar, dass wir eine reine Breaking-News-Sendung machen würden, die im Wesentlichen aus Schaltpartnern und Politiker- und Expertengesprächen zum Thema Ukraine besteht.

prisma: Was heißt das für Sie als Moderator?

Sirin: Man geht unvorbereitet vor die Kamera und schaut, was passiert. Es ist ein Blindflug. Die Herausforderung dabei ist, nicht zu überdrehen, die eigenen Emotionen wegzulassen und strikt nach bestem Wissen und Gewissen bei den Fakten zu bleiben. Man muss in dieser Situation einfach höllisch aufpassen, dass man nichts Falsches erzählt. Schwer genug, denn in diesen frühen Momenten war ja manches noch gar nicht zu verifizieren.

prisma: Zuschauer erwarten an so einem Tag vom Nachrichtenfernsehen Halt und Orientierung ...

Sirin: Ja, klar, denn natürlich sind alle in großer Sorge. Auch ich habe eine Riesenangst, wenn ich auf die Lage blicke. Ich gehöre mit meinen 50 Jahren nämlich schon zu den Menschen, die sich sehr wohl bewusst sind, dass sie sich glücklich schätzen dürfen, niemals einen Krieg erlebt zu haben. Und: Wir haben es hier mit einer Nuklearmacht zu tun. Der Tragweite war ich mir sofort und die ganze Zeit über bewusst – ohne Wenn und Aber. Ansonsten waren wir, meine Kollegin Harriet von Waldenfels und ich, aber vollkommen in der Aktualität gefangen: Da gibt es kein großes Nachdenken über die besondere Verantwortung, die man jetzt trägt. Wir hatten permanent die Infos von Regie und Redaktion im Ohr, mussten praktisch ununterbrochen schnell reagieren und dabei so exakt wie möglich abliefern. Alles andere als Alltag.

prisma: Wie läuft es normalerweise?

Sirin: Wir senden eigentlich immer sehr gut vorbereitet. Ein Großteil der Themen der Sendung ist schon am Vorabend abgesteckt, wir arbeiten uns ein, schreiben Gedanken für die Moderation oder für Interviews auf – und dann legen wir los. Diesmal hatten wir im Grunde nichts in der Hand, hingen praktisch sekündlich an der Agenturlage. Natürlich lag diese Zuspitzung schon in der Luft. Was das angeht, hatte ich eher keine Illusion – und doch kam das jetzt in dieser Wucht überraschend über uns, und ich empfinde die Ereignisse als schockierend.

prisma: Wie schwer ist es, die eigene Beklommenheit zur Seite zu schieben?

Sirin: Mir hilft es, wenn ich mich an die technischen Hilfsmittel halten kann. Was der Zuschauer nicht sieht: Wir haben unsere Handys, in die wir abseits der Kamera blicken, arbeiten mit Computern, Laptops – und wir haben einen Knopf im Ohr. Wir werden mit Hochdruck durch die Sendung navigiert, und ich stehe ausreichend unter Strom, um professionell zu bleiben. Wir wussten ja heute Morgen in keiner Situation, was als Nächstes kommt – im Ohr hieß es immer nur aus der Regie: "Schalte jetzt Washington! Schalte jetzt Kiew! Schalte jetzt Moskau!" ... – Und dann muss man einen möglichst geschmeidigen Übergang hinkriegen, und weiter geht's!

prisma: Wurde die Sendung mit dem Stamm-Team gefahren, oder gibt es für Ausnahmelagen eine Art Bereitschaft?

Sirin: Wir hatten uns schon, soweit es nachts so schnell möglich war, Verstärkung reingeholt, auch von außen wurde uns verstärkt zugearbeitet. Wir haben zum Beispiel sofort einen neuen Teams-Channel eröffnet, über den uns nach redaktioneller Vorsortierung die wichtigsten Meldungen direkt zugespielt wurden. So etwas machen wir sonst nicht. Es half enorm. Es war schon beeindruckend zu sehen, was alles auf die Beine gestellt werden kann.

prisma: Die "Moma"-Sendung wurde spontan bis 10.30 Uhr verlängert ...

Sirin: Ja, ich war insgesamt fünf Stunden live und hatte keine Sekunde Zeit, mir irgendwelche Sorgen zu machen. Danach fiel natürlich einiges ab. Wir hatten im Anschluss eine sehr lange "Schelte" – so heißt die redaktionelle Nachbesprechung bei uns – und konnten schon mit einigem Stolz auf eine wahnsinnige Teamleistung zurückblicken.

prisma: Auch am Freitag wird wieder verlängert – wie wollen Sie diese Woche durchstehen?

Sirin: Gute Frage – zumal wir planen, in dieser Woche zusätzlich auch am Samstag ein "Morgenmagazin" zu senden. Das hat in den zwölf Jahren, in denen ich die Sendung moderiere, noch nie gegeben. Das Problem ist aber eher: Ich muss am Sonntag in Mainz die Hauptnachrichten um 19 Uhr machen. Das wird eine Arbeitswoche nonstop.

prisma: Also: Wie schaffen das?

Sirin: Ich habe in all meinen "Moma"-Jahren noch nie eine Schlaftablette genommen. Aber heute werde ich eine brauchen. Und dann komme ich da schon irgendwie durch.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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